Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Brandenburger Frust
Gut zwei Monate vor der Landtagswahl führt die AfD in den Umfragen. Warum nur? Eine Spurensuche in der Lausitz.
SCHENKENDÖBERN Steffen Krautz schließt den Wasserschlauch an. Das frisch gepflanzte Grün soll in diesen superheißen Tagen nicht braun werden. Hinter ihm eine prächtige Kulisse. Elf Hektar misst der Deulowitzer See inmitten von Kiefernund Laubwäldern, ein paar Kinder planschen am Rand. Es fühlt sich an wie Entschleunigung. Die große Politik scheint weit weg. Und doch ist sie ganz nah. Denn das ist der Wahlkreis von Ministerpräsident
Dietmar Woidke
(SPD). Er könnte ihn bei der Landtagswahl am 1. September an die
AfD verlieren. So wie CDU-Landeschef
Ingo Senftleben seinen eigenen direkt nebenan. In der jüngsten Umfrage liegt die AfD mit 21 Prozent auf Platz eins, vor SPD (18), CDU (17), Grünen (17) und Linken (14). Was ist nur los in diesem Brandenburg?
Krautz setzt sich auf die Terrasse der See-Gaststätte „Flemming’s“, die seine Frau betreibt. Er selbst kümmert sich um die Logistik des Kunststoffkonzerns Trevira. Als die Mauer fiel, hat er als Jugendlicher in seiner Heimatstadt Weimar mit auf der Straße gestanden, dann den Prominenten der Welt in die Augen geschaut. Nelson Mandela, Bill Clinton, Benjamin Netanjahu. Denn seine Soldatenzeit verbrachte er beim Wachbataillon in Siegburg, Bonn und Berlin.
Und nun Schenkendöbern in der Niederlausitz. Hier ist er gerade für die SPD in den Gemeinderat gewählt worden. Mit großem Erfolg. In diesen Tagen! Für die SPD! Warum? „Typisch Krautz“, sagt man auf den Straßen. Wenn der SPD-Mann die Fassade seines Hauses erneuern muss und sich ganz unkonventionell für eine Textilfassade entscheidet. Oder wenn er keinen Infostand, keine Parteiveranstaltung macht im ganzen Wahlkampf, sondern von Haus zu Haus zieht. „Man muss mit den Leuten reden, sonst baut sich zu viel Frust auf“, sagt er, der vor einigen Jahren selbst vornehmlich mit viel Frust unterwegs war.
Da sollte auch sein Wohnort vom Braunkohletagebau weggebaggert werden. Er war parteilos und hatte das Gefühl, mit seinen Argumenten in der Kohledebatte nie zum Zuge zu kommen. „Du trittst jetzt in die SPD ein, dann sitzt du mit am Tisch, wenn darüber beraten wird“, sagte er sich. Er ist dabei nicht zum typischen Politiker geworden. Wenn die Bürger fragen, ob man wegen der steigenden Kriminalität im deutsch-polnischen Grenzgebiet nicht die Straßenbeleuchtung die ganze Nacht brennen lassen könnte, dann akzeptiert er nicht, dass das an den Mehrkosten scheitern soll. „Verwaltungen verwalten zu viel, sie sollten mehr gestalten“, sagt der 46-Jährige. Rückenwind von der desolaten Bundespartei erwartet die SPD in Brandenburg nicht. Manches kann auch Krautz nicht ändern. Wie etwa den Lebenslauf von Juso-Chef Kevin Kühnert. Da hört er dann beim Wahlkampf an der Haustüre Sätze wie „Steffen, ich habe der SPD viel zu verdanken, aber mit euren Leuten da oben komme ich nicht mehr zurecht.“Da verweist auch Krautz lieber auf das, was er für Lausitz und Land vorhat.
Brandenburg ist zerrissen wie selten. Rund um Berlin verdoppeln manche Orte ihre Einwohnerzahl, kommt die Infrastruktur kaum nach, entsteht Ärger über die Handelnden. Abseits der Regionalzugbahnhöfe verlassen viele ihre Dörfer, wird die Infrastruktur ausgedünnt, entsteht ebenfalls nur Ärger über die Handelnden. Für Krautz ist ein Übel in Brandenburg, dass die großen Parteien sich zu sehr an den Bedürfnissen in den Städten ausrichten.
80 Kilometer weiter, vom Deulowitzer zum Senftenberger See. Im kleinen Hafen dümpeln die Boote. Die Marina ist picobello. Nur ein paar Schritte sind es bis zum Landratsamt. Hier sitzt Siegurd Heinze (58). An der Wand hängt ein Steuerrad. Seine Mitarbeiter haben es ihm zur Wiederwahl geschenkt. Die hat er, als parteiloser Kandidat mit CDU-Unterstützung, grandios gewonnen. Und das, obwohl er den Oberspreewäldern viel zugemutet hat. Als er vor zehn Jahren übernahm, war der Landkreis tief verschuldet. Nun hat er die roten in schwarze Zahlen verwandelt. Das Erfolgsrezept für Politiker in Brandenburg bringt Heinze auf die Formel: „Wir müssen mehr zuhören als reden und dann tun, was wir sagen.“
Das heißt konkret etwa, dass Heinze die Flüchtlinge nicht in Sammelunterkünfte schickte, sondern von Anfang an in den Dörfern und Städten unterbrachte, dabei aber sehr nachdrücklich darauf achtete, dass Menschen ohne Bleiberecht auch nicht mehr blieben. Auf den Straßen hat Eindruck gemacht, wie er sich mit seinen Mitarbeitern um einen „Problem-Syrer“kümmerte, der die Gegend unsicher machte. Mit Nachdruck, Einfühlungsvermögen und Geld für den Neustart brachte er den Flüchtling dazu, freiwillig in seine Heimat zurückzukehren. Auch bei vielen anderen Fällen setzt Heinze auf Konsequenz und auf Abschiebung.
Die beiden Brandenburger Politiker sind zwei grundverschiedene Typen. Aber sie sind Typen. Wenn Heinze nach seinen Hobbys gefragt wird, dann kommt als Antwort: Traktorfahren durch den Wald. Heinze und Krautz stehen in unterschiedlichen politischen Lagern, aber sie schätzen sich gegenseitig für ihre Gradlinigkeit und für ihre Überzeugung. Und sie können verstehen, dass der Kohlekompromiss die Lausitzer aufgewühlt hat und manche auch deshalb damit liebäugeln, aus Protest die AfD zu wählen. Zwar hat auch Krautz keinerlei Sympathie für die AfD, aber zugleich ist es für ihn „ein totaler Fehler, die AfD zu verteufeln“. Schließlich gebe es auch AfD-Politiker, die „gute Fragen stellten und Ideen haben, mit denen man sich beschäftigen sollte“.
150 Kilometer nördlich blickt ein AfD-Politiker auch auf ein Gewässer. Alte Fahrt heißt der Kanal vor dem Potsdamer Landtag. Andreas Kalbitz trägt ein Fallschirmjägerabzeichen am Revers. Der 46-Jährige ist AfD-Chef in Brandenburg und fest im rechtsnationalen Höcke-Flügel verankert. Nun will er die AfD in Brandenburg so stark machen wie nie zuvor. Die Umfragen bescheinigen ihm, auf dem rechten Weg zu sein.
Und was ist seine Strategie? „Wir sprechen unsere Zielgruppen sehr klar an, mit klarem Deutsch, klaren Positionen und in einer hohen Frequenz vor Ort.“Dass SPD und CDU derart unter die Räder gekommen sind, führt er auf deren Beliebigkeit zurück. Und dass die AfD von den Linken sogar noch mehr Wechselwähler bekomme als von der CDU, liege an deren „Gender-Gaga, Flüchtlingszirkus, Minderheitenfixierung“und daran, dass sie „die normalen Menschen aus dem Blick verloren“hätten. Kalbitz hat für Brandenburg die Position der größten Fraktion im Blick, glaubt aber noch nicht an Ministerämter. „Wenn, dann wird Sachsen die Eisbrecherfunktion für eine AfD-Regierungsbeteiligung übernehmen“, sagt er voraus. Und nimmt einen kräftigen Schluck von seiner selbstgemachten Himbeerlimonade.
Wenigstens die ist noch rot in Brandenburg.