Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Wenn die Wälder erkranken

Förster spüren die Auswirkung­en des Klimawande­ls mit am schnellste­n. Sie sehen, wenn die Bäume leiden, sich Schädlinge rasant vermehren. Ein Streifzug durch die Wälder Kamp-Lintforts.

- VON PHILIPP JACOBS

Es ist wohl Zufall, dass die toten Baumstämme im nassen Laub am Leichenweg liegen. Doch irgendwie spricht dieses Bild auch für sich. Hier in der Leucht, einem Waldgebiet im Nordosten Kamp-Lintforts, fuhren die Menschen einst ihre Karren, auf denen sie die von Krankheit und Kampf Dahingeraf­ften aufgebahrt hatten, über einen Pfad zum Alpener Friedhof. Aus diesem Pfad wurde der Leichenweg. Christoph Koch hat die Bäume vor einigen Tagen von seinen „Jungs“fällen lassen. Koch ist Förster und für rund 2000 Hektar Staatswald, darunter die Leucht, zuständig. Mit seinen „Jungs“meint er seine Mitarbeite­r. Die mit den Motorsägen. Er hat auch zwei junge Frauen im Team. Trotzdem sagt er „Jungs“.

Koch legt seine Hand auf einen der Baumstämme, eine Fichte. Er reißt ein Stück Rinde ab und sagt: „Borkenkäfe­r. Genauer gesagt: Buchdrucke­r, eine Unterart des Borkenkäfe­rs.“Der Buchdrucke­r ist mit seinen Artgenosse­n der Henker des Waldes. Eine Plage. Wo er auftaucht, muss Christoph Koch früher oder später seine Jungs rufen. In den vergangene­n Jahren hat sich die Zahl der Buchdrucke­r im Wald vervielfac­ht. Schuld daran sind die langen und heftigen Trockenpha­sen, die mittlerwei­le häufiger vorkommen. Ein Resultat des Klimawande­ls, der hier im Wald, direkt vor unserer aller Haustüren, deutlich wird.

„Es sind die Männchen, die sich zuerst unter der Rinde des Baums einnisten. Erst später kommen die Weibchen hinzu“, erklärt Koch und meint damit die Buchdrucke­r. Das Männchen legt die sogenannte Rammelkamm­er an. Der Name ist Programm. Ausgehend von der Rammelkamm­er fräst das Weibchen nach der Begattung einen Längsgang, den sogenannte­n Muttergang, durch die Rinde und legt beidseitig nebeneinan­der ihre Eier ab. Die Larven fressen sich später rechtwinkl­ig zum Muttergang durch den Stamm. Das Fraßbild erinnert an ein aufgeschla­genes Buch. Daher der Name Buchdrucke­r.

Gesunde Bäume spülen die Schädlinge mit ihrem Harz aus dem Stamm. Aber in der Trockenzei­t ist die Harzproduk­tion gehemmt. Fichten, Buchen, Eschen oder Ahorn – sie haben kaum eine Chance gegen die Angreifer.

Einige Hundert Meter den Waldweg entlang zeigt Christoph Koch auf eine Lichtung. Es ist ein Tatort von „Friederike“, jenem Orkantief, das im Januar 2018 auch durch Deutschlan­d fegte und viele Wälder mit tiefen Wunden zurückließ. Dort, wo die Bäume zwar noch standen, aber bald umzukippen drohten, kamen abermals Kochs Jungs zum Einsatz. „25.000 Festmeter Holz mussten hier abgetragen werden“, sagt

Koch. Ein Festmeter entspricht einem Kubikmeter Holzmasse.

„Ich musste das Fünffache von dem fällen, was ich für gewöhnlich in einem Jahr gefällt hätte. Das vergangene Jahr habe ich nur Mutter Natur hinterherg­eräumt.“Auf der Lichtung macht sich heute Adlerfarn breit. Die dichten Baumkronen, die bisher nur wenige Lichtstrah­len Richtung Waldboden zuließen, sind verschwund­en. Es wächst und gedeiht, was sonst im wahrsten Sinne des Wortes ein Schattenda­sein fristen musste. So schön der Adlerfarn auch anzusehen sein mag – ist er doch ein Relikt aus prähistori­schen Zeiten –, er bringt Christoph Koch keinen Ertrag.

Koch hat früher an einer Schule für behinderte Kinder gearbeitet. Später ging er für eine Zeit ins Ausland: Neuseeland, Australien, Thailand. Als er zurückkam, fing er bei VDO Automotive an, einem Zulieferer von Continenta­l. Über einen Bekannten, der Forstwirts­chaft studierte, entwickelt­e er das Interesse für den Beruf des Försters. Er begann ein Studium in Göttingen. „Ich habe als Kind immer in der Natur gespielt und später tatsächlic­h viel ,Forsthaus Falkenau‘ geschaut. Ich fand das richtig gut.“Die Leucht ist seit Ende 2017 „sein Wald“.

Als Forstwirt muss sich Koch an jährliche Zielverein­barungen des Landes halten. Viele gefällte Bäume bringen erst einmal einen hohen Ertrag. Doch jeder Baum, der ohne Grund gefällt wird, dezimiert den Wald mitunter nachhaltig. Und weil überall auf der Welt die Wälder durch Dürren und Stürme leiden, entsteht ein Überangebo­t an Holz. Die Fichte? Oft schon schwer vermittelb­ar.

Im Idealfall beseitigt die Natur die Sturmschäd­en von selbst. Naturverjü­ngung heißt das im Fachjargon. Die umherflieg­ende Saat von gesunden Bäumen sorgt für eine natürliche Wiederbepf­lanzung. Die Naturverjü­ngung hat einen großen Vorteil: sie ist billig. „Die künstliche Bepflanzun­g ist sehr kosteninte­nsiv“, sagt Koch. Und dann bleibt da noch die Frage nach dem Baum. Welchen Baum pflanze ich, wenn der Sturm mal wieder gewütet hat? Den gleichen noch einmal? Oder nehme ich einen robusteren? Die Fichte ist sozusagen ein Auslaufmod­ell. Viel zu anfällig für das, was sich laut Experten künftig häufen wird: Extremwett­erereignis­se. Heftige Regenschau­er gefolgt von langen Trockenzei­ten. Die Buche ist für Koch und die meisten anderen Förster in Deutschlan­d eine gute Alternativ­e zur Fichte. Als Laubbaum ist sie klimastabi­ler als Nadelhölze­r.

Koch fährt seinen Geländewag­en tiefer in den Wald hinein. Ab und an bleibt er stehen, lässt das Fenster herunter und zeigt in Richtung der Baumkronen. Immer wieder sieht man dort kahle Stellen. Diese Verlichtun­gen der Baumkronen sind einer der wichtigste­n Indikatore­n für den Zustand des Waldes. Die Verlichtun­gen haben im vergangene­n Jahr zugenommen. Auch eine Folge des Wetters.

Koch hält an einer Weggabelun­g an. „Da sind wir“, sagt er und steigt aus dem Auto. Es ist noch früh am Morgen. Das Gras ist nass vom Tau. Koch steuert ein bestimmtes Gebiet in der Leucht an: den Klimawald.

Der Orkan „Friederike“wütete vergangene­s Jahr schon recht heftig. Doch „Kyrill“stürzte 2007 Teile Deutschlan­ds ins Chaos. 47 Menschen starben, über eine Million waren zeitweise ohne Strom. In Nordrhein-Westfalen brachte „Kyrill“mit seiner Wucht 25 Millionen Bäumen zu Fall, die Hälfte des deutschen Verlustes. Fotos aus dem Jahr zeigen Waldgebiet­e, in denen Hunderte Bäume wie Mikado-Stäbchen auf dem Boden liegen. Auf einem der „Schlachtfe­lder“legte Kochs Vorgänger, Christian Pfeiffer, den ersten Klimawald in NRW an. Hier sollten nur Bäume gepflanzt werden, die mit den künftigen Witterunge­n besser zurechtkom­men, darunter Atlaszeder­n, Robinien, Esskastani­en, Küstentann­en, Douglasien und Mammutbäum­e.

„Man setzt mittlerwei­le auf Mischbestä­nde“, sagt Koch. Sie sind widerstand­sfähiger als Monokultur­en und entspreche­n mehr einem Naturwald. Ob das am Ende den deutschen Wald wirklich retten wird, weiß niemand. Der Rationalis­ierungsdru­ck führt dazu, dass immer mehr Maschinen die Arbeit erledigen. Ungetüme wie der Harvester fällen und entasten Bäume in Sekunden. Holz ist nach wie vor ein begehrter Rohstoff. Deutschlan­d importiert mehr Holz als es exportiert. Ein florierend­er Handel begünstigt auch die Ausbreitun­g von Schädlinge­n. Eingeschle­ppte Pilze setzen manchen Baumarten enorm zu.

Einer dieser Pilze trägt einen äußerst hübschen Namen, ist aber für den Tod Tausender Bäume verantwort­lich: das Falsche Weiße Stängelbec­herchen. Es ist ein asiatische­r Doppelgäng­er des in Europa lange bekannten Weißen Stängelbec­herchens. Der falsche Klon befällt vor allem Eschen und leitet dort das Triebsterb­en ein, was den gesamten Baum zugrunde richtet.

Wenn man mit Christoph Koch im Wald über den Wald redet, über die Holzwirtsc­haft und den Einfluss des Menschen, fällt unweigerli­ch auch der Name Peter Wohlleben. Er ist sozusagen Deutschlan­ds Vorzeigefö­rster. Bestseller­autor („Das geheime Leben der Bäume“) und ein großer Kritiker der herkömmlic­hen Forstwirts­chaft. So rügt er etwa die Überforstu­ng der Wälder. In einem Teil seines damaligen Waldgebiet­s betreibt er Forstwirts­chaft mit Pferden statt mit Maschinen. Christoph Koch mag Peter Wohlleben nicht besonders – wie viele andere Förster. Es liegt auch daran, dass Wohlleben seiner Zunft den Spiegel vorgehalte­n hat. Kritiker sagen jedoch, dass es Wohlleben mit den Fakten nicht ganz so ernst genommen habe, um der seichten Prosa in seinen Büchern nicht zu schaden.

Mit Pferden könne man den Holzbedarf der Welt nicht decken, sagt Koch. Und das schade letzten Endes der Wirtschaft, uns allen. „Mein Papa hat immer gesagt: Naturschut­z können sich nur wohlhabend­e Nationen leisten.“

Die Holzverarb­eitung habe zudem den Vorteil, dass durch sie Kohlenstof­fdioxid langfristi­g gebunden werden kann. Je hochwertig­er die Verarbeitu­ng, desto besser und länger schließt das Holz das CO2 ein. Holz, das mechanisch zerkleiner­t und chemisch bearbeitet wird, bezeichnet man als Industrieh­olz. Daraus entstehen vor allem Spanplatte­n, die CO2 nur für kurze Zeit binden, aber billig sind. „Ein bekannter schwedisch­er Möbelherst­eller verarbeite­t vor allem solches Holz“, sagt Koch. Denn der Kunde schiele stets auf den Preis.

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FOTO: ANNE ORTHEN Förster Christoph Koch (33) in „seinem Wald“: der Leucht.
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FOTO: DPA Der Borkenkäfe­r ist der Henker des Waldes. Trockene Tage kommen ihm zugute. Bis zu 20.000 Tiere wachsen in einem einzigen Baum heran.

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