Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Flieg mich zum Mond!

Die Musikgesch­ichte ist voller lunarer Eskapaden – von Joseph Haydn bis The Police, Matthias Claudius bis Herbert Grönemeyer.

- VON WOLFRAM GOERTZ

Er sitzt vor dem Bett, ganz Mann und doch noch Kind, und aus einem Schuhkarto­n holt er das Schmuckstü­ck, aus dem Klänge rieseln: Es ist „Clair de Lune“, Claude Debussys berühmtes Klavierstü­ck, das der junge Dalai Lama dem Mann mal als Spieluhr geschenkt hat. Der Mann ist Brad Pitt als Heinrich Harrer, und es ist der emotionals­te Moment im Film „Sieben Jahre in Tibet“.

Debussys Stück (steht übrigens im mystisch-weichen Des-Dur) weckt bis heute zahllose lunare Assoziatio­nen – die zarte Melodie wird umrauscht von akkordisch­en Spiralnebe­ln. Bei Debussy ist der Mond kein Spender grellen Lichts, sondern ein abendlich-zärtlicher Geselle. Auch viele andere Filmregiss­eure haben sich von diesen Debussy-Klängen inspiriere­n lassen, etwa Fellini in „Schiff der Träume“oder Soderbergh in „Ocean‘s Eleven“.

Clair de lune, das ist der Mondschein, der uns vertraut ist, nicht schlafen lässt, geleitet, begleitet, anglitzert – und der allnächtli­ch durch die Jalousien unserer Seele dringt. Auch ans Firmament der Musikgesch­ichte hat sich das Mondgesich­t unsterblic­h geheftet. Orientieru­ng spendet der Mond dort gewiss, doch hat er etwas Aufreizend­es, Provokativ­es, Enthemmend­es. Bei „Vollmond“kommt Herbert Grönemeyer ins Heulen, wogegen das „Lied an den Mond“aus Dvoráks Oper „Rusalka“die Sehnsucht nach Liebe auf scheueste Weise anklingen lässt. Immer weckt er auch unsere Neugier (etwa in Haydns Oper „Die Welt auf dem Monde“oder Linckes Operette „Frau Luna“), oder er spendet maximale Vertrauthe­it („La-Le-Lu, nur der Mann im Mond schaut zu“).

So lieb uns der Mond als Bezugsgröß­e ist, so unergründl­ich und gefährlich ist er. Pink Floyds Konzeptalb­um „Dark Side of the Moon“weiß davon einige Lieder zu singen, und Stings „Moon Over Bourbon Street“bescheint eine gleichsam vampirhaft­e Szenerie. Dies war nicht das erste Mal, dass sich Sting dem Mond näherte. In seiner Zeit bei The Police entstand „Walking on the Moon“– und zwar genau zehn Jahre nach der Erstbetret­ung des Monds. Legendär ist das Stück durch die beiden Bassund Gitarrenri­ffs, die sich wie Enterhaken ins Ohr setzen: Baaa-dadumm-tschingggg!

In jedem Fall ist der Mond für alle Fantasien vom Abheben geeignet, vor allem aus Liebe. „Fly Me to the Moon“, bestenfall­s gesungen von Frank Sinatra, ist eine Metapher für amouröse Entgrenzun­g. Ähnlich galaktisch geht es zu im Oscar-prämierten „Moon River“, für Audrey Hepburn und „Frühstück bei Tiffany“geschriebe­n, wo es andernorts heißt: „Wir sind auf der Suche nach dem gleichen Ende des Regenbogen­s.“Das ist, was den Mond betrifft, astronomis­ch und astrologis­ch nur ein paar Häuser weiter.

Alle haben den Mond besungen, Alan Parsons und Kurt Weill, Nena, Franz Schubert und Matthias Claudius in seinem „Abendlied“(bekannt unter „Der Mond ist aufgegange­n“). Am Erd-Trabi kam und kommt eben keiner vorbei. Beethoven wusste nicht, dass man den ersten Satz seiner Klavierson­ate cis-Moll mal „Mondschein“nennen würde. Aber cis-Moll, das ist die dunkle Variante von Debussys DesDur oder, um mit Pink Floyd zu sprechen, der Klang der dunklen Seite jener Macht, die uns schlaflos macht. Die verspätet dem Werk gewidmete Überschrif­t „Mondschein­sonate“entstand als Ausdruck romantisch­er Verklärung durch den Musikschri­ftsteller Ludwig Rellstab: Der glaubte, der Satz spiegele eine nächtliche Bootsfahrt auf dem Vierwaldst­ättersee. Auch kein schlechter Ort, um vom Mond beschienen, geängstigt und getröstet zu werden.

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