Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Happy Birthday, Walkman!
Vor 40 Jahren brachte die Firma Sony den ersten Walkman auf den Markt. Das Gerät wurde zum Kultobjekt der 1980er Jahre. Auf unseren Autor wirkte es wie eine Verheißung: Nun konnte er überall und immer Musik hören.
Walkman: herrliches Wort, schöne Erinnerungen. Zum Beispiel diese Filmszene: „La Boum“, Frankreich 1980. Eine Party, es läuft Tanzmusik, und die von Sophie Marceau gespielte Vic geht an die improvisierte Theke und schenkt sich gelbe Limonade ein. Da kommt von hinten Mathieu, er hat einen Walkman dabei. Er setzt Vic die Kopfhörer auf, und nun hört der Zuschauer nicht mehr das, was alle hören, sondern das, was Verliebte hören: „Dreams are my reality“von Richard Sanderson. Total kitschig, total toll, und natürlich tanzen sie dann eng umschlungen, geht ja gar nicht anders, l’amour.
Vor 40 Jahren kam der Walkman auf den Markt; am 1. Juli 1979, um genau zu sein, und die Stelle aus „La Boum“bringt ins Bild, was dieses Gerät so besonders machte. Man konnte sich einmuckeln im Sound, man war darin geborgen wie in einer Decke, ein Hoodie aus Klang. Der Walkman war das Ticket für den Flug auf Wolke 7. Man konnte sich zurückziehen, obwohl um einen herum das Chaos tobte. Man konnte selbst entscheiden, was man hörte. Auf mich wirkte der Walkman wie eine Verheißung, es sollte immer Musik da sein. Der Walkman personalisierte den Medienkonsum.
Ich wollte früher ganz unbedingt einen haben, und obwohl ich mit Hunden nicht so gut zurechtkomme und besser mit Katzen kann, versuchte ich meine Eltern Mitte der 1980er Jahre zu überreden, einen Hund anzuschaffen. Ich stellte mir nämlich das Gassigehen so schön vor, Gassigehen zu Musik, dachte ich, das wäre es doch. Ich bekam keinen Hund. Aber das machte nichts. Den Walkman benutzte ich dann meist auf dem Bett liegend. Wenn ich ihn mal auf Reisen mitnahm, trug ich meist eine Tasche voller Kassetten mit mir herum, Kulturbeutel sozusagen. Ich wollte immer die richtige Musik griffbereit haben, überall: DJ meiner Befindlichkeit, Einzel-Disco.
Ibuka Masaru ging es offenbar ähnlich. Der Mitbegründer der Firma Sony litt Ende der 1970er Jahre sehr darunter, dass er auf Flugreisen nicht Bach und Beethoven hören konnte; deren Werke mochte er doch so gerne. Also wies er seine Ingenieure an, sie sollten ihm etwas Kleines bauen: Kassette, mobil, Kopfhörer, irgendwie so. Es dauerte nur wenige Tage, da hatten die Mitarbeiter das Diktiergerät „Pressman“umgebaut, ihm einen Miniverstärker hinzugefügt, ebenso eine Stereowiedergabe, fertig war das Ding. Ibuka Masaru war begeistert, sein Kompagnon Morita Akio ebenfalls, und beide waren sich einig, dass man das Produkt auf den Markt werfen müsse. 30.000 Stück wurden vom TPS-L2 zunächst produziert, so hieß der erste Walkman. Er verkaufte sich rasend schnell, und obwohl man sich für jedes Land eigentlich
einen anderen Namen überlegt hatte – England: Stowaway, Amerika: Soundabout, Schweden: Freestyle – ließ man das Wort „Walkman“schützen. Es wurde weltweit zum Synonym für mobile Kassettenspieler mit Kopfhörern. 1986 wurde der Begriff ins Oxford English Dictionary aufgenommen. Bis 2004, so Sony, wurden 335 Millionen Stück verkauft.
Von allen elektronischen Geräten, die meine Jugend möblierten, war mir der Walkman das liebste. Wenn ich ihn draußen benutzte, fühlte ich mich wie Michael J. Fox in der irren Szene zu Beginn von „Zurück in die Zukunft“, in der er sich auf dem Skateboard an Autos hängt und mitfährt und
dazu über Kopfhörer Huey Lewis hört. Schon beim Kauf eines Walkmans wurde man ja eingeführt in eine andere Welt. Ich wusste nicht genau, was das Wort bedeutete, aber es klang gut: „Der hat auch Dolby“, sagte der Verkäufer. Das war die Rauschunterdrückung, die damals als ganz heiß galt. Weitere Begriffe aus dem Vokabelheft des Walkman-Besitzers: „Auto Reverse“(nach Ende der ersten Kassetten-Seite wird automatisch die andere Seite gespielt) und „Megabass“(ordentlich Wumms in den Tiefen).
Ich kaufte übrigens nie Alben als Original-Kassetten, das war verpönt. Wenn ein Freund eine neue LP bekam, verlieh er sie an alle, damit sie sie aufnehmen konnten. Ich weiß noch, dass sich mein Klassenkamerad Dirk einmal sehr aufregte, weil er zwar die neue Platte von Talk Talk bekommen hatte, sie aber so lange unter Kumpels kursierte, dass er selbst sie nie zu hören bekam: „Leute, das ist meine!“Wenn ich einen Freund besuchte, hatte ich eine Leerkassette dabei, um im Ernstfall LPs aufnehmen zu können – vielleicht hatte sein großer Bruder ja was Neues. Meine Eltern kauften manchmal Original-Kassetten, allerdings vor allem Sachen, die man nur in größter Not hörte, Frank Duval etwa, der die käsige Musik für die TV-Serie „Unsere schönsten Jahre“mit Uschi Glas und Elmar Wepper geschrieben hatte. Einer Freundin erging es besser. Ihr Onkel legte bei Hochzeiten Platten auf und hatte immer die neuesten Hits, die er ihr dann überspielte. Ansonsten musste man halt am Radio sitzen und „Play“und „Record“gleichzeitig drücken, wenn John Peel ein neues Lied von den Smiths ansagte.
Ich kaufte Leerkassetten im Zehnerpack. Zehn TDK C90 waren ein Versprechen: Bald würden sie voll sein mit dem besten Zeug. Manchmal nahm ich Kassetten auf für Menschen, die ich sehr mochte. Ich hoffte dann auf ähnliche Effekte wie in „La Boum“. Über die Zusammenstellung der Liedfolge dachte ich mitunter länger nach als da Vinci über das Lächeln der Mona Lisa. Nachdem ich meine Kunstwerke, die stets vielsagend betitelt waren („Zwischen den Liedern brennt noch Licht“), übergeben hatte, stellte ich mir vor, wie die Person sie hörte. Das war sehr schön. Ich war ein Kassettenjunge, und ich hatte hohe Ansprüche: Ich wollte, dass meine Kuratorenleistung gewürdigt wird. Als angemessene Reaktion wäre allerdings nur eine Rückmeldung wie diese durchgegangen: „Du, mein Walkman wurde gestohlen, und Deine Kassette war da drin, und der Walkman ist mir eigentlich völlig egal, wenn ich doch nur Deine unersetzliche Kassette wiederbekommen könnte!“Man ahnt es schon, es war nicht leicht.
Das Kassettenaufnehmen war soziale Interaktion, eine Sprache der Zuneigung, die jedoch manchmal für Verwirrung sorgte. So bekam ich von einer Mitschülerin, die zwei Jahre älter und neu auf der Schule war und von vielen dafür bewundert wurde, dass sie wochenends in der besten Disco der Region hinter der Theke stand, eine Kassette geschenkt. „Vielleicht interessiert dich das“, sagte sie lakonisch, was mich stutzig machte. Auf der Kassette war ein Album der Band Dinosaur Jr., das letzte Lied hieß „Why Don’t You Like Me?“, und im Gegensatz zu den anderen, schwarz geschriebenen Titeln, war es mit rotem
Stift geschrieben. Ich dachte lange darüber nach, ich sprach mit Freunden darüber, ich wollte mich richtig verhalten. Also sagte ich zu ihr: Das war ja eine schöne Botschaft. Es stellte sich dann aber heraus, dass meine Klassenkameradin das Tape von einem Verehrer geschenkt bekommen hatte, den Typen und seine Musik aber doof fand und das mit dem roten Stift noch nicht einmal bemerkt hatte.
Walkman. Das Wechseln einer Kassette machte ein tief befriedigendes Geräusch. Der Schaumstoff der Kopfhörer raschelte spröde. Vorspulen ging besser als zurückspulen. Und wenn die Batterien ihren Geist aufgaben, klang Madonna wie ein Bariton. Es war dann besser, rasch zu handeln, sonst passierte vielleicht etwas, das es heute nicht mehr gibt: Bandsalat.
Nahm man ein Album auf, das eine Kassetten-Seite nicht komplett füllte, stand man vor der Frage, wie man nun verfuhr. Es gab diejenigen, die den Platz rigoros frei ließen, andere füllten ihn mit irgendwas, Hauptsache dicht. Ich nahm jeweils mein Lieblingslied vom Vorgängeralbum des Künstlers auf. Mein Vater, der Musiker war, probierte meinen Walkman übrigens auch mal aus. „Gar nicht schlecht, der Klang!“, rief er, weil er ja dachte, wir würden das sonst wegen der Musik, die er laut, wir aber gar nicht hörten, nicht mitbekommen. Die Band Geier Sturzflug sang dazu passend: „Spricht er mal von Zeit zu Zeit / Fragt man sich, warum er schreit“. Das Lied heißt „Walkmanfan“. Mein Vater stieg dann auch erst beim Discman ins mobile Musikhören ein.
Sony hat den Walkman zwar berühmt gemacht, es ist aber nicht klar, ob die Firma ihn auch erfunden hat. Andreas Pavel, Industriellensohn aus Aachen, hatte nämlich schon ein paar Jahre zuvor eine „Kleinanalage für die hochwertige Wiedergabe von Hörereignissen“zum Patent angemeldet. Sie ähnelte dem Walkman sehr, und jahrelang wurde prozessiert. Erst 2004 erkannte Sony die Erfinderleistung des Deutschen an, man einigte sich auf eine Ausgleichszahlung in unbekannter Höhe.
Natürlich hatte der Walkman auch Kritiker. Die einen befürchteten, eine ganze Generation könnte sich Hörschäden zuziehen. Junge Leute würden sich nun abkapseln, hieß es. Andere philosophierten darüber, dass Musik endgültig zur Ware verkommen sei, Ding-Charakter angenommen habe. Ich sehe das anders. Der Walkman trug dazu bei, das Leben zu intensivieren. Zu emotionalisieren. Durch die Straße zu gehen und Musik zu hören, war ein bisschen wie unter Wasser zu sein. Eine Freundin denkt beim Stichwort Walkman sofort daran, wie sie mit den Eltern im Auto in den Urlaub nach Spanien fuhr. 1984 war das. Sie saß auf der Rückbank, es war Nacht, sie hatte Kopfhörer auf, und ihre Mutter durchbrach den Sound-Kokon immer mal wieder mit Sätzen wie „Silber im Ringen!“Es liefen gerade die Olympischen Sommerspiele in Los Angeles.
Die Produktion des Walkman wurde 2010 eingestellt. Den iPod gab es da bereits seit neun Jahren. Zurück in die Zukunft.
Und: Happy Birthday.
Begriffe aus dem Vokabelheft des Walkman-Besitzers: Dolby, Auto Reverse, Megabass, Bandsalat Das Kassettenaufnehmen für andere war soziale Interaktion, eine Sprache der Zuneigung