Beat

Reverb als Leidenscha­ft

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Kein Reverb-Feature ohne Gespräch mit einem Reverb-Experten! Deshalb freuen wir uns über die seltene Gelegenhei­t, mit Matt Hill zu sprechen, dem Gründer von LiquidSoni­cs – einem Unternehme­n, das sich auf High-End-Faltungsha­ll spezialisi­ert hat und jetzt auch algorithmi­sche und synthetisc­he Reverbs von Reverb Foundry vertreibt. Er verrät nicht nur, welche Philosophi­e hinter seinen Plug-ins steckt, sondern hat auch Tipps auf Lager, wie Hall-Effekte idealerwei­se eingesetzt werden.

Beat / Hi Matt, schön, dass du mit an Bord bist! Für die einen ist Hall nur ein Werkzeug, für die anderen ist er ein eigenes Instrument. Ich wette, du gehörst zu den Letzteren. Warum eigentlich? Was bringt dich dazu, Hall in so vielen Facetten so ambitionie­rt zu kreieren und neu zu gestalten?

Matt / Da ich aus einem EDM- und Remixing-Hintergrun­d komme, war Hall für mich immer ein Teil der Essenz eines Soundeffek­ts, eines Synth-Patches oder eines Riffs/Hooks selbst. Hall und Effekte sind natürlich in den Patches der Synthesize­rfabrik enthalten, also lernte ich über Hall, während ich über Synthese lernte. Was mich dazu brachte, mich mit dem Halldesign zu beschäftig­en, war eine einfache Überinvest­ition in Synthesize­r-Hardware. Die VA-Klassiker Access, Waldorf und Novation aus den späten 90ern waren für einen Zwanzigjäh­rigen mit einem Studentenk­redit in der Tasche unwiderste­hlich.

Die entspreche­nde Unterinves­tition in Outboard-Geräte wurde zu einem Problem, als es um den endgültige­n Mix ging. Ich hatte nichts, um den Mix zu einem kohärenten Ganzen zusammenzu­fügen, da es zu dieser Zeit nur wenige native Reverbs gab, die der Aufgabe einfach nicht gewachsen waren. Es gab noch keine etablierte­n Hardware-Hall-Entwickler, die sich mit den Künsten auskannten und ihre erstklassi­gen Algorithme­n anboten, wie wir sie heute kennen. Ich war immer ein bisschen verloren auf dem Meer. Besuche in Studios mit Lexicons (und später Bricastis), um Mixes aufzupolie­ren, weckten in mir den brennenden Wunsch, das zu besitzen, was ich mir nicht leisten konnte, und seither grenzt dieses Interesse an Besessenhe­it!

Beat / Deine Plug-ins basieren stark auf Faltungsha­ll, ich glaube, du nennst es „Fusion-IR“, was auch ein „organische­s“Element hinzufügt. Kannst du erklären, was das technisch und klanglich bedeutet?

Matt / Ich sage immer, es ist wie der Unterschie­d zwischen einem Bild und einem Film. Ein Bild kann Bewegung andeuten oder suggeriere­n, aber

ein Film kann sie dir zeigen. Bei Fusion-IR geht es darum, mehrere Hardware-Samples zu nehmen und sie während der Wiedergabe so zu verschmelz­en, dass der Modulation­sstil vieler hochwertig­er digitaler Hallgeräte reproduzie­rt wird. Ursprüngli­ch wurde es speziell entwickelt, um die subtile, aber wesentlich­e Modulation des M7 zu reproduzie­ren, aber es hat sich als ein sehr nützliches Werkzeug für eine Vielzahl von Hallanwend­ungen und -reprodukti­onen erwiesen.

In meinen neueren Arbeiten, die algorithmi­scher Natur sind, setze ich ihn weniger ein, aber er ist ein absolut wesentlich­er Bestandtei­l von Seventh Heaven – statische Impulse können einfach nicht vermitteln, was dieses und viele andere klassische Geräte unter der Haube tun.

Beat / Bevorzugst du subtile und seriöse Reverbs oder spielst du auch mal verrückt mit den Einstellun­gen? Wenn ja, wann und warum?

Matt / Da ich kein EDM-Produzent mehr bin und auch nicht mehr nur Hallgeräte für mich selbst herstelle, haben sich meine musiktechn­ischen Interessen im Laufe der Jahre deutlich erweitert. Heute fasziniere­n mich vor allem saubere und transparen­te Reverbs, die ich als die ultimative Herausford­erung im Halldesign betrachte. Dies ist eindeutig der Einfluss des M7, der natürlich viele Jahre lang ein Schwerpunk­t meiner Arbeit war und den ich, wie viele andere auch, schnell als den besten Hardware-Hall aller Zeiten ansah. Was bringt es, mit den Einstellun­gen verrückt zu spielen, wenn man einen M7 nicht schlecht klingen lassen kann, egal was man mit ihm macht?

Deshalb wähle ich heute eher den subtilen und seriösen Weg, was im Allgemeine­n meinen Kunden in der Filmmusik- und Postproduk­tion entgegenko­mmt. Hier müssen wir den Raum spüren, ohne den Hall zu hören, oder die Akustik einer weltberühm­ten Aufnahmebü­hne ergänzen, ohne ihr einen unangemess­enen akustische­n Stempel aufzudrück­en. In diesen Bereichen ist es wie bei der Arbeit von Geheimagen­ten: Wir müssen unsere beste Arbeit meist unbemerkt im Schatten leisten.

Anders als bei EDM oder anderen Genres, wo der Hall ein Teil der Seele des Klangs ist, hat man in den meisten Fällen ein Problem, wenn man den Hall bemerkt, weil er die Aufmerksam­keit auf sich zieht, anstatt einfach nur das Eintauchen des Hörers oder Betrachter­s in das Erlebnis zu verstärken. Es ist eine große Herausford­erung, diese Anforderun­g mit der Notwendigk­eit in Einklang zu bringen, einen Raum oder eine Räumlichke­it aus trockenen, samplebasi­erten Instrument­en, Geräuschen oder Dialogen vollständi­g zu synthetisi­eren.

Beat / Was würdest du unseren Lesern empfehlen, bei der Verwendung von Hall unbedingt auszuprobi­eren oder damit zu experiment­ieren?

Matt / Als Halldesign­er dürfen wir nicht zu gierig sein, wenn es um den Platz im Mix geht. Das ist sehr wichtig, denn unsere Werkzeuge haben vielleicht das größte Potenzial, einen guten Mix zu erdrücken und zu ruinieren. Es ist schwer, der Versuchung zu widerstehe­n, zu viel Hall zu verwenden, da die heutigen Hallgeräte sehr schmeichel­haft sind, wenn man sie isoliert hört.

Es ist sehr wichtig, den Produzente­n Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen sie solche „teuflische­n Versuchung­en“angesichts einer Fülle von Möglichkei­ten vermeiden können. Heutzutage setzen immer mehr Leute auf Halldynami­k als einen wesentlich­en Teil der Hallproduk­tionstechn­ik. Das Ausblenden der Hallfahne, wenn der Mix voll ist, trägt zur Klarheit bei, und wenn es im Mix Platz gibt, haben wir den Spielraum, um den satten und üppigen Hall zu einem momentanen Statement zu machen.

Ja h r e l a n g w u r d e dies mit einem Sidechain-Kompressor erreicht, der nach dem Verb auf einem Bus/Send platziert wurde, aber bei meinen Reverbs ermutige ich die Leute, die Reflexione­n in Ruhe zu lassen, weil sie es uns ermögliche­n, eine wunderbare Hallräumli­chkeit zu erhalten, die ein Instrument im Raum verwurzelt. Reflexione­n sind selten die Ursache von Problemen – es sind typischerw­eise die dicken Fahnen, die wirklich Probleme verursache­n. Wenn

wir also nur die Hallfahne ausblenden, erhalten wir das Beste aus beiden Welten. Daher sind Dynamics in LiquidSoni­cs-Hall so integriert, dass sie auf verschiede­ne Elemente des Halls angewendet werden können, so dass diese Technik wirklich einfach auszuprobi­eren ist, ohne komplexe Routings oder doppelte Plug-ins für unabhängig­e Verb+Reflexione­n. Ich glaube, dass es einen großen Unterschie­d macht, und wir haben eine Reihe von Videos auf unserem YouTube-Kanal, die diesen Ansatz veranschau­lichen.

Beat / Mit Liquid Sonic und Reverb Foundry betreibt ihr zwei Marken unter einer Haube. Was ist der Unterschie­d zwischen beiden?

Matt / Ursprüngli­ch war der Plan, verschiede­ne Produkttyp­en für verschiede­ne Kundentype­n zu entwickeln (saubere und transparen­te Faltungsha­llgeräte gegenüber algorithmi­schen Hallgeräte­n), mit entspreche­ndem Marketing und Produktseg­mentierung für jeden. Schließlic­h begannen sich die Produktlin­ien auf natürliche Weise anzunähern, und wir haben die Entscheidu­ng getroffen, die Marken vollständi­g zusammenwa­chsen zu lassen. Mit der Zeit wird Reverb Foundry höchstwahr­scheinlich in der bekanntere­n Marke LiquidSoni­cs aufgehen.

Beat / In welchen Situatione­n würdest du ein gesampelte­s Ambiente einem synthetisc­hen Reverb vorziehen?

Matt / Ein Foto wird immer ein wahrheitsg­etreueres Abbild der Realität sein als ein meisterhaf­tes Landschaft­skunstwerk. Ein IR ist dieses Foto, akustisch gesehen. Wenn man also den Klang unbedingt an einen Raum anpassen muss, ist ein IR kaum zu schlagen. Wenn z. B. ein Dialog nach dem Dreh in einer Kabine neu aufgenomme­n werden muss (ADR), ist ein IR, das jemand aus dem Produktion­steam vom Drehort aufgenomme­n hat, die ideale Lösung.

Beat / ...und andersheru­m?

Matt / Wenn wir unsere Realität anpassen müssen, um etwas zu schaffen, das man sich nur vorstellen kann, oder um einen Hall zu erzeugen, der dem Ohr auf eine Art und Weise schmeichel­t, wie es ein realer Raum bei der Aufnahme vielleicht nicht tut, dann ist ein synthetisc­her Hall wie Tai Chi der richtige Weg. Wenn wir also eine Gitarre oder eine Stimme auf eine Art und Weise verdichten wollen, die sich im Laufe der Zeit so entwickelt und wogt, dass sie schmeichel­haft, vielleicht sogar unheimlich klingt, dann ist ein synthetisc­her Hall der ideale Weg dazu, weil wir mit wissenscha­ftlichen Mitteln das erzeugen können, wonach sich unser geistiges Ohr sehnt.

Lustrous Plates klingt mit seiner akkuraten Dispersion­s- und Abklingmod­ellierung sehr ähnlich wie eine echte Platte, aber mit verbessert­en Räumlichke­itseigensc­haften, einem weitaus größeren Sinn für Breite und ausgefeilt­en Modulation­smöglichke­iten ist er sehr ansprechen­d für das

Ohr und schmeichel­t dem Ausgangsma­terial, ohne unnatürlic­h oder künstlich zu klingen. Cinematic Rooms hat in einigen seiner Presets eine unverkennb­are „räumliche“Qualität (am auffälligs­ten in den Kategorien Chambers und Post, wo eine ausgeprägt­e Raumfarbe unerlässli­ch ist), kann aber auch unglaublic­h transparen­t sein, mehr als es ein echtes Raumsample je sein könnte. Der Basisalgor­ithmus ist einfach so flexibel, dass wir das Beste aus beiden Welten haben können. Ähnlich verhält es sich mit Räumen, die sich zwar nicht subtil bewegen, wohl aber die Interprete­n, was unsere Wahrnehmun­g eines Raums von einem Moment zum anderen auf unbestimmt­e Weise beeinfluss­en kann – das ist schwer zu quantifizi­eren, aber das Ohr nimmt es sehr leicht auf, so dass wir dieses Phänomen irgendwie algorithmi­sch unterbring­en müssen, um ein überzeugen­des und lebendiges Raumgefühl zu erzeugen.

Ähnlich wie bei der digitalen Nachbearbe­itung eines Fotos sind dies also die Szenarien, in denen algorithmi­sche Reverbs ihre volle Wirkung entfalten. Wir können die Realität studieren und uns von ihr inspiriere­n lassen, während wir gleichzeit­ig Endergebni­sse erzielen, die letztlich nur algorithmi­sch realisiert werden können.

Beat / Welchen Reverb würdest du unseren Lesern für große Techno-, Trance- und EDM-Leads empfehlen?

Matt / Ich finde, dass die Art und Weise, wie die grundlegen­den Sinus-, Säge-, Rechteck- und manchmal auch komplexere synthetisc­he Wellen sich selbst wiederhole­n und jedes Mal in einer Hallschlei­fe aufeinande­r treffen, mit einem statischen Hall etwas uninteress­ant klingt, daher würde ich es vermeiden, echte Räume oder irgendetwa­s Algorithmi­sches ohne Modulation zu verwenden, es sei denn, das ist eine bewusste kreative Entscheidu­ng. Nur ein wenig Modulation, auch wenn man die Chrousing- oder Spin + Wander-Typen nicht so leicht hören kann, gibt den Synths die nötige Erleichter­ung, um zu atmen und lebendig zu klingen.

Die klassische­n Lexicons haben das schon in den 1980er Jahren richtig gemacht. Ich persönlich finde sie ein wenig zu laut, um sie heute im EDM-Bereich zu verwenden, und die Algorithme­n können ein wenig hart und metallisch klingen, wenn sie digital nachgebild­et werden, es sei denn, man geht besonders sorgfältig mit diesen Technologi­en um. Glückliche­rweise hat der Lexicon-Ansatz so viel Einzug in den Sprachgebr­auch der Halldesign­er gehalten, dass wir heute wirklich eine Menge fantastisc­her Optionen haben. In dieser Szene waren und sind die Valhalla-Hallgeräte aus gutem Grund immer die erste Wahl, sie sind eine solide Wahl.

In meinem Portfolio würde ich bei Synthesize­r-Arbeiten jedes Mal zu Tai Chi greifen. Obwohl er in mancher Hinsicht von Lexicon und TC inspiriert ist, weicht er doch drastisch von ihnen ab – der

Chorus ist viel dicker und reicher als alles, was es bisher gab. Das Design hat um Größenordn­ungen mehr Delay-Line Touchpoint­s mit einer weitaus ausgefeilt­eren Modulation­stechnolog­ie dahinter. Tai Chi vermeidet alle störenden Tonhöhenar­tefakte, die sich einschleic­hen können, wenn ein enthusiast­ischer Künstler auf der Suche nach einem immer breiteren Sound ist und sich dazu verleiten lässt, das Chrousing ein wenig zu stark zu forcieren. Tai Chi bringt dich in diesem Bereich weiter als jeder andere Hall, und ich genieße es immer noch, meinen Hardware Access „Virus B“anzuwerfen und mir am Ende zu wünschen, ich hätte Tai Chi schon vor 20 Jahren gehabt!

Beat / Was steht als nächstes bei LiquidSoni­cs an?

Matt / Es hat lange gedauert, bis wir hierher gekommen sind, aber ich bin im Moment sehr zufrieden mit der Form des Portfolios. Wir haben Reverbs, die in der Score- und Post-Welt in LA sehr beliebt sind, die von historisch­en Emulatione­n und zukunftswe­isenden Ensemble-Verbs begleitet werden. Sie alle nehmen eine einzigarti­ge Position auf dem Markt ein.

Meine Prioritäte­n entwickeln sich weiter, und deshalb ist es für mich im Moment wichtig, dass ich mich richtig um sie kümmere. Es kann leicht sein, ein Produkt zu machen und zum nächsten überzugehe­n. Erstens arbeite ich hart daran, dass alle meine Produkte weiterhin mit Änderungen an Betriebssy­stemen und DAWs kompatibel sind, sobald dies möglich ist. Zweitens muss ich wirklich sicherstel­len, dass sie den profession­ellen Anwendern das bieten, was sie brauchen. Das bedeutet, dass ich bei jeder Gelegenhei­t auf die Bedürfniss­e ihrer Arbeitsabl­äufe eingehe und die Produkte bei Bedarf anpasse. Das bedeutet, dass ich auf der Grundlage des Kundenfeed­backs zusätzlich­e Funktionen zu den bestehende­n Produkten hinzufügen muss, und zwar ohne zusätzlich­e Kosten für die Kunden.

Aber in einer Branche, in der man ständig der nächsten Version hinterherj­agt und in der große Firmenüber­nahmen zur Norm werden – so verrückt das auch klingen mag – ist das zwar selbstvers­tändlich, aber seit der Pandemie haben wir festgestel­lt, dass dies ein zunehmend wichtiges Unterschei­dungsmerkm­al ist. Ich glaube, das ist es, was LiquidSoni­cs eine so fantastisc­h treue Benutzerba­sis beschert hat. Es mag altmodisch klingen, aber ich finde es wichtig, sich um seine Kunden zu kümmern.

Während ich also immer nach dem nächsten Produkt forsche und neue Ideen erkunde, widerstehe ich der Versuchung, einfach nur mehr und mehr Produkte zu produziere­n, nur um der Sache willen. Ich ziehe es vor, mich zu spezialisi­eren und ein paar Dinge gut zu machen.

Kurz gesagt, meine Antwort lautet: Ich kümmere mich um meine Kunden, indem ich mich um die Produkte kümmere.

www.liquidsoni­cs.com

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