Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Glaube, Liebe, Currywurst
DORTMUND Posaunenklänge schallten durch das Dortmunder Signal-Iduna-Stadion. Wo sonst die Fans von Borussia Dortmund ihre Schlachtgesänge ertönen lassen, hatten mehrere tausend Bläser Aufstellung genommen. Rund 32.000 Besucher des am Sonntag unter dem Motto „Was für ein Vertrauen“zu Ende gegangenen, 37. Deutschen Evangelischen Kirchentags waren zum Abschlussgottesdienst in das Dortmunder Stadion gekommen. Sie erlebten einen eindringlichen Aufruf zur Unterstützung der Bootsflüchtlinge im Mittelmeer und der „Fridays for Future“-Demonstrationen für mehr Klimaschutz. „Wenn wir Jesus glauben, ist für uns Lebenretten kein Verbrechen, sondern Christenpflicht“, sagte die hannoversche Pastorin Sandra Bils, die im Schlussgottesdienst die Predigt hielt, und zitierte einen bekannten Ausspruch Jesu aus dem Evangelium nach Matthäus: „Was ihr dem geringsten meiner Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan.“„Man lässt keine Menschen ertrinken! Punkt!“, rief Bils den im Stadion versammelten Gottesdienstteilnehmern zu. Schon während des Kirchentags war die Lage der Bootsflüchtlinge im Mittelmeer zu einem der wichtigsten Themen des Protestantentreffens geworden. Der Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando, war in Dortmund zu Gast. Es hatte einen Trauermarsch zum Gedenken an die Ertrunkenen gegeben, und in einer Resolution hatten die Kirchentagsbesucher die deutschen Kirchen aufgerufen, ein eigenes Rettungsschiff im Mittelmeer einzusetzen. „Pilatus wusch sich die Hände in Unschuld“, sagte der Präsident des Kirchentags, der Journalist Hans Leyendecker. „Europäische Politiker waschen sie in dem Wasser, in dem Flüchtlinge ertrinken.“
Ähnlich stark war auch das schon traditonelle Engagment der Kirchentagsbesucher für den Klimaschutz. „Wir suchen und fragen dann gemeinsam mit anderen, welcher Lifestyle und welche Werte dem Willen Gottes entsprechen“, sagte Bils. „Wir sehen wo Gott in der Welt wirkt – durch die Leute von SeaWatch, SOS Méditerranée und SeaEye, durch Greta Thunberg und die Schüler, durch so viele andere – und dabei machen wir mit.“
Ein anderes Thema kam während des Kirchentags dagegen nur unterschwellig vor: Erst vor einigen Wochen hatte die Universität Freiburg eine Studie veröffentlicht, wonach die beiden großen Kirchen bis Ende 2060 rund die Hälfte ihrer Mitglieder verlieren werden. Bils immerhin rief im Schlussgottesdienst weiter zu Zuversicht und Gottvertrauen angesichts schrumpfender Gemeinden auf. „Jesus ist nicht wie ein Türsteher vor dem angesagtesten Club der Stadt, der kritisch an dir hochund runterschaut und dann sagt, „Nee, sorry, geschlossene Gesellschaft“, sagte Bils im Schlussgottesdienst. „Jesus ist der Türsteher, der weiß, wie es ist, als letzter bei den Bundesjugendspielen durchs Ziel zu gehen und wieder keine Siegerurkunde zu bekommen.“Er kenne das, was die Menschen lieber verstecken wollten. „Das sind wir: Gottes geliebte Gurkentruppe“, sagte Bils. Die Kirche sei eine Vertrauensgemeinschaft. Und Umbruchzeiten würden auch Chancen für die Kirche bergen. Sie böten Möglichkeiten für neue Formen, „die Kirche als rollende Frittenbude, Glaube, Liebe, Currywurst.“
Für die Christen, die am Sonntag von Dortmund nach Hause fuhren, wird nun eine außergewöhnlich lange Pause beginnen. Denn das Zentralkomittee der deutschen Katholiken verzichtet im kommenden Jahr auf die Ausrichtung eines – oft auch von Protestanten besuchten – Katholikentags. Weiter geht es erst in zwei Jahren: Vom 12. bis 16. Mai 2021 wollen sich die Christen Deutschlands zum dann dritten Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt am Main treffen, während der nächste Evangelische Kirchentag erst 2023 in Nürnberg stattfinden soll.