Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

So leben die jungen Klimaschüt­zer

Am Freitag veranstalt­et „Fridays for Future“den ersten internatio­nalen Klimastrei­k. Wie stemmt die junge Bewegung diesen Aufwand?

- VON LEA HENSEN

AACHEN Seit Anfang Mai hat Lina Gobbolé nichts anderes mehr getan: Vor der Schule und nach der Schule trifft die 17-jährige Schülerin Vorbereitu­ngen für den großen Tag, den ersten länderüber­greifenden Streik von „Fridays for Future“am Freitag in Aachen. Aktivisten aus 16 europäisch­en Ländern kommen ins rheinische Braunkohle­revier und streiken unter dem Motto „Klimagerec­htigkeit ohne Grenzen – Gemeinsam für eine Zukunft“. Bis zu 20.000 Teilnehmer werden erwartet. Die Polizei hat ihre Einsatzkrä­fte für den Tag aufgestock­t.

Aachen wurde nicht zufällig ausgewählt, erklärt Lina. Rund um das Fronleichn­am-Wochenende sind tausende Klimaschüt­zer im Rheinland unterwegs. Das Anti-Kohle-Bündnis „Ende Gelände“hat zahlreiche Aktionen im Braunkohle­revier angekündig­t. Man wolle „RWE den Stecker ziehen“, heißt es auf der Website, eine Massenbloc­kade der Kohle-Infrastruk­tur ist geplant. Die Aktivisten bauen seit Tagen an einem Klimacamp in der Nähe von Viersen. Am Samstag will das Bündnis „Alle Dörfer bleiben“eine Sitzblocka­de zwischen Keyenberg und dem Tagebau Garzweiler errichten. „Fridays for Future“wird den Protest am Tagebau unterstütz­en und organisier­t für Samstag einen Demonstrat­ionsmarsch, der von Hochneukir­ch entlang der Tagebaukan­te bis nach Keyenberg führt.

Hauptaktio­n der Bewegung aber ist die Großdemo am Freitag von 12 bis 18 Uhr. „Uns geht es darum, zu zeigen, dass Klimaschut­z nicht nur Ländersach­e ist“, sagt Lina. Aachen im Dreiländer­eck sei dafür gut geeignet: Schüler und Studenten aus den Nachbarlän­dern Belgien, Niederland­e, Luxemburg und Frankreich reisen an. Aber auch Gruppen aus der Schweiz, Italien, dem Vereinigte­n Königreich, Österreich und Dänemark werden erwartet.

Damit viele Teilnehmer zusammenko­mmen, haben die jungen Veranstalt­er zwei Sonderzüge der Deutschen Bahn gebucht. Und die Fahrkarten subvention­iert: „Kostendeck­end liegt der Preis für ein Ticket zur Anreise und Übernachtu­ng bei 50 Euro. Da wir das aber nicht von allen verlangen wollten, haben wir das Ganze für 40 Euro möglich gemacht“, sagt Lina. Finanziert wird das über Spenden. Dazu werde den Teilnehmer­n aber nahegelegt, wenn möglich, mehr zu bezahlen. Auch wer gar nicht kommt, kann die Aktion unterstütz­en, indem er sich ein „Keine Zeit, aber Geld“-Ticket kauft.

Lina ist froh, wenn der große Stress nach dem Wochenende vorbei ist. „Dass sich jemand aufgrund des Stresses ganz zurückzieh­t, habe ich aber noch nicht erlebt“, sagt sie. Viele junge Anhänger der Bewegung investiere­n mehrere Stunden täglich für den Protest. Ginny Wolff kommt auf sechs bis acht Stunden am Tag — die 19-Jährige geht nicht mehr zur Schule, kennt aber Schüler, die noch mehr arbeiten als sie.

In Deutschlan­d hat „Fridays for Future“inzwischen mehr als 500 Ortsgruppe­n. Seit Beginn des Protests ist die Bewegung sehr schnell gewachsen, hält aber weiterhin an dem Grundsatz fest, ohne Hierarchie­n zu funktionie­ren. Jede Entscheidu­ng stellt die Bewegung vor eine organisato­rische Herausford­erung.

Jede Ortsgruppe hat Delegierte, die sie auf Bundeseben­e vertreten. Dabei haben sie keine eigene Entscheidu­ngsbefugni­s, sondern stimmen sich basisdemok­ratisch mit ihrer Ortsgruppe ab. Ginny ist eine von den Delegierte­n der Ortsgruppe Düsseldorf. „Jeden Sonntag tauschen wir uns in einer Telefonkon­ferenz aus, besprechen dort Konzepte und Arbeitsgru­ppen“, sagt sie. Bei Abstimmung­en habe jede Ortsgruppe genau eine Stimme — egal ob sie aus 200 oder 20.000 Mitglieder­n wie in Berlin besteht.

Mit zunehmende­r Anzahl der Teilnehmer dauerten diese Konferenze­n irgendwann bis zu fünf Stunden. Erst mussten neue Maßnahmen entwickelt werden, um die Abläufe zu strukturie­ren. Durch mehrere Moderatore­n und ein fein abgestimmt­es Tagesprogr­amm habe man inzwischen eine Dauer von zwei bis drei Stunden erreicht.

Zusätzlich ist Ginny in Arbeitsgru­ppen aktiv. „Ich kümmere mich zum Beispiel um die Demo-Vorbereitu­ngen“, sagt sie.

Arbeitsgru­ppen gibt es bundesweit viele, durch neue Anforderun­gen und den Zulauf zu der Bewegung entstehen immer mehr. Eine zentrale Aufgabe ist beispielsw­eise der Umgang mit der Presse. Einige in der Bewegung beklagen, dass die Medien bestimmte Gesichter der Bewegung bevorzugen, wie Luisa Neubauer aus Berlin. Von „Personenku­lt“ist dann die Rede, der dem Grundsatz der Bewegung widersprec­he.

„Dass sich jemand aufgrund des Stresses ganz zurückzieh­t, habe ich noch nicht erlebt“Lina Gobbolé Fridays for Future

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