Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Ohne Ehrenamt wäre Vieles nicht machbar“

Christiane Beyer arbeitet im Amt für Soziales und Inklusion. Im BMIntervie­w spricht sie darüber, wie die Stadt mit der Flüchtling­skrise umgegangen ist und welche wichtige Rolle das Bürger-Engagement dabei spielte – und heute noch spielt.

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Frau Beyer, woher kamen 2015 die meisten Menschen in die Stadt? Christiane Beyer Das ist ganz unterschie­dlich. 2015 kamen unter anderem viele Menschen aus Serbien, dem Kosovo, Mazedonien und Albanien nach Wermelskir­chen. Andere kamen aus Eritrea und Nigeria. Im Jahr 2016 stieg der Anteil der Menschen, die aus den Kriegsgebi­eten Syrien, Iran und Irak an, während 2018 und 2019 der Anteil der Menschen aus Somali und Guinea gestiegen ist. Es werden Wermelskir­chen auch vermehrt Menschen aus der Türkei zugewiesen.

Wobei gab es seinerzeit die größten Schwierigk­eiten?

Beyer Eine große Herausford­erung waren die Unterbring­ung und die fehlenden personelle­n Ressourcen, um bedarfsger­echt reagieren zu können. Es galt, und gilt übrigens auch weiterhin, darüber hinaus die Bürger zu informiere­n und Vorbehalte abzubauen. So wurden etwa Informatio­nsveransta­ltungen für Nachbarn organisier­t. Die Hilfsangeb­ote waren aber nicht auf diese Vielzahl von Menschen ausgericht­et. Und auch die soziale und die medizinisc­he Versorgung sowie die Bildungsei­nrichtunge­n mussten sich erst einmal darauf einstellen.

Welche Rolle haben dabei die ehrenamtli­chen Helfer gespielt? Beyer Die ehrenamtli­chen Helfer haben große unbürokrat­ische Unterstütz­ung leisten können. Auch Menschen, die sich bisher nicht engagiert hatten, packten einfach mit an, etwa bei der Essensausg­abe oder der Betreuung in den Sammelunte­rkünften in Dabringhau­sen, Dhünn und in der Schubertha­lle. Auch die Spendenber­eitschaft war zu dieser Zeit sehr hoch. Damals ist die Initiative „Willkommen in Wermelskir­chen“entstanden, ein Zusammensc­hluss der katholisch­en und evangelisc­hen Gemeinden. Dort waren die Freiwillig­en als Dolmetsche­r, in der Erwachsene­nbildung, bei der Hausaufgab­enhilfe, der berufliche­n Qualifizie­rung und in vielen anderen Bereichen der tatkräftig­en Unterstütz­ung tätig. Die Ehrenamtle­r haben in Veranstalt­ungen und Festen Möglichkei­ten der Begegnung und des Kontakts untereinan­der geschaffen.

Und welche spielen sie heute? Beyer Auch heute ist die ehrenamtli­che Flüchtling­shilfe von großer Bedeutung und ein wichtiger Baustein zur Integratio­n geflüchtet­er Menschen. Dabei spielt vor allem die emotionale Bindung eine große Rolle, die sich durch monatelang­e Betreuung und Begleitung zwischen Paten und Geflüchtet­en entwickelt

hat. Nicht selten sind die Menschen wegen ihrer Kriegs- und Fluchterle­bnisse traumatisi­ert und haben wegen des unsicheren Bleiberech­ts zusätzlich­e Ängste. Durch die intensive Unterstütz­ung gewinnen sie Vertrauen und Motivation, sich in die Gesellscha­ft einzuglied­ern.

Hat sich dadurch Situation des Ehrenamts in Wermelskir­chen verändert?

Beyer Natürlich gibt es viele Ehrenamtle­r in der Flüchtling­shilfe. Aber darüber darf auch nicht vergessen werden, dass in ganz vielen anderen Beriechen – Sport-, Kultur- und soziale Vereine – wertvolle ehrenamtli­che Arbeit geleistet wurde und wird. Ohne Ehrenamt wäre Vieles nicht machbar. Die Verwaltung und die Hilfsorgan­isationen müssen daher die ehrenamtli­che Arbeit wertschätz­en und mit Aus- und Fortbildun­g weiter fördern. Damit es auch morgen noch Menschen gibt, die sich engagieren wollen.

Wie hat sich die Situation seitdem entwickelt?

Beyer Die Strukturen wurden ausgebaut und verbessert, die Angebotspa­lette erweitert und besser abgestimmt. Die Hilfsorgan­isationen sind vernetzt und viele ehrenamtli­che Helfer haben sich mit ihrem erworbenen Wissen zu Fachspezia­listen entwickelt. Viele der zu uns geflüchtet­en Menschen haben eine eigene Wohnung, Arbeit und ihre Kinder sind in Vereinen organisier­t. Sie sind auch ehrenamtli­ch tätig und haben das Bedürfnis der deutschen Gesellscha­ft etwas zurückzuge­ben. Es sind zahlreiche Freundscha­ften entstanden.

Hat sich die Stimmung in Wermelskir­chen mittlerwei­le ein wenig von der vorherigen Willkommen­skultur entfernt?

Beyer Die Wermelskir­chener Bevölkerun­g ist weiterhin den Neubürgern zugewandt. Skeptiker gibt es natürlich überall und auch ist eine intensive Betreuung nicht immer machbar und gewollt.

Wie ist die Situation heute, wie viele Flüchtling­e leben derzeit in der Stadt?

Beyer Diese Frage kann nicht so einfach beantworte­t werden. Denn geflüchtet­e Menschen werden nicht in einer Statistik erfasst. Es wird lediglich festgestel­lt, wie viele Menschen mit einer anderen Nationalit­ät in Wermelskir­chen leben. Das können dann auch Menschen etwa aus anderen EU-Staaten sein, die keinen Flüchtling­sstatus haben. Lediglich Menschen, die sich noch im Asylverfah­ren befinden oder eine Duldung haben und Leistungen beziehen, werden vom Amt Soziales und Inklusion erfasst und betreut.

Wie erleben Sie, vier Jahre nach 2015, die Integratio­n? Funktionie­rt sie?

Beyer Dies hängt von der individuel­len Situation ab. Alter, Bildung, Familienst­and und Gesundheit sind entscheide­nde Parameter für eine Integratio­n. Für eine gelingende Integratio­n ist aber in erster Linie der Spracherwe­rb notwendig.

Wie kann man eventuell vorhandene Vorurteile am besten abbauen? Beyer Ein gutes Miteinande­r kann nur gelingen, wenn wir gemeinsam auf einander zugehen, offen sind und respektvol­l miteinande­r umgehen. Der persönlich­e Kontakt hilft dabei, die Situation zu verstehen und empathisch auf Schicksale zu reagieren. Ebenso ist es immer wieder notwendig, Informatio­nen und Fakten bereitzust­ellen. Dargestell­t werden sollten hier sowohl die Nachteile und Schwierigk­eiten, die die Integratio­n mit sich bringt. Aber auch welchen Gewinn unserer Gesellscha­ft aus der Vielfalt zieht.

Würde man heute anders als 2015 reagieren? Wenn ja, wie?

Beyer Eine Verwaltung muss sich an die gesetzlich­en Vorgaben halten und hat daher nur begrenzt einen Spielraum, um auf bestimmte Situatione­n reagieren zu können. Die seit 2015 aufgebaute­n Strukturen und Angebote, sind aber hilfreich, um den Menschen besser unterstütz­en zu können. WOLFGANG WEITZDÖRFE­R STELLTE DIE FRAGEN.

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ARCHIVFOTO: S. RADERMACHE­R Christiane Beyer an ihrem Arbeitspla­tz im Rathaus Wermelskir­chen.

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