Digitale Kultur: Klang schwarzer Löcher
Valery Vermeulen hat zwei große Leidenschaften: Musik & schwarze Löcher. Auf seinem Album “Mikromedas AdS/CFT 001” verleiht er schwarzen Löchern eine Stimme, lässt weiße Zwerge singen und Objekte aus der StringTheorie schwingen. Die Musik ist ein gewaltiger dunkler Raum, gefüllt von der Frage: Wo hört Wissenschaft auf und wo beginnt Kunst?
Valery Vermeulen hat zwei Leidenschaften: Musik und schwarze Löcher. Auf seinem neuen Album
“Mikromedas AdS/CFT 001” verleiht er schwarzen Löchern eine Stimme, lässt weiße Zwerge singen und Objekte aus der String Theorie schwingen. Die Musik ist ein gewaltiger dunkler Raum, gefüllt von einer einzigen, unergründlichen Frage: Wo hört Wissenschaft auf und wo beginnt Kunst?
Beat / Du verwendest auf dem Album Daten von schwarzen Löchern und weißen Zwergen. Macht es überhaupt Sinn, daraus Musik zu machen? Im Weltall gibt es schließlich keinen Klang.
Valery Vermeulen / Du hast recht, das Weltall ist ein riesiges Vakuum ohne Luftmoleküle. Aktuelle Forschungsergebnisse demonstrieren zwar, dass es rein theoretisch möglich wäre, dass ein schwarzes Loch Klangwellen erzeugt. Aber damit das passiert, müsste es einen starken Gas-Strom erzeugen, der sich annähernd in Lichtgeschwindigkeit bewegt und dann auf eine Wolke aus heißem Gas prallt.
Beat / Etwas zu aufwendig.
Valery Vermeulen / Eher schon. Deswegen gehen wir zumindest aktuell noch so vor, dass wir Daten aus theoretischen und praktischen Beobachtungen als Grundlage für unsere Klänge nutzen.
Beat / Was also höre ich, wenn ich diesen Daten lausche?
Valery Vermeulen / Du hörst eine Musik, die auf sonifizierten Datenströmen aus Simulationsmodellen beruht. Das heißt, aus Simulationen davon, wie sich im All Objekte, beziehungsweise Regionen mit extremen Gravitationsfeldern, verhalten.
Beat / Das heißt, bei dem Album handelt es sich um eine musikalische Komposition.
Valery Vermeulen / Ja, und das ist mir auch wichtig. Ich habe nicht nur die Daten in Klänge umgewandelt, sondern auch Soft- und Hardware-Synths benutzt. Es gibt in den Stücken eine Menge SubBass. Einige davon habe ich mit einem alten Roland Juno 106 oder einem Korg MS20 erzeugt.
Beat / Wie viel von dem Material auf dem Album ist reine Datenmusik, wievieles beruht auf deiner eigenen Kreativität?
Valery Vermeulen / Ein Teil meines Prozesses besteht darin, Themen zu sammeln, die als Grundlage für meine Tracks dienen. Ein solches Thema
könnte beispielsweise darin bestehen, mir vorzustellen, durch den Ereignishorizont in das Auge des schwarzen Lochs zu fallen ...
Beat / … die Grenze zwischen dem inneren und dem äußeren Bereich des schwarzen Lochs …
Valery Vermeulen / ... genau. Und in das Ergebnis lasse ich dann auch meine künstlerische Interpretation dieser Vorstellung einfließen. Und das ist natürlich ein sehr persönlicher Ansatz.
Im inneren eines schwarzen Lochs
Beat / Schwarze Löcher erzeugen Effekte, die in vielerlei Hinsicht außerhalb unserer menschlichen Vorstellungskraft liegen. Wenn du an ein schwarzes Loch denkst – woran genau denkst du?
Valery Vermeulen / Nehmen wir an, du unternimmst eine Reise zu einem schwarzen Loch. Dann kannst du den Ereignishorizont zwar nicht sehen. Aber sobald du ihn überschritten hast, verändert sich die Realität in einem unvorstellbaren Ausmaß. Wenn ich an schwarze Löcher denke, dann assoziiere ich sie mit genau diesem Geheimnis ihrer inneren Region. Und ich frage mich: Wie wäre es wohl, dort hinein zu reisen?
Beat / Schon der äußere Randbereich eines schwarzen Lochs kann ziemlich verwirrend werden.
Valery Vermeulen / Auf jeden Fall. Würdest du mit einem Raumschiff in die Nähe eines schwarzen Locks kommen, dann wären die Gravitationskräfte dort viel stärker als auf der Erde. Raum, Zeit und Schwerkraft sind miteinander verflochten. Wenn du also nur eine Stunde dort verbringst, läuft die Zeit viel langsamer ab als nahe der Erde. Dort sind potentiell ein paar Millionen Jahre verstrichen.
Beat / Das bedeutet: Die hohe Schwerkraft macht die Zeit langsamer?
Valery Vermeulen / Genau das. Wir nennen das in der Physik “Zeitdilatation”. Interessanterweise machen wir von ihr täglich Gebrauch – in GPS nämlich. Ohne die Zeitdilatation zu berücksichtigen, könnte eine App wie Google Maps nicht vernünftig funktionieren.
Beat / Du hast auch Daten weißer Zwerge genutzt. Worum handelt es sich dabei genau?
Valery Vermeulen / Weiße Zwerge sind die Kerne von Sternen, die explodiert sind. Sie sind unvorstellbar dicht. Ein Teelöffel ihrer Masse wiegt bis zu 15 Tonnen. Und weil Masse wie erwähnt mit Gravität verbunden ist, erzeugen sie enorme Gravitationsfelder. Sobald ein Stern eine kritische Masse überschreitet, explodiert er und erzeugt dabei einen Neutronenstern oder ein schwarzes Loch. Man könnte also sagen: Weiße Zwerge sind eine Zustandsform, die ein Stern in seinem Endstadium erreicht.
Wissenschaft der Intuition
Beat / Warum interessiert dich die Verbindung zwischen Musik und Wissenschaft so sehr?
Valery Vermeulen / Im antiken Griechenland wurde Musik als ein zentraler Bestandteil der Wissenschaft angesehen. Das Quadrivium, die klassische Ausbildung wie sie Plato 375 vor Christus in seinem legendären Werk “Der Staat” vorgeschlagen hat, besteht aus vier grundlegenden Disziplinen: Arithmetik, Gemeotrie, Astronomie und Musik. Das Quadrivium bildete dann die Basis für die gesamte Erziehung im Mittelalter. Dieses Interesse an dem Zusammenhang zwischen Musik und Wissenschaft bedeutet vielleicht lediglich, dass die beiden Bereiche sich einander wieder annähern. Es ist bemerkenswert, dass einige Theorien zur Musik der Sphären, welche die alten Griechen vor 2500 Jahren entwickelt haben, inzwischen als erwiesen gelten.
Beat / Welche Theorien zum Beispiel?
Valery Vermeulen / In der Antike glaubten die griechischen Wissenschaftler und Philosophen, dass alle astrophysischen Objekte Schwingungen aussenden. Heute ist das mathematische Schwingungsmodell Teil aller großen wissenschaftlichen Entdeckungen. Wir wissen, dass Klang aus Schwingungen von Luftdruckwellen besteht. Wir wissen außerdem, dass alle astrophysischen Objekte, darunter auch unser Sonnensystem oder auch die Milchstraße, elektromagnetische Wellen ausstrahlen. Und diese sind wiederum nichts anderes als Schwingungen. Sie sind das, was die Griechen schon damals überall im Universum vermuteten.
Beat / Und trotzdem scheint es oft so, als betrachteten Wissenschaftler ihre Methoden als ein Gegenmodell zur Kreativität – und nichts als sich ergänzende Disziplinen.
Valery Vermeulen / Ja, aber in Wahrheit ist es so, dass wenn du dich mit schwarzen Löchern beschäftigst, diese Phänomene so weit außerhalb unserer täglichen Erfahrungen liegen, dass sie eher wie Science Fiction erscheinen denn als wissenschaftliche Realität. Darum entwickeln sogar Wissenschaftler Konzepte, bei denen man sich schwarze Löcher als höher dimensionale Räume denkt, als Wurmlöcher in andere Galaxien. Oder man arbeitet mit der Vorstellung, innerhalb eines riesigen Holograms zu leben.
Beat / Das bedeutet: Wir sind gezwungen, mit Analogien zu arbeiten – mit “Bildern” oder sogar “Geschichten”, Konzepten also aus der Kunst.
Valery Vermeulen / Es bedeutet auf jeden Fall, dass wir mit einer Menge Intuition arbeiten und diese dann mit komplexer Mathematik unterfüttern müssen. Intuition und Kreativität gehören zusammen – genauso wie Kunst und Wissenschaft.
Intuition und Kreativität gehören zusammen – genauso wie Kunst und Wissenschaft. «