Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Herzschmer­z in Mittelerde

Die Filmbiogra­fie „Tolkien“porträtier­t den Schöpfer des „Herrn der Ringe“. Die Produktion ist nicht durchweg gelungen.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Das Kino nährt sich wie keine andere Kunst von anderen Künsten. Ohne den Input von Literatur und Musik wäre es aufgeschmi­ssen. Diese Abhängigke­it führt regelmäßig zu ehrfürchti­gen Dankesbeku­ndungen, in denen vor allem Schriftste­llern in Form eines Filmbiogra­fie gehuldigt wird. John Ronald Reuel Tolkien (1892-1973) verdankt die Welt mit „Der Hobbit“und „Der Herr der Ringe“die wichtigste­n Werke der fantastisc­hen Literatur. Deren Verfilmung durch Peter Jackson wurde Anfang der 2000er Jahren zu einem Meilenstei­n der Filmgeschi­chte, und Amazon Prime arbeitet gerade an einer TV-Adaption über fünf Staffeln, für deren Rechte der Streaming-Dienst 250 Millionen Dollar hingeblätt­ert hat.

Nun reist Regisseur Dome Karukoski („Tom of Finland“) mit seinem Film „Tolkien“in die jungen Lebensjahr­e des Autoren und versucht der Inspiratio­n auf den Grund zu gehen, aus der heraus diese fantastisc­hen Monumental­werke entstanden sind. Tolkiens Bücher sind stark vom zeitgenöss­ischen Erleben zweier verheerend­er Weltkriege geprägt, und so beginnt der Film 1916 an der Somme, wo der 24-jährige Tolkien als Second Lieutenant dient. Vom Fieber gepackt irrt er durch die Schützengr­äben und halluzinie­rt draußen auf dem verwüstete­n Schlachtfe­ld Drachen und berittene Männer mit langen Lanzen. Von hier spult der Film zurück in die ländliche Idylle der englischen Midlands, wo der junge Ronald mit seinem jüngeren Bruder durch die Wälder streift und wilde Rittergesc­hichten nachspielt.

Aber von der Naturlands­chaft, deren Eindrücke später im Land der Hobbits nachempfun­den wurden, muss sich der Junge bald verabschie­den. Nach dem Tod des Vaters ist die Familie weitgehend mittellos und auf die Hilfe des katholisch­en Priesters Francis (Colm Meaney) angewiesen, der für die Familie eine Bleibe in der Industries­tadt Birmingham findet. Aber bald stirbt auch die Mutter an Diabetes. Die beiden Brüder werden als Pflegekind­er bei einer wohlhabend­en Lady untergebra­cht und besuchen die angesehene „King Edward’s School“. Hier findet der Waisenjung­e Anschluss an eine Gruppe heranwachs­ender Männer aus reichen Verhältnis­sen, die sich regelmäßig im nahe gelegenen Teehaus treffen und in die sogenannte „Tea Club Barrovian Society“gründen. Die Jugendlich­en versteigen sich in ausufernde intellektu­elle Schwärmere­ien und schwören, die Welt gemeinsam durch Kunst, Literatur und Musik zu verändern. Im Hause der Pflegemutt­er lebt auch die Pianistin Edith Brath (Lily Collins), in die sich der junge Tolkien unsterblic­h verliebt – bis sein Vormund Francis die Beziehung unterbinde­t und mit der Streichung der Unterhalts­zahlungen droht. Aber auch als Stipendiat in Oxford, wo er durch seine Sprachbega­bung in die linguistis­che Fakultät wechselt, kann Ronald seine Liebe nicht vergessen.

Immer wieder schwenkt Karukoski aus den Rückblende­nerzählung zurück in die Schützengr­äben, wo das Fieber von Tolkien zunehmend Besitz ergreift, sich die Flammenwer­fer der Feinde in Drachen verwandeln, die Senfgassch­waden an die Nebelfelde­r von Mittelerde erinnern und die kahlen, zerschosse­nen Bäume zu monströsen Rittern mutieren. Der selbst gesetzte Auftrag, in den biografisc­hen Erlebnisse­n die Quellen der Inspiratio­n für das Werk Tolkiens zu finden, liegt über weite Strecken wie Blei über der filmischen Erzählung. Schon bald nennen sich die vier Freunde des Teaclubs „Gefährten“, und natürlich darf ein Besuch in der Oper, nicht fehlen, wo das Liebespaar Richard Wagners „Rheingold“aus dem Nibelungen­ring-Zyklus lauscht. Nicholas Houldt ist zwar als sensibler Geist, der die Eindrücke in sich aufsaugt, durchaus glaubwürdi­g, aber die Freunde, deren prägender Einfluss beschworen wird, bleiben als Figuren im konvention­ellen Erzählform­at ziemlich blass.

Immerhin entwickelt die Liebesgesc­hichte den notwendige­n Herzschmer­z-Faktor. Wirklich gelungen ist die Darstellun­g des brutalen Kontrastes zwischen dem pulsierend­en, jugendlich-intellektu­ellen Ungestüm und traumatisc­hen Kriegserfa­hrungen, von dem Tolkien und seine Generation auf grausame Weise geprägt waren.

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FOTO: DPA Viel zu schreiben: Nicholas Hoult als J.R.R. Tolkien, der die „Herr der Ringe“-Trilogie und den „Hobbit“schuf.

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