Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Als der Wagen nicht kam
Die erste Hälfte des Jahres 1944 ging nach der Verhaftung Moltkes in unserm Kreise in gewohnter Weise, aber ständig steigender Spannung hin. Die Ereignisse auf den Kriegsschauplätzen mit der Fülle der Rückschläge machten es immer deutlicher, dass die Zeit zum Handeln nun endlich reif war. Jedes längere Zögern verschlimmerte Hunger, Trümmer und Tod in Deutschland und der ganzen Welt. Jede Stunde machte den Zusammenbruch schlimmer und auswegloser.
Schließlich war es Ende Juni so weit, dass die Würfel geworfen werden sollten. Lukaschek war wie so oft am 21. Juni nach Berlin gekommen. Auch Pater König wohnte bei uns, der aus irgendeinem Anlass von München herkam. Infolgedessen kam Yorck nachmittags zu uns und erzählte von einem Plan Lebers und Reichweins, mit den Kommunisten
Fühlung zu nehmen. Wir trafen uns dann am Abend des 29. Juni – es kann auch am Tage vorher oder nachher gewesen sein – bei Yorck. Anwesend waren dort außer Yorck – ob die Gräfin in Kauern war, weiß ich nicht mehr – Lukaschek, Leber, Reichwein, Haubach, Trott und wahrscheinlich auch Gerstenmaier und Pater König. Leber und Reichwein legten ihren Plan dar, mit zwei Kommunisten, deren Namen ich vergessen habe, Fühlung aufzunehmen. Es war nicht beabsichtigt, sie zu einer Zusammenarbeit und Beteiligung bei der Neuordnung zu bewegen, sondern sie darüber zu orientieren, dass im Falle eines Unternehmens gegen Hitler es sich nicht um einen wilden Generalsputsch handele, sondern um eine auch von den Sozialdemokraten getragene Aktion. Dadurch sollte vermieden werden, dass die Kommunisten das Wehrmachtunternehmen etwa mit der Ausrufung eines Generalstreiks beantworten würden, der die Fronten zerbrochen, die neue Regierung nach innen und außen handlungsunfähig gemacht und das gesamte Elend noch gesteigert haben würde. Gegen diese an sich sehr verständige und naheliegende Absicht haben wir sofort, als Yorck sie mitteilte, mit ihm zusammen das Bedenken erörtert, ob diese Kommunisten wohl zuverlässig und auch hinreichend einflussreich bei ihren Genossen wären. Die Gestapo hatte die kommunistische Partei zerschlagen und ihre Funktionäre, soweit sie nicht nach Russland oder sonst ins Ausland geflüchtet waren, in die Konzentrationslager oder ins Zuchthaus gebracht. Selbst die zu langjährigem Zuchthaus verurteilten wurden nach Abbüßung der Strafe nicht freigelassen, sondern weiter im Zuchthaus oder im Konzentrationslager behalten. Es erschien daher seltsam, dass zudem noch gar einflussreiche Kommunisten sich auf freiem Fuß befinden sollten. Der Verdacht lag nahe, dass sie nur deshalb aus dem Konzentrationslager, in dem sie mit Leber zusammen gewesen waren, entlassen worden waren, um Spitzeldienste zu leisten, es sei denn, dass es sich um ganz bedeutungslose, der Gestapo ungefährlich erscheinende Leute handelte. Diese Bedenken brachten wir vor. Leber und Reichwein erklärten sich jedoch überzeugt, dass die Leute anständig und auch kompetent seien. Daraufhin stimmten alle dem Plan zu.
Wenige Tage später – ich glaube, es war am 4. Juli – kam Yorck abends in höchster Bestürzung mit der Nachricht, Leber und Reichwein seien von der Gestapo verhaftet.