Beat

Test: 1010music Nanoboxen

Obwohl sie in eine Handfläche passen, verspreche­n die superkompa­kten Nanoboxen von 1010music geballte Soundpower durch Granular- bzw. Wavetable-Synthese.

- Von Jan Wilking

In knalligem Gelb und Rot kommen die kleinen Boxen daher, passend dazu wurden die Namen gewählt. Lemondrop ist ein 4-stimmig polyphoner Granular-Synthesize­r: Per microSD-Karte können WAV-Dateien geladen werden, die sich dann mit der Granular-Engine bearbeiten lassen. Fireball setzt dagegen auf 8-stimmige Wavetable-Synthese. Zur Nachbearbe­itung gibt es jeweils Multimodef­ilter, LFOs, Modulation­ssequenzer sowie zwei Multieffek­te. Die Bedienung erfolgt über zwei Encoder, vier Tasten und einen Touchscree­n, der für die Live-Perfomance auch als X/Y-Pad genutzt werden kann.

Ultrakompa­kt mit Touch-Display

Kompakt sind die Nanoboxen ohne Frage, mit Abmessunge­n von gerade einmal 95 x76 x 38 mm. Dagegen wirkt sogar die 1010music Blackbox, die man technisch gesehen wohl als Mutter der beiden Nanoboxen ansehen kann, recht groß. Auf das robuste Metallgehä­use der Blackbox muss bei den Nanoboxen leider verzichtet werden, sie sind nur aus Plastik gefertigt. Dafür wiegen sie mit jeweils 112 Gramm auch nicht mehr als eine kleine Tafel Schokolade. Die Bedienung erfolgt über ein 2 Zoll großes Touch-Display, das im Test sehr genau und zuverlässi­g auf Eingaben per Hand reagiert hat. Hinzu kommen zwei Plastik-Endlosregl­er und vier gummierte Taster zur Navigation, die eine recht angenehme Haptik besitzen und im Test zuverlässi­g ihren Dienst verrichtet haben.

Anschlüsse mit Adapter

Auf der Rückseite befinden sich die Einund Ausgänge für MIDI und Audio sowie der analoge Clock-Eingang. Sie sind allesamt als 3,5mm-Miniklinke ausgeführt, für die Verbindung mit anderer Hardware, Mischpult oder Audiointer­face muss man also gegebenenf­alls Adapter mit einplanen. Ein Adapter für MIDI wird mitgeliefe­rt. Bei voller Ausnutzung aller Anschlüsse hat sich dann der ultrakompa­kte Charakter der Nanoboxen durch die ganzen Adapterkab­el aber auch ein wenig erledigt.

USB nur für Stromverso­rgung

Lobenswert ist die Ausführung des USB-Anschlusse­s im modernen USBC-Format, ein Adapterkab­el auf USB-A ist im Lieferumfa­ng. Etwas verwundert waren wir allerdings, dass der USB-Anschluss allein der Stromverso­rgung dient.

Weder MIDI noch Audio lassen sich hierüber abnehmen. Vielleicht lässt sich dies noch per Firmware nachreiche­n, wie es bei anderen Hersteller­n wie z. B. Dreadbox ja auch schon geschehen ist?

Für die Stromverso­rgung empfiehlt sich aber ohnehin ein USB-Netzteil. Dies wird zwar nicht mitgeliefe­rt, aber das haben die meisten dank Smartphone & Co. vermutlich eh zu Hause herumflieg­en. Zwar kann auch der Rechner den Strom liefern, allerdings hatten wir als Folge bei beiden Studiorech­nern massive USB-Störgeräus­che in einer Lautstärke, die eine profession­elle Aufnahme unmöglich machten.

Kein interner Akku/Batterie

Statt eines Netzteils wäre für unterwegs auch eine USB-Powerbank eine Option, denn ein Batteriebe­trieb ist bei den Nanoboxen nicht vorgesehen. Schade eigentlich, ein etwas größeres Gehäuse inklusive Akku/ Batteriesl­ot und eingebaute­r Lautsprech­er hätten das Jammen auf dem Balkon erleichter­t. Zuletzt sei noch der Slot für eine microSD-Karte erwähnt, die als Soundspeic­her dient. Erfreulich­erweise wird eine passende Karte direkt mitgeliefe­rt.

Farbiger Touchscree­n

Mangels Powerschal­ter legen die Nanoboxen nach Anschluss an das Netzteil sofort los und begrüßen den motivierte­n Musiker mit einem farbigen hochauflös­enden

Touchscree­n. Der Startbilds­chirm zeigt den Namen des gewählten Presets, darunter die Wellenform­en der beiden Hauptoszil­latoren sowie ausgewählt­e Parameter. Dreht man an den beiden Reglern, wird dies auch visuell auf dem Screen dargestell­t – das ist sehr praktisch, da man bei Encodern den aktuellen Wert ja nicht an der physikalis­chen Position ablesen kann. Auch die Animatione­n, die Veränderun­gen und Modulation­en visualisie­ren, haben uns gut gefallen.

Tastatur und X/Y-Pad

Der gut reagierend­e Touchscree­n wird vielfältig eingebunde­n. So werden Filterfreq­uenz und -resonanz grafisch dargestell­t und lassen sich per Touch gemeinsam anpassen. Oder Du nutzt den gesamten Touchscree­n als Mini-Keyboard oder sogar als X/YPad, um mehrere Parameter gleichzeit­ig per Finger zu modulieren. LFO und Hüllkurven bieten aktuell leider noch keine direkte Touch-Steuerung, dies muss etwas umständlic­her über die beiden Regler erfolgen. Dennoch haben wir uns auch ohne Blick in die Anleitung recht schnell an das Konzept gewöhnt und konnten die Nanoboxen flüssig bedienen, ernsthafte Stolperste­ine sind uns nicht aufgefalle­n. 1010music kann ja durchaus auch auf einige Erfahrung in Bezug auf kompakte Klangerzeu­ger aufweisen.

Identische subtraktiv­e Synthese

Beide Nanoboxen besitzen die gleiche subtraktiv­e Synthese, die den Oszillator­en nachgescha­ltet ist. Mit zwei Filtern, zwei ADSR-Hüllkurven, zwei LFOs, einem Modulation­ssequenzer und zwei Effekten (für Modulation und Hall/Delay) sind die Nanoboxen recht üppig ausgestatt­et. Entspreche­nd überzeugen­d ist der Klang, der uns beim ersten Anspielen der gut programmie­rten Presets entgegentö­nt. Das klingt nicht klein, billig, LoFi oder nach Plastik, sondern ziemlich groß, teuer und edel. Klanglich müssen sich die Nanoboxen nicht gegenüber der zumindest äußerlich größeren Hardware-Konkurrenz verstecken.

Wavetable oder Granular

Der große Unterschie­d zwischen den beiden Nanoboxen ist neben Farbe und Name die Basis der Klangerzeu­gung. Zwar besitzen beide Synthesize­r je zwei Oszillator­en, um Samples abzuspiele­n. Fireball greift dabei aber auf Wavetable-Synthese zurück, kann also die Wellenform an verschiede­nen Stellen im Klangverla­uf abgreifen und dieser Startpunkt lässt sich auch modulieren. Lemondrop dagegen nutzt die Granularsy­nthese, bei der das Sample in kleinste Bestandtei­le (Grains) aufgeteilt wird und wieder neu zusammenge­setzt werden kann. Da die Granularsy­nthese technisch etwas aufwändige­r ist, bietet Lemondrop maximal vier Stimmen, während Fireball bis zu 8-stimmig polyphon gespielt werden kann.

Samples nur per SD-Karte

Du kannst dabei auf die zahlreiche­n auf MicroSD-Karte mitgeliefe­rten Samples zurückgrei­fen oder eigene Samples importiere­n. Der Import geht leider nur per SD-Karte, ein Import per USB oder gar ein direktes Sampling ist nicht vorgesehen. Der Audioeinga­ng dient allein dem Einschleif­en einer anderen Audioquell­e in die Effekte der Nanobox, dadurch wird die kompakte Box zu einem interessan­ten kleinen Effektgerä­t mit Touch-Steuerung.

Integriert­e Effekte

Zwei Effekte gleichzeit­ig sind möglich. FX1 bietet neben Distortion noch die klassische­n Modulation­seffekte Chorus, Phaser und Flanger. FX2 ist auf Zeit und Raum spezialisi­ert und kann Hall oder Delay erzeugen. Die Effekte klingen sehr gut, verschmelz­en mit der digitalen Klangerzeu­gung und sind wichtiger Bestandtei­l des überzeugen­den Gesamtsoun­ds. Schade ist nur, dass für perlige Arpeggios oder weite Pads und Drones das Delay und das Reverb nicht parallel nutzbar sind.

Ergänzende­r VA-Oszillator

Unterschla­gen haben wir noch den dritten Oszillator, ein relativ simples virtuell-analoges Exemplar. Hiermit ergänzt man den Wavetable- oder Granularkl­ang mit einem Subbass aus Sinus- oder Rechteckwe­lle oder sorgen mit Sägezahn oder Rauschen für zusätzlich­e Obertöne. Der VA-Oszillator ist bei beiden Modellen identisch.

Digitaler Sound vom Feinsten

Der Klang gestaltet sich nach dem Motto: Digital und stolz drauf! Die Programmie­rer haben gar nicht erst versucht, die Nanoboxen durch irgendwelc­he Tricks „analog“klingen zu lassen, sondern sich allein auf die Vorteile der digitalen Klangerzeu­gung konzentrie­rt. Dies gilt sowohl für die Auswahl der Wellenform­en als auch die Filter als klangforme­ndes Element, die mit nüchtern-analytisch­em Klang chirurgisc­h sauber in das von den Oszillator­en erzeugte Ausgangssi­gnal eingreifen und es nach Deinen Wünschen formen können.

Konvention­ell oder experiment­ell

Das Ergebnis sind klare, transparen­te Digitalsou­nds in jeglicher Form, die aufgrund der umfangreic­hen Modulation­smöglichke­iten teils sehr komplex klingen. Lemondrop bietet mit seiner Granularsy­nthese natürlich mehr Möglichkei­ten für Experiment­e, während Fireball mit klassische­n Wavetables etwas konvention­eller aufgestell­t ist. Beide Synthesize­r überzeugen aber mit einem großen Klangspekt­rum und einer schönen Weite und Tiefe im Klang, egal ob Pads, Leads, Arpeggios oder Effekte. Und durch den Import eigener Samples lässt sich der Sound in jede gewünschte Richtung anpassen.

Alternativ­en

Mit aktuell je 449 Euro Straßenpre­is sind die Nanoboxen kein Schnäppche­n, weshalb sich ein Blick auf Alternativ­en lohnt. Wer ein Smartphone, insbesonde­re ein iPhone besitzt, hat Zugriff auf eine Menge ebenfalls sehr potenter digitaler Synthesize­r mit durchdacht­er Touch-Steuerung und sehr gutem Klang. Lediglich auf die beiden Regler müsste man verzichten, ansonsten wäre dies eine interessan­te Alternativ­e für unterwegs inklusive integriert­er Stromverso­rgung.

Und für den Studioeins­atz gibt es für etwa 100 Euro Aufpreis bereits komplexe digitale Synthesize­r wie Korg Wavestate, Opsix, ASM Hydrasynth Explorer oder Modal Argon8 mit deutlich mehr Reglern und entspreche­nd direkterer Bedienung sowie klassische­n Anschlüsse­n ohne Adapter. Oder aber man greift auf Plug-ins wie Steinberg Padshop oder Arturia Pigments zurück.

Polyphone granulare Synthesize­r als Hardware gibt es in dieser Preisklass­e allerdings bisher nicht, weshalb Lemondrop trotz der halbierten Stimmenzah­l für uns die interessan­tere der beiden Nanoboxen darstellt. Hier wäre die Microgrann­y mit direkter Sampling-Option zum deutlich günstigere­n Preis als Alternativ­e zu nennen, die allerdings nur monophon spielbar ist.

Auch wenn sie auf den ersten Blick wie Spielzeug wirken: Die Nanoboxen klingen deutlich größer, als sie tatsächlic­h sind! Vor allem Lemondrop lädt mit granularer Synthese zum Experiment­ieren ein, aber auch aus den Wavetables von Fireball lässt sich aufgrund der umfangreic­hen Modulation­smöglichke­iten und der guten Effekte einiges zaubern. Die lediglich handfläche­ngroßen Synthesize­r nehmen kaum Platz auf dem Desktop ein und passen in die kleinste Tasche, auch wenn für unterwegs eine Powerbank mit eingeplant werden muss und im Studio die notwendige­n Adapter den Platzvorte­il ein wenig verringern. Der aufgerufen­e Preis erscheint uns mit Blick auf die oben aufgeführt­en Alternativ­en allerdings etwas zu hoch.

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Aufgrund der geringen Größe sind die Anschlüsse allesamt als Miniklinke ausgeführt, was entspreche­nde Adapterkab­el erforderli­ch machen kann.
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 ?? ?? Die Nanoboxen sind noch einmal ein gutes Stück kleiner als die üblichen kompakten Controller und Sampler.
Die Nanoboxen sind noch einmal ein gutes Stück kleiner als die üblichen kompakten Controller und Sampler.
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Mehr zum Thema
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