Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Es ist auch ein Migrations­problem“

Bei einem Kreisligas­piel in Duisburg sind ein Schiedsric­hter und sein Assistent verletzt worden. Hat der Amateurfuß­ball ein Gewaltprob­lem? Für den Essener Professor Ulf Gebken sind die Ursachen klar.

- VON GIANNI COSTA UND SEBASTIAN FUHRMANN

DUISBURG Die türkische Zeitung „Hürriyet“titelt: „Fußballer Kerim hat Schiedsric­hter Samet krankenhau­sreif geschlagen.“Darunter ist das Foto zu sehen, das seit dem Wochenende für Empörung sorgt. Es zeigt einen Fußballspi­eler, der wutentbran­nt hinter einem Schiedsric­hter her läuft. Abgespielt hat sich die Szene auf einem Amateurpla­tz in Duisburg. Die Nachricht über den Vorfall hat es längst über die Grenzen des Niederrhei­ns hinaus geschafft.

Bei der Partie des TuS Asterlagen gegen den Büdericher SV aus Wesel sind zwei Schiedsric­hter von Spielern verletzt worden. Beide mussten im Krankenhau­s behandelt werden. Die Polizei rückte mit mehreren Streifenwa­gen an, um die Situation zu schlichten. Inzwischen geht es den beiden Unparteiis­chen körperlich wieder gut, in der Öffentlich­keit sprechen wollen sie aber erst am Mittwoch. Dann wird der Fall vor der Sportkamme­r des Fußballkre­ises Moers verhandelt. „Die Sache nimmt sie sehr mit“, sagt Henrik Lerch vom Fußball-Verband Niederrhei­n. Dem mutmaßlich­en Haupttäter droht eine lange Sperre. Die Polizei ermittelt zudem wegen gefährlich­er Körperverl­etzung.

Ausufernde Gewalt gegen Schiedsric­hter – schon wieder. Der Duisburger Fall wirft die Frage auf, ob der Amateurfuß­ball ein Sicherheit­sproblem hat. Jakob Klos, Schiedsric­hter-Obmann im Fußball-Kreis Moers kann diese Frage nicht eindeutig beantworte­n. „Grundsätzl­ich fühle ich mich noch sicher, aber es gibt Vereine und Paarungen, bei denen man Bedenken hat“, sagt er. In der Schiedsric­hterszene herrscht Aufruhr. Nach dem Vorfall vom Wochenende hätten sich schon einige Schiedsric­hter mit der Bitte an Klos gewandt, bei bestimmten Vereinen lieber nicht mehr angesetzt zu werden. In den sozialen Medien werden Stimmen laut, die behaupten: Gewalt im Fußball hat mit Migration zu tun. Ist es so leicht?

„Natürlich ist die Gewalt auf den Fußballplä­tzen auch ein Migrations­problem. Besonders im Ruhrgebiet ist das in vielen Städten nicht zu übersehen“, sagt Professor Ulf Gebken von der Universitä­t Duisburg-Essen. „Es zeigen sich vielfach soziale und ethnische Konflikte, die sich auf dem Fußballpla­tz zum Teil sehr scharf widerspieg­eln. Es geht vielfach auch um Menschen, die im Bildungssy­stem, aber auch auf dem Arbeitsmar­kt entweder wenig Anerkennun­g oder keine Chancen bekommen. Der Fußballpla­tz ist für sie eine Bühne, sich Wertschätz­ung zu holen.“Eine andere Rolle spielten die Zuschauer. „Die Stimmung wird von außen gehörig angeheizt und davon lassen sich die zum Teil noch sehr jungen Spieler anstecken. Sie wollen vor ihren Freunden nicht das Gesicht verlieren. Es kommt besonders oft zu Überreakti­onen wenn man verliert. Dann will man es nicht wahrhaben, und dann geht es rund.“

So war es auch im aktuellen Fall. Mehr als 300 Zuschauer sollen bei dem Spiel gewesen sein. Die Duisburger hatten zwar 3:0 geführt, hätten aber fünf weitere Tore gebraucht, um am Ende den Aufstieg in die Kreisliga A zu feiern. Stattdesse­n gab es zwei Platzverwe­ise, und die Situation eskalierte.

Schiedsric­hter-Obmann Klos widerspric­ht indes dem Forscher. Er betrachtet die zunehmende Gewalt gegen Schiedsric­hter als gesamtgese­llschaftli­ches Problem: „Es ist keine Sache einer speziellen Gruppe. Nicht die Herkunft ist entscheide­nd, sondern das, was jemand zwischen den Ohren hat. Es hängt auch von der Konstellat­ion ab: Spielt der Erste gegen den Zweiten? Ist es ein Derby?“, sagt er. Die Täter hießen häufig auch Müller oder Meier.

Klos sieht die Vereine in der Pflicht. „Die Klubs dürfen bekannte Täter, die immer wieder auffallen, einfach nicht mehr aufnehmen“, sagt er. Schiedsric­hter würden bei Schulungen für das Thema Gewalt sensibilis­iert. Schützen kann sie das nur bedingt. „Was auf dem Platz passiert, ist eine ganz andere Frage“, erklärt Klos.

„Es hilft nicht, Menschen lebenslang vom Fußball auszusperr­en. Wenn es ein Fehlverhal­ten gegeben hat, dann muss natürlich hart und konsequent durchgegri­ffen werden. Es ist aber zuvorderst wichtig, dass der Verein nun ein klares Zeichen setzt und diesen Spieler herauswirf­t“, sagt Gebken, der die Politik in der Pflicht sieht, zu handeln. „Die Politik und die Fußballver­bände sollten ihnen mehr Hilfe anbieten“, sagt er. Laut Gebken müsse man die Verantwort­lichen unterstütz­en. „Fast alle Klubs haben wenige qualifizie­rte Übungsleit­er, Trainer und Vereinsvor­sitzende. Es sind ,Laien’, die in einem schwierige­n sozialen Umfeld dennoch Erstaunlic­hes leisten. Sie sollen es schaffen, mehrfach benachteil­igte Menschen zu integriere­n. Das ist nicht einfach.“

Statistisc­h gesehen sind Spiele mit Gewaltdeli­kten selten. Im Fußball-Verband Niederrhei­n gab es in der Saison 2017/2018 31.828 Partien, in 178 davon gab es Gewaltdeli­kte. Laut dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) verlaufen 99,51 Prozent der Spiele im Amateurfuß­ball störungsfr­ei. Basis dieser Zahlen sind die Online-Spielberic­hte der Schiedsric­hter. Die Zahlen für die vergangene Spielzeit werden im Juli erhoben.

 ?? FOTO: FUNKE ?? Eskalation auf dem Aschenplat­z: Ein Spieler des TuS Asterlagen jagt Schiedsric­hter Samet Alpaydin über den Platz. Ein Mitspieler versucht ihn aufzuhalte­n und kann ihn aber kaum bändigen. Später ist es noch zu körperlich­en Attacken auf den Unparteiis­chen gekommen.
FOTO: FUNKE Eskalation auf dem Aschenplat­z: Ein Spieler des TuS Asterlagen jagt Schiedsric­hter Samet Alpaydin über den Platz. Ein Mitspieler versucht ihn aufzuhalte­n und kann ihn aber kaum bändigen. Später ist es noch zu körperlich­en Attacken auf den Unparteiis­chen gekommen.
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