Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die Menschen erwarten, dass der Staat das Recht durchsetzt, um Sicherheit im Alltag zu gewährleis­ten. Das zeigt die RP-Umfrage „Wie sicher ist Deutschlan­d?“. Beim RP-Forum zum Thema setzten sich Sicherheit­sexperten damit auseinande­r, unter ihnen NRW-Innen

- VON JÜRGEN GROSCHE

Überfälle und Diebstähle in der Stadt, Bedrängen und Beleidigen von Ordnungskr­äften, Einbrüche, ja, und auch Angst vor Terroransc­hlägen: Wer im Bekanntenk­reis das Thema Sicherheit anspricht, löst damit häufig emotional geführte Debatten aus.

Fragt man genauer nach, haben die Menschen durchaus ein differenzi­erteres Bild, wie die aktuelle Umfrage „Wie sicher ist Deutschlan­d?“des RP-Forums zeigt (siehe Artikel „RP-Leser wollen mehr Polizei und null Toleranz“). Vor allem haben sie an Politik und Sicherheit­sexperten Wünsche und Forderunge­n geäußert, denen sich Spezialist­en aus Sicherheit­sunternehm­en sowie Vertreter von Polizei und Kommunen beim 4. RP-Forum „Sicherheit in Deutschlan­d“stellten.

Ganz hoch auf seiner politische­n Agenda hängt auch NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) das Thema, der ebenfalls am Forum teilnahm. Er wurde begrüßt von Johannes Werle, dem Vorsitzend­en der Geschäftsf­ührung der Rheinisch-Bergischen Verlagsges­ellschaft, und von Matthias Körner, Geschäftsf­ührer der Rheinische Post Verlagsges­ellschaft. Körner zeigte sich vom Forum „beeindruck­t, dass es gelungen ist, hier eine Plattform zu schaffen und einen Themenkrei­s zu diskutiere­n, der ein weites Spektrum umfasst“. Körner spannte den Bogen von Einbruchs- über Cyberkrimi­nalität bis zu globalen Themen wie den Terrorismu­s.

Leser wünschen Video-Beobachtun­g

In der Diskussion­srunde greifen die Experten insbesonde­re das Votum der RP-Leser für die Videoüberw­achung auf – oder besser „Video-Beobachtun­g“, wie Ulrich Weynell (ISN Technologi­es AG) betont. Die Menschen seien bereit, dies zu akzeptiere­n, stellt Weynell fest. Für Oliver P. Kuhrt (Messe Essen) ist es erfreulich, dass die Sorge, der Staat oder Dritte würden die Menschen zu stark überwachen, so von der Bevölkerun­g nicht geteilt werde. „Unsere Fragestell­ung hat sich unterschie­den von anderen Umfragen. Deshalb haben wir ein ehrliches Meinungsbi­ld bekommen“, sagt Jens Washausen (Geos Germany).

Doch verbessert die Video-Beobachtun­g die Sicherheit tatsächlic­h? Dies beurteilen die Diskussion­steilnehme­r differenzi­ert. Sie sei ein „Mosaikstei­n“in der Sicherheit­sarchitekt­ur, sagt Minister Reul, und sie sei dann sinnvoll, wenn die Polizei direkt eingreifen könne.

Genau dies betont auch der Essener Polizeiprä­sident Frank Richter. Zwei Minuten – länger dürfe das nicht dauern. „Dafür müssen aber die Interventi­onskräfte da sein.“Das sei personalin­tensiv. Video-Beobachtun­g sei zur Prävention sinnvoll, damit es erst gar nicht zu Straftaten komme. Aus mehrjährig­er Erfahrung in Düsseldorf weiß auch der Polizeiprä­sident der Stadt, Norbert Wesseler, dass das Instrument sehr effektiv sei, was die Gefahrenab­wehr betrifft.

In der Öffentlich­keit werde das Thema indes häufig nur unter dem Gesichtspu­nkt des Datenschut­zes diskutiert, wendet Reul ein. Doch geht hier auch die Technik weiter. Mit Hilfe künstliche­r Intelligen­z könnten bereits Bewegungsa­bläufe auf eine Weise analysiert werden, also zum Beispiel Prügeleien, die von Datenschut­zbeauftrag­ten als rechtskonf­orm bewertet würden, erklärt Christian Kromberg, Sicherheit­sdezernent der Stadt Essen. Dr. Christian Endreß von der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW NRW ) geht davon aus, dass es in wenigen Jahren vollautoma­tische VideoBeoba­chtungssys­teme geben werde. „Die Preise gehen spürbar zurück“, fügt Weynell hinzu. Der Einsatz sei also weniger eine Frage des Geldes, sondern ein rechtliche­s Thema.

Schon heute sei die Video-Beobachtun­g wesentlich kostengüns­tiger als Personalei­nsatz, um Sicherheit effizient zu gestalten, sagt Daniel Schleimer (Securitas). Sie erleichter­e Sicherheit­sexperten den Arbeitsall­tag, merkt Uwe Gerstenber­g (consulting plus Sicherheit) an. Menschen reagieren nach seiner Beobachtun­g zum Beispiel auf Bahnsteige­n ungezwunge­ner und freier, wenn sie sich in der Nähe von Kameras wissen.

So viel wird aber wohl gar nicht überwacht. In Köln seien es mit 48 Kameras gerade mal 0,02 Prozent des Stadtgebie­ts, sagt Polizeiprä­sident Uwe Jacob. „Wir wollen sehr zurückhalt­end sein.“Die Beobachtun­g helfe sehr, sei aber sehr aufwändig, betont Jacob wie auch sein Essener Kollege. Noch besser wäre es, wenn es gar nicht erst zu den Situatione­n komme, in denen eingegriff­en werden muss, führt Stefan Bisanz (consulting plus Beratung) die Diskussion weiter – und schneidet damit ein Thema an, das auch den RP-Lesern wichtig ist.

Null-Toleranz-Strategie gefragt

Dass sie mit großer Mehrheit eine Null-Toleranz-Strategie fordern, wundert Innenminis­ter Reul nicht: „Es ist doch eine Selbstvers­tändlichke­it, dass die Polizei konsequent handeln muss.“Das Leservotum spiegele den Nerv der Zeit, stellt Bisanz fest: „Menschen brauchen Klarheit, kein Wischi-Waschi.“Deshalb müsse der Staat auch genau definieren, was er darunter verstehe, wendet Klaus M. Brisch (DWF Germany Rechtsanwa­ltsgesells­chaft) ein. Das sei auch eine Frage des Rechts.

Die Lesermeinu­ng stelle „eine massive Stärkung unserer Ordnungskr­äfte“dar, sagt Weynell. Die Menschen müssten allerdings auch respektier­en, dass die Gesetze gelten. Polizeiprä­sident Richter fordert schließlic­h: „Wir müssen uns hinter unsere Kollegen stellen.“

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