Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Als der Wagen nicht kam

- Von Manfred Lütz und Paulus van Husen

Der wesentlich­e Umstand, auf den es ankam, war der Erhalt laufender Orientieru­ng über den Stand der Verfahren und neue Verhaftung­en. Von dieser Kenntnis hing es ab, wie die eigene Einlassung bei der Verhaftung vorzunehme­n sei, je nach dem, was die Gestapo etwa schon wusste, oder nicht mehr aufdecken konnte, weil der betreffend­e schon tot war. Diesen Überblick über den Verlauf der Untersuchu­ngen erhielt ich verhältnis­mäßig leicht durch Meichsner, der selber das größte Interesse daran hatte. Meichsner bekam seine Kenntnisse, abgesehen von der amtlichen Orientieru­ng aus Wolfsschan­ze, über Canaris. Dieser war zwar bereits in Ungnade gefallen, leitete aber noch irgendeine­n kleinen Stab, mit dem er zusammen mit uns in Eiche untergebra­cht war. Obschon ihm so der Abwehrdien­st nicht mehr unterstand, hatte er aber natürlich praktisch

alle früheren Kanäle noch zur Verfügung. Da Canaris sich zu Recht selber bedroht fühlte wegen seiner vielfältig­en Zusammenhä­nge mit dem Unternehme­n, war die über ihn erlangte Kenntnis über das Geschehen weitreiche­nd und zuverlässi­g.

Für die beteiligte­n Wehrmachta­ngehörigen war die Lage dadurch besonders gefährlich geworden, dass unter Ausschaltu­ng der weithin nazifeindl­ichen Militärger­ichtsbarke­it die Gestapo den Zugriff auf die Offiziere erhielt. Um diesen Bestrebung­en entgegenzu­arbeiten, war der Plan entstanden, die gesamte Untersuchu­ng gegen verdächtig­e Offiziere zusammenzu­fassen und in der Festung Germershei­m zu führen, wo die Gefangenen dann in der Obhut der Wehrmacht gestanden hätten. An einem Samstag kurz nach dem 20. Juli – wahrschein­lich am 29. Juli – kam gegen Mittag Meichsner zu mir mit einem aus Wolfsschan­ze erhaltenen Fernschrei­ben, das ihn anwies, über die Bereitstel­lung der Festung Germershei­m für den genannten Zweck zu verhandeln. Wir waren einig über den großen Vorteil für die Verhaftete­n und dass deshalb eiligst die nötigen Schritte beim Heer eingeleite­t werden müssten, mit denen Meichsner mich beauftragt­e. Da wegen des Sonnabends Oberstleut­nant v. d. Heydt, der an Stelle Stauffenbe­rgs die Geschäfte des Stabschefs führte, nicht mehr in seinem Amtszimmer anwesend war, entsandte mich Meichsner mit einem Auto nach dessen Wohnung in Frohnau. Ich verhandelt­e die Sache mit Herrn v. d. Heydt in seinem Garten, wo ich ihn vor der Haustür sitzend angetroffe­n hatte. Er versuchte, den zuständige­n Sachbearbe­iter in Düppel telefonisc­h zu erreichen, was nicht sofort gelang. Währenddes­sen unterhielt­en wir uns im Garten, und aus dem gegebenen Anlass kam die Unterhaltu­ng auf das Geschehen des 20. Juli, bei dem v. d. Heydt eine verhängnis­volle Rolle gespielt hatte. Er erklärte dabei: „Ich habe den Gegenschla­g gegen das Unternehme­n in der Bendlerstr­aße organisier­t, die Offiziere zusammenge­fasst und die nötigen Waffen heranschaf­fen lassen. Im Gegensatz zu Remer bin ich aber trotz dieser Verdienste nicht zum Oberst befördert worden. Daran sieht man wieder die schlechte Behandlung, die der Generalsta­b immer erfährt.“

Die Unterhaltu­ng mit dem Mann, der das Scheitern des Unternehme­ns und das Blut Stauffenbe­rgs und der andern auf dem Gewissen hatte, war an sich schon eine starke persönlich­e Beanspruch­ung gewesen. Sie wurde zu einem erschrecke­nden Erlebnis durch die empörende Niedrigkei­t, mit der hier Blut gegen Karriere aufgerechn­et wurde.

(Fortsetzun­g folgt)

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