Test: 1010music Nanoboxen
Obwohl sie in eine Handfläche passen, versprechen die superkompakten Nanoboxen von 1010music geballte Soundpower durch Granular- bzw. Wavetable-Synthese.
In knalligem Gelb und Rot kommen die kleinen Boxen daher, passend dazu wurden die Namen gewählt. Lemondrop ist ein 4-stimmig polyphoner Granular-Synthesizer: Per microSD-Karte können WAV-Dateien geladen werden, die sich dann mit der Granular-Engine bearbeiten lassen. Fireball setzt dagegen auf 8-stimmige Wavetable-Synthese. Zur Nachbearbeitung gibt es jeweils Multimodefilter, LFOs, Modulationssequenzer sowie zwei Multieffekte. Die Bedienung erfolgt über zwei Encoder, vier Tasten und einen Touchscreen, der für die Live-Perfomance auch als X/Y-Pad genutzt werden kann.
Ultrakompakt mit Touch-Display
Kompakt sind die Nanoboxen ohne Frage, mit Abmessungen von gerade einmal 95 x76 x 38 mm. Dagegen wirkt sogar die 1010music Blackbox, die man technisch gesehen wohl als Mutter der beiden Nanoboxen ansehen kann, recht groß. Auf das robuste Metallgehäuse der Blackbox muss bei den Nanoboxen leider verzichtet werden, sie sind nur aus Plastik gefertigt. Dafür wiegen sie mit jeweils 112 Gramm auch nicht mehr als eine kleine Tafel Schokolade. Die Bedienung erfolgt über ein 2 Zoll großes Touch-Display, das im Test sehr genau und zuverlässig auf Eingaben per Hand reagiert hat. Hinzu kommen zwei Plastik-Endlosregler und vier gummierte Taster zur Navigation, die eine recht angenehme Haptik besitzen und im Test zuverlässig ihren Dienst verrichtet haben.
Anschlüsse mit Adapter
Auf der Rückseite befinden sich die Einund Ausgänge für MIDI und Audio sowie der analoge Clock-Eingang. Sie sind allesamt als 3,5mm-Miniklinke ausgeführt, für die Verbindung mit anderer Hardware, Mischpult oder Audiointerface muss man also gegebenenfalls Adapter mit einplanen. Ein Adapter für MIDI wird mitgeliefert. Bei voller Ausnutzung aller Anschlüsse hat sich dann der ultrakompakte Charakter der Nanoboxen durch die ganzen Adapterkabel aber auch ein wenig erledigt.
USB nur für Stromversorgung
Lobenswert ist die Ausführung des USB-Anschlusses im modernen USBC-Format, ein Adapterkabel auf USB-A ist im Lieferumfang. Etwas verwundert waren wir allerdings, dass der USB-Anschluss allein der Stromversorgung dient.
Weder MIDI noch Audio lassen sich hierüber abnehmen. Vielleicht lässt sich dies noch per Firmware nachreichen, wie es bei anderen Herstellern wie z. B. Dreadbox ja auch schon geschehen ist?
Für die Stromversorgung empfiehlt sich aber ohnehin ein USB-Netzteil. Dies wird zwar nicht mitgeliefert, aber das haben die meisten dank Smartphone & Co. vermutlich eh zu Hause herumfliegen. Zwar kann auch der Rechner den Strom liefern, allerdings hatten wir als Folge bei beiden Studiorechnern massive USB-Störgeräusche in einer Lautstärke, die eine professionelle Aufnahme unmöglich machten.
Kein interner Akku/Batterie
Statt eines Netzteils wäre für unterwegs auch eine USB-Powerbank eine Option, denn ein Batteriebetrieb ist bei den Nanoboxen nicht vorgesehen. Schade eigentlich, ein etwas größeres Gehäuse inklusive Akku/ Batterieslot und eingebauter Lautsprecher hätten das Jammen auf dem Balkon erleichtert. Zuletzt sei noch der Slot für eine microSD-Karte erwähnt, die als Soundspeicher dient. Erfreulicherweise wird eine passende Karte direkt mitgeliefert.
Farbiger Touchscreen
Mangels Powerschalter legen die Nanoboxen nach Anschluss an das Netzteil sofort los und begrüßen den motivierten Musiker mit einem farbigen hochauflösenden
Touchscreen. Der Startbildschirm zeigt den Namen des gewählten Presets, darunter die Wellenformen der beiden Hauptoszillatoren sowie ausgewählte Parameter. Dreht man an den beiden Reglern, wird dies auch visuell auf dem Screen dargestellt – das ist sehr praktisch, da man bei Encodern den aktuellen Wert ja nicht an der physikalischen Position ablesen kann. Auch die Animationen, die Veränderungen und Modulationen visualisieren, haben uns gut gefallen.
Tastatur und X/Y-Pad
Der gut reagierende Touchscreen wird vielfältig eingebunden. So werden Filterfrequenz und -resonanz grafisch dargestellt und lassen sich per Touch gemeinsam anpassen. Oder Du nutzt den gesamten Touchscreen als Mini-Keyboard oder sogar als X/YPad, um mehrere Parameter gleichzeitig per Finger zu modulieren. LFO und Hüllkurven bieten aktuell leider noch keine direkte Touch-Steuerung, dies muss etwas umständlicher über die beiden Regler erfolgen. Dennoch haben wir uns auch ohne Blick in die Anleitung recht schnell an das Konzept gewöhnt und konnten die Nanoboxen flüssig bedienen, ernsthafte Stolpersteine sind uns nicht aufgefallen. 1010music kann ja durchaus auch auf einige Erfahrung in Bezug auf kompakte Klangerzeuger aufweisen.
Identische subtraktive Synthese
Beide Nanoboxen besitzen die gleiche subtraktive Synthese, die den Oszillatoren nachgeschaltet ist. Mit zwei Filtern, zwei ADSR-Hüllkurven, zwei LFOs, einem Modulationssequenzer und zwei Effekten (für Modulation und Hall/Delay) sind die Nanoboxen recht üppig ausgestattet. Entsprechend überzeugend ist der Klang, der uns beim ersten Anspielen der gut programmierten Presets entgegentönt. Das klingt nicht klein, billig, LoFi oder nach Plastik, sondern ziemlich groß, teuer und edel. Klanglich müssen sich die Nanoboxen nicht gegenüber der zumindest äußerlich größeren Hardware-Konkurrenz verstecken.
Wavetable oder Granular
Der große Unterschied zwischen den beiden Nanoboxen ist neben Farbe und Name die Basis der Klangerzeugung. Zwar besitzen beide Synthesizer je zwei Oszillatoren, um Samples abzuspielen. Fireball greift dabei aber auf Wavetable-Synthese zurück, kann also die Wellenform an verschiedenen Stellen im Klangverlauf abgreifen und dieser Startpunkt lässt sich auch modulieren. Lemondrop dagegen nutzt die Granularsynthese, bei der das Sample in kleinste Bestandteile (Grains) aufgeteilt wird und wieder neu zusammengesetzt werden kann. Da die Granularsynthese technisch etwas aufwändiger ist, bietet Lemondrop maximal vier Stimmen, während Fireball bis zu 8-stimmig polyphon gespielt werden kann.
Samples nur per SD-Karte
Du kannst dabei auf die zahlreichen auf MicroSD-Karte mitgelieferten Samples zurückgreifen oder eigene Samples importieren. Der Import geht leider nur per SD-Karte, ein Import per USB oder gar ein direktes Sampling ist nicht vorgesehen. Der Audioeingang dient allein dem Einschleifen einer anderen Audioquelle in die Effekte der Nanobox, dadurch wird die kompakte Box zu einem interessanten kleinen Effektgerät mit Touch-Steuerung.
Integrierte Effekte
Zwei Effekte gleichzeitig sind möglich. FX1 bietet neben Distortion noch die klassischen Modulationseffekte Chorus, Phaser und Flanger. FX2 ist auf Zeit und Raum spezialisiert und kann Hall oder Delay erzeugen. Die Effekte klingen sehr gut, verschmelzen mit der digitalen Klangerzeugung und sind wichtiger Bestandteil des überzeugenden Gesamtsounds. Schade ist nur, dass für perlige Arpeggios oder weite Pads und Drones das Delay und das Reverb nicht parallel nutzbar sind.
Ergänzender VA-Oszillator
Unterschlagen haben wir noch den dritten Oszillator, ein relativ simples virtuell-analoges Exemplar. Hiermit ergänzt man den Wavetable- oder Granularklang mit einem Subbass aus Sinus- oder Rechteckwelle oder sorgen mit Sägezahn oder Rauschen für zusätzliche Obertöne. Der VA-Oszillator ist bei beiden Modellen identisch.
Digitaler Sound vom Feinsten
Der Klang gestaltet sich nach dem Motto: Digital und stolz drauf! Die Programmierer haben gar nicht erst versucht, die Nanoboxen durch irgendwelche Tricks „analog“klingen zu lassen, sondern sich allein auf die Vorteile der digitalen Klangerzeugung konzentriert. Dies gilt sowohl für die Auswahl der Wellenformen als auch die Filter als klangformendes Element, die mit nüchtern-analytischem Klang chirurgisch sauber in das von den Oszillatoren erzeugte Ausgangssignal eingreifen und es nach Deinen Wünschen formen können.
Konventionell oder experimentell
Das Ergebnis sind klare, transparente Digitalsounds in jeglicher Form, die aufgrund der umfangreichen Modulationsmöglichkeiten teils sehr komplex klingen. Lemondrop bietet mit seiner Granularsynthese natürlich mehr Möglichkeiten für Experimente, während Fireball mit klassischen Wavetables etwas konventioneller aufgestellt ist. Beide Synthesizer überzeugen aber mit einem großen Klangspektrum und einer schönen Weite und Tiefe im Klang, egal ob Pads, Leads, Arpeggios oder Effekte. Und durch den Import eigener Samples lässt sich der Sound in jede gewünschte Richtung anpassen.
Alternativen
Mit aktuell je 449 Euro Straßenpreis sind die Nanoboxen kein Schnäppchen, weshalb sich ein Blick auf Alternativen lohnt. Wer ein Smartphone, insbesondere ein iPhone besitzt, hat Zugriff auf eine Menge ebenfalls sehr potenter digitaler Synthesizer mit durchdachter Touch-Steuerung und sehr gutem Klang. Lediglich auf die beiden Regler müsste man verzichten, ansonsten wäre dies eine interessante Alternative für unterwegs inklusive integrierter Stromversorgung.
Und für den Studioeinsatz gibt es für etwa 100 Euro Aufpreis bereits komplexe digitale Synthesizer wie Korg Wavestate, Opsix, ASM Hydrasynth Explorer oder Modal Argon8 mit deutlich mehr Reglern und entsprechend direkterer Bedienung sowie klassischen Anschlüssen ohne Adapter. Oder aber man greift auf Plug-ins wie Steinberg Padshop oder Arturia Pigments zurück.
Polyphone granulare Synthesizer als Hardware gibt es in dieser Preisklasse allerdings bisher nicht, weshalb Lemondrop trotz der halbierten Stimmenzahl für uns die interessantere der beiden Nanoboxen darstellt. Hier wäre die Microgranny mit direkter Sampling-Option zum deutlich günstigeren Preis als Alternative zu nennen, die allerdings nur monophon spielbar ist.
Auch wenn sie auf den ersten Blick wie Spielzeug wirken: Die Nanoboxen klingen deutlich größer, als sie tatsächlich sind! Vor allem Lemondrop lädt mit granularer Synthese zum Experimentieren ein, aber auch aus den Wavetables von Fireball lässt sich aufgrund der umfangreichen Modulationsmöglichkeiten und der guten Effekte einiges zaubern. Die lediglich handflächengroßen Synthesizer nehmen kaum Platz auf dem Desktop ein und passen in die kleinste Tasche, auch wenn für unterwegs eine Powerbank mit eingeplant werden muss und im Studio die notwendigen Adapter den Platzvorteil ein wenig verringern. Der aufgerufene Preis erscheint uns mit Blick auf die oben aufgeführten Alternativen allerdings etwas zu hoch.