Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Wir hatten einen Traum
Vor fast 50 Jahren landeten Menschen auf dem Mond. Nichts schien damals mehr unmöglich, die Zukunft war greifbar geworden. Doch dann hörten wir auf, an Träume und Visionen zu glauben.
Warum Raumfahrt?“– so hieß der Videowettbewerb, an dem der US-Amerikaner Raymond Bell vor sieben Jahren teilnahm und den er am Ende gewann. Die Handlung seines Films: Ein kleiner Junge kommt nach Hause und erzählt aufgeregt seinem Vater, was er heute gelernt habe. „Es waren Menschen auf dem Mond. Kann ich auch da hin?“Kurz danach kommen ihm die Tränen. Sein Vater sagt zu ihm: „Das machen wir heute nicht mehr. Wir träumen nicht, wie wir es einst taten.“
Etwas ist verloren gegangen seit dem 16. Juli 1969, als der Lärm einer Saturn-V-Rakete die Welt erschütterte. Als mit ihr nicht nur drei Astronauten zum Mond flogen, sondern eine ganze Generation. Hunderte Millionen Menschen und vor allem Kinder waren damals begeistert von Wissenschaft und Technik. Vor 50 Jahren schien ihre Zukunft nichts Fernes oder Unbestimmtes zu sein. Sie fand im Hier und Jetzt statt.
Es ist kein Zufall, dass in den 70ern das „Silicon Valley“als Zentrum der IT- und Hightech-Industrie entstand. Nach dem
Apollo-Programm. Für einen Moment veränderten die Weltraum-Missionen unseren Blick auf die Erde. Mit den Bildern eines Planeten, der aus dem All als erstaunlich kleine Welt erschien. Ohne die Grenzen der Nationalstaaten, die man vom Globus oder aus dem Atlas kannte.
Es war auch diese Perspektive der Astronauten, die zu einem Umdenken führte: Die USA richteten 1970 ihre Umweltschutzbehörde ein. Kurz darauf wurden Gesetze zur Reinhaltung der Luft und des Wassers sowie zum Schutz bedrohter Tierarten verabschiedet. Der erste moderne Katalysator für Autos kam in den Vereinigten Staaten auf den Markt. Der Schutz des Planeten wurde zu einem wichtigen Thema, selbst in Zeiten von Vietnamkrieg und Studentenprotesten. 1970 führten die Vereinten Nationen den „Earth Day“ein, um auf die steigende Umweltverschmutzung hinzuweisen. Und 1971 wurde die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“gegründet. Wäre das auch ohne die Bilder einer Erde denkbar gewesen, die nicht in Staaten aufgeteilt zu sein scheint?
Doch das Apollo-Programm war ein Kind des Kalten Kriegs. Nachdem die USA auf dem Mond gelandet waren, schwand der Wille, weiter zu gehen. Am 14. Dezember 1972 um 6.40 Uhr unserer Zeit machte Eugene Cernan den bislang letzten Schritt eines Menschen auf einem anderen Himmelskörper.
Immer lauter waren zuvor die Stimmen der „Realisten“, der „Pragmatiker“und „Vernünftigen“geworden. Bereits in den 60ern hatten sie der US-Regierung vorgeworfen, Geld zu verschwenden. Die Republikaner beschuldigten Präsident John F. Kennedy damals, um „einiger Schlagzeilen willen“Reichtum, Talent und Ehre der Nation zu verpfänden.
Nach 1972 sollten diese Stimmen endgültig den Ton angeben. Nicht nur in den USA, sondern weltweit – auch bei uns in Deutschland. Hier sorgte in den 70ern eine Erfindung für Furore: ein Zug, der nicht rollte, sondern schwebte. Getragen von Magnetfeldern. Schnell und leise sollte er sein, der Transrapid. Am Ende konnte er sich nicht gegen die Lobby der Bahn durchsetzen: Die Kosten für den Bau eines Verkehrsnetzes seien zu hoch. Der Transrapid könne nur geradeaus fahren. Moderne Züge seien mindestens ebenbürtig.
Heute ist der Sanierungsstau bei der Bahn auf zig Milliarden Euro gewachsen. Viele Züge und Anlagen sind veraltet, Passagiere klagen über Verspätungen, im Güterverkehr fehlen Kapazitäten. Die Folgen sieht jeder auf der Autobahn: zunehmender Lkw-Verkehr, Straßenschäden und Staus.
Wäre das mit dem Transrapid anders geworden? Wir werden es nie erfahren. Es fehlten damals der
Wille, der Glaube und eine Vision – für den Transrapid, aber auch für die Bahn. Es ist ein Beispiel dafür, dass wir den Mut verloren haben, Neues zu wagen. Weil es leichter ist, an Bestehendem festzuhalten, nichts zu verändern und nicht zu träumen.
Gerade die Raumfahrt, die sich immer wieder an den Grenzen des Möglichen bewegt, steht oft in der Kritik: Weil mit ihr Geld verschwendet werde, von Vorteilen wie besseren Wettervorhersagen oder GPS-Systemen einmal abgesehen.
Es ist einfach, etwas als zu teuer abzutun – wenn man es nicht als wichtig erachtet. Wer Geld ausgibt, setzt Prioritäten: So wie in der Finanzkrise vor rund zehn Jahren. Die kostete Deutschland laut Bundesfinanzminister Olaf Scholz mindestens 68 Milliarden Euro. Die USA verabschiedeten damals ein 700 Milliarden Dollar schweres Rettungspaket.
Aber welchen Preis haben die Träume einer Generation? Was kostet der Einsatz für unseren Planeten? Es ist bequem, sich auf dem Erreichten auszuruhen und nicht mehr nach vorn zu schauen. Mit Verweis auf das Machbare, das Pragmatische, das Alternativlose – und auch mit einer gewissen Technikfeindlichkeit. Aber das Bewährte ist vor allem eins: vergänglich. Es wird überholt von der Zukunft.
Heute können wir uns zurücklehnen und uns darauf beschränken, zu reagieren. Oder wir fangen an, wieder zu träumen und die Zukunft zu gestalten. Trotz aller Ungewissheit, und mit allem Mut. „Wir haben entschieden, zum Mond zu fliegen. Nicht, weil es einfach ist, sondern weil es schwer werden wird. Es ist eine Herausforderung, die wir anzunehmen bereit sind, und die wir nicht aufschieben wollen.“Das waren die Worte von John F. Kennedy am 12. September 1962 an der Rice University in Texas. Und vor 50 Jahren glaubte eine Generation für einen Moment daran. Für kurze Zeit hatte man keine Angst vor Herausforderungen. Die Zukunft war greifbar geworden, bevor sie uns wieder entglitt.
Das „Warum Raumfahrt“-Video von Raymond Bell endet mit den Worten: „Träumt weiter!“Vielleicht können wir das. Wenn die USA tatsächlich auf dem Mond landen sollten. Im Jahr 2024, wie Präsident Donald Trump es sich wünscht. Unbeabsichtigt und entgegen seiner politischen Agenda würde er uns erlauben, erneut zu träumen und einen großen Schritt weiterzugehen. Als Menschheit, nicht als Nation.