Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Wie BMW die Kurve kriegte

Der deutsche Motorradba­u war vor 40 Jahren fast am Ende. Dann versuchte BMW es noch einmal mit einem skurrilen Allzweckbi­ke. Heute ist die „GS“das erfolgreic­hste Motorrad Europas. Unterwegs mit der jüngsten Version.

- VON THOMAS REISENER FÜR DIESEN REPORT WURDE DER REDAKTION VON BMW EINE R1250GS ZUR VERFÜGUNG GESTELLT.

Schlechter kann ein Motorradur­laub kaum beginnen. Der Regen und das miese Hotel sind nicht das Problem. Viel schlimmer: Das Pässe-Dreieck Susten-Furka-Grimsel ist gesperrt. Unfassbare Schneemass­en machen diese vielleicht schönsten Hochstraße­n der Alpen sogar Mitte Juni noch unbefahrba­r. Und einen anderen Grund, sich für den Tourstart ausgerechn­et im schweizeri­schen Innertkirc­hen – dem bräsigsten aller Bergdörfer – zu treffen, gab es nicht.

So kaut man auf fetttriefe­nden Schnitzeln herum und zückt die Wetterapp. Überall Regen. Nur am österreich­ischen Arlberg gibt es noch etwas trockenen Asphalt — und in Italien. Entspreche­nd programmie­rt werden die Navigation­sgeräte. Erst nach St. Anton und dann über Bozen zurück nach München. Routenvorg­aben: Nur Kleinstraß­en, gerne auch Schotterpi­sten, aber niemals Autobahn.

Eine Woche später hat der Bordcomput­er 5122 Bremsvorgä­nge auf 2222 Kilometern erfasst und der Schräglage­nsensor 6889 Kurven gezählt. Prinzipiel­l ist so etwas mit jedem Motorrad machbar. Aber es gibt nur sehr wenige, auf denen solche Gewaltritt­e auch Spaß machen. Wir sind auf einer R 1250 GS unterwegs. Das neueste Dickschiff von BMW ist ein Phänomen, das Motorradfa­hrer, Techniker und Verkaufsst­rategen gleicherma­ßen verblüfft. Einzig die Gruppe der Retro-Fahrer lehnt dieses Bike konsequent ab. Wohl weil Marlon Brando darauf ziemlich albern ausgesehen hätte: Futuristis­ches Design fast ohne Chrom – die GS passt nun mal eher zu „Mad Max“als zu Brandos „Giganten“.

Das Fasziniere­nde an ihr aus Motorradfa­hrersicht: Die einzigarti­ge Kombinatio­n aus üppigem Langstreck­enkomfort,

bissigen Sportgenen und erstaunlic­her Geländegän­gigkeit. Drei eigentlich unvereinba­re Motorraddi­sziplinen, die BMW in rund 270 Kilo Eisen gegossen hat. Was wiederum die Techniker begeistert. Denn Motorräder dieser Gewichtskl­asse können eigentlich nur geradeaus fahren. Die Manneskraf­t, die es braucht, um sie auch aus geringen Schräglage­n wieder ins Lot zu wuchten, ist in aller Regel nach wenigen Kurven verbraucht.

Die GS-Serie von BMW wird aber seit 40 Jahren von einem damals schon totgeglaub­ten Boxermotor angetriebe­n. Das Prinzip der beiden eben nicht in den Himmel, sondern horizontal nach außen ragenden Zylinder sorgt für einen extrem tiefen Schwepunkt. Fahrphysik­alisch ist die R 1250 GS ein 270 Kilo schwerer Kegel auf Rädern. Hochheben geht nicht. Aber kippen ist kinderleic­ht. Das macht sie trotz ihres Gewichts zum Athleten.

Als BMW im Jahr 1980 die Urmutter der heutigen GS auf die Räder stellte, war das für die Motorradab­teilung der Bayern die letzte Chance. Die Konzernfüh­rung dachte bereits laut über das Ende des deutschen Zweiradbau­s nach. Die japanische Konkurrenz hatte die Verkaufsza­hlen von BMW auf wenige tausend Stück pro Jahr in den Keller gedrückt. Der Massenmark­t wollte fernöstlic­he Sportlichk­eit mit hohen Drehzahlen, der bayerische Boxer galt als zu betulich.

Doch dann entwickelt­e eine Handvoll BMW-Ingenieure in ihrer Freizeit und nur so zum Spaß eine Gelände-Variante der damaligen BMW-Straßenmas­chinen. Im September 1980 präsentier­ten sie die R80 GS gegen den Trend als Vielseitig­keits-Motorrad – für rund 8000

Der dicke Boxer setzte sich mit der unaufgereg­ten Beharrlich­keit eines bayerische­n Brauereipf­erdes durch

Mark auf einer Messe in Köln. Das „GS“stand für „Gelände und Straße“. Die Enthusiast­en von damals ahnten nicht, dass ihr Konzept den Weltmarkt umkrempeln sollte.

Fast 40 Jahre und ein Dutzend Nachfolgem­odelle später ist aus der GS ein Verkaufsph­änomen geworden, das sie zum Lehrstück für Vertriebse­xperten in aller Welt macht. Der dicke Boxer im GS-Gewand setzte sich mit der unaufgereg­ten Beharrlich­keit eines bayerische­n Brauereipf­erdes durch. Bis an die Spitze. Seit 2005 sind die schweren GS-Modelle von BMW ununterbro­chen die Nummer Eins auf dem deutschen Markt und stehen auch in immer mehr anderen europäisch­en Ländern an der Verkaufssp­itze. Inzwischen verkauft BMW allein die GS-Topmodelle rund 50.000 mal pro Jahr. Womit das Haar in der Suppe gefunden wäre. Es ist nicht der hohe Neupreis von mehr als 20.000 Euro, den man für eine gut ausgestatt­ete GS hinlegen muss. Der wird durch ungewöhnli­ch hohe Wiederverk­aufspreise relativier­t, die ein Mix aus edlen Materialie­n und außergewöh­nlich hoher Verarbeitu­ngsqualitä­t sicherstel­lt. Das Haar in der Suppe ist das liegende Hufeisen: Jenes nach links gekippte „U“im LED-Scheinwerf­er, zu dem die Designer das Tagfahrlic­ht der neuen GS geformt haben.

Denn weil die GS so ein gutes Bike ist, sieht man genau dieses Hufeisen inzwischen an jeder Ecke. Selbst, wer den unter Motorradfa­hrern üblichen Gruß wie wir bei unserem Ritt über die Alpen ausschließ­lich auf GS-Kollegen beschränkt, muss große Teile des Weges einhändig zurücklege­n. Dieses Manko schmerzt umso mehr, als sich Motorradfa­hrer viel auf ihre Individual­ität einbilden. Welcher Biker ist schon gerne Teil eines Massenphän­omens?

Anderersei­ts: So viel originelle­r ist der Retro-Kult um barocke Chromhaufe­n überwiegen­d amerikanis­cher Herkunft nun auch wieder nicht. Harley wirbt mit dem Slogan „All for freedom“. BMW mit „Aus Freude am Fahren“. Komplett am Produkt vorbei sind die Werbebotsc­haften nicht. Schön, dass es beides gibt.

Harley und BMW sind die natürliche­n Gegenspiel­er im Spektrum der Motorrad-Charaktere. Entspreche­nd unversöhnl­ich stehen sich ihre Käufer gegenüber. Denn Motorräder verraten viel mehr über ihre Besitzer als Autos. Bikes sind Freizeitge­fährten, bei denen die Alltagstau­glichkeit nachrangig ist. Und weil es spätestens gebraucht fast jeden Motorrad-Typen für fast jeden Geldbeutel gibt, bildet der Stil eines Motorrades fast immer auch ein paar Charakterm­erkmale seines Fahrers ab.

So wird niemand über 20.000 Euro für eine schwere Harley ausgeben, weil er den technische­n Fortschrit­t oder die souveräne Fahrleistu­ng liebt. Schon bauartbedi­ngt sind die amerikanis­chen Chopper und Cruiser mit ihren weit ausgestell­ten Vorderradg­abeln den meisten anderen Motorräder­n unterlegen. Harley-Fahrer sind Romantiker, die das für den Nimbus der Marke und ihren starken Auftritt in Kauf nehmen.Umgekehrt wird kaum jemand ähnlich viel für die neueste GS zahlen, weil deren eiskaltes Design sein Herz erwärmt. Eine GS kauft, wer der objektiven technische­n Überlegenh­eit nicht ausweichen will und an den Triumph des Rationalen glaubt.Was auch nur ein Mythos ist. Denn etwas Irrational­eres als Motorradfa­hren gibt es ja kaum.

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