Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Es ist auch ein Migrationsproblem“
Bei einem Kreisligaspiel in Duisburg sind ein Schiedsrichter und sein Assistent verletzt worden. Hat der Amateurfußball ein Gewaltproblem? Für den Essener Professor Ulf Gebken sind die Ursachen klar.
DUISBURG Die türkische Zeitung „Hürriyet“titelt: „Fußballer Kerim hat Schiedsrichter Samet krankenhausreif geschlagen.“Darunter ist das Foto zu sehen, das seit dem Wochenende für Empörung sorgt. Es zeigt einen Fußballspieler, der wutentbrannt hinter einem Schiedsrichter her läuft. Abgespielt hat sich die Szene auf einem Amateurplatz in Duisburg. Die Nachricht über den Vorfall hat es längst über die Grenzen des Niederrheins hinaus geschafft.
Bei der Partie des TuS Asterlagen gegen den Büdericher SV aus Wesel sind zwei Schiedsrichter von Spielern verletzt worden. Beide mussten im Krankenhaus behandelt werden. Die Polizei rückte mit mehreren Streifenwagen an, um die Situation zu schlichten. Inzwischen geht es den beiden Unparteiischen körperlich wieder gut, in der Öffentlichkeit sprechen wollen sie aber erst am Mittwoch. Dann wird der Fall vor der Sportkammer des Fußballkreises Moers verhandelt. „Die Sache nimmt sie sehr mit“, sagt Henrik Lerch vom Fußball-Verband Niederrhein. Dem mutmaßlichen Haupttäter droht eine lange Sperre. Die Polizei ermittelt zudem wegen gefährlicher Körperverletzung.
Ausufernde Gewalt gegen Schiedsrichter – schon wieder. Der Duisburger Fall wirft die Frage auf, ob der Amateurfußball ein Sicherheitsproblem hat. Jakob Klos, Schiedsrichter-Obmann im Fußball-Kreis Moers kann diese Frage nicht eindeutig beantworten. „Grundsätzlich fühle ich mich noch sicher, aber es gibt Vereine und Paarungen, bei denen man Bedenken hat“, sagt er. In der Schiedsrichterszene herrscht Aufruhr. Nach dem Vorfall vom Wochenende hätten sich schon einige Schiedsrichter mit der Bitte an Klos gewandt, bei bestimmten Vereinen lieber nicht mehr angesetzt zu werden. In den sozialen Medien werden Stimmen laut, die behaupten: Gewalt im Fußball hat mit Migration zu tun. Ist es so leicht?
„Natürlich ist die Gewalt auf den Fußballplätzen auch ein Migrationsproblem. Besonders im Ruhrgebiet ist das in vielen Städten nicht zu übersehen“, sagt Professor Ulf Gebken von der Universität Duisburg-Essen. „Es zeigen sich vielfach soziale und ethnische Konflikte, die sich auf dem Fußballplatz zum Teil sehr scharf widerspiegeln. Es geht vielfach auch um Menschen, die im Bildungssystem, aber auch auf dem Arbeitsmarkt entweder wenig Anerkennung oder keine Chancen bekommen. Der Fußballplatz ist für sie eine Bühne, sich Wertschätzung zu holen.“Eine andere Rolle spielten die Zuschauer. „Die Stimmung wird von außen gehörig angeheizt und davon lassen sich die zum Teil noch sehr jungen Spieler anstecken. Sie wollen vor ihren Freunden nicht das Gesicht verlieren. Es kommt besonders oft zu Überreaktionen wenn man verliert. Dann will man es nicht wahrhaben, und dann geht es rund.“
So war es auch im aktuellen Fall. Mehr als 300 Zuschauer sollen bei dem Spiel gewesen sein. Die Duisburger hatten zwar 3:0 geführt, hätten aber fünf weitere Tore gebraucht, um am Ende den Aufstieg in die Kreisliga A zu feiern. Stattdessen gab es zwei Platzverweise, und die Situation eskalierte.
Schiedsrichter-Obmann Klos widerspricht indes dem Forscher. Er betrachtet die zunehmende Gewalt gegen Schiedsrichter als gesamtgesellschaftliches Problem: „Es ist keine Sache einer speziellen Gruppe. Nicht die Herkunft ist entscheidend, sondern das, was jemand zwischen den Ohren hat. Es hängt auch von der Konstellation ab: Spielt der Erste gegen den Zweiten? Ist es ein Derby?“, sagt er. Die Täter hießen häufig auch Müller oder Meier.
Klos sieht die Vereine in der Pflicht. „Die Klubs dürfen bekannte Täter, die immer wieder auffallen, einfach nicht mehr aufnehmen“, sagt er. Schiedsrichter würden bei Schulungen für das Thema Gewalt sensibilisiert. Schützen kann sie das nur bedingt. „Was auf dem Platz passiert, ist eine ganz andere Frage“, erklärt Klos.
„Es hilft nicht, Menschen lebenslang vom Fußball auszusperren. Wenn es ein Fehlverhalten gegeben hat, dann muss natürlich hart und konsequent durchgegriffen werden. Es ist aber zuvorderst wichtig, dass der Verein nun ein klares Zeichen setzt und diesen Spieler herauswirft“, sagt Gebken, der die Politik in der Pflicht sieht, zu handeln. „Die Politik und die Fußballverbände sollten ihnen mehr Hilfe anbieten“, sagt er. Laut Gebken müsse man die Verantwortlichen unterstützen. „Fast alle Klubs haben wenige qualifizierte Übungsleiter, Trainer und Vereinsvorsitzende. Es sind ,Laien’, die in einem schwierigen sozialen Umfeld dennoch Erstaunliches leisten. Sie sollen es schaffen, mehrfach benachteiligte Menschen zu integrieren. Das ist nicht einfach.“
Statistisch gesehen sind Spiele mit Gewaltdelikten selten. Im Fußball-Verband Niederrhein gab es in der Saison 2017/2018 31.828 Partien, in 178 davon gab es Gewaltdelikte. Laut dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) verlaufen 99,51 Prozent der Spiele im Amateurfußball störungsfrei. Basis dieser Zahlen sind die Online-Spielberichte der Schiedsrichter. Die Zahlen für die vergangene Spielzeit werden im Juli erhoben.