Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Wenn die Wälder erkranken
Förster spüren die Auswirkungen des Klimawandels mit am schnellsten. Sie sehen, wenn die Bäume leiden, sich Schädlinge rasant vermehren. Ein Streifzug durch die Wälder Kamp-Lintforts.
Es ist wohl Zufall, dass die toten Baumstämme im nassen Laub am Leichenweg liegen. Doch irgendwie spricht dieses Bild auch für sich. Hier in der Leucht, einem Waldgebiet im Nordosten Kamp-Lintforts, fuhren die Menschen einst ihre Karren, auf denen sie die von Krankheit und Kampf Dahingerafften aufgebahrt hatten, über einen Pfad zum Alpener Friedhof. Aus diesem Pfad wurde der Leichenweg. Christoph Koch hat die Bäume vor einigen Tagen von seinen „Jungs“fällen lassen. Koch ist Förster und für rund 2000 Hektar Staatswald, darunter die Leucht, zuständig. Mit seinen „Jungs“meint er seine Mitarbeiter. Die mit den Motorsägen. Er hat auch zwei junge Frauen im Team. Trotzdem sagt er „Jungs“.
Koch legt seine Hand auf einen der Baumstämme, eine Fichte. Er reißt ein Stück Rinde ab und sagt: „Borkenkäfer. Genauer gesagt: Buchdrucker, eine Unterart des Borkenkäfers.“Der Buchdrucker ist mit seinen Artgenossen der Henker des Waldes. Eine Plage. Wo er auftaucht, muss Christoph Koch früher oder später seine Jungs rufen. In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der Buchdrucker im Wald vervielfacht. Schuld daran sind die langen und heftigen Trockenphasen, die mittlerweile häufiger vorkommen. Ein Resultat des Klimawandels, der hier im Wald, direkt vor unserer aller Haustüren, deutlich wird.
„Es sind die Männchen, die sich zuerst unter der Rinde des Baums einnisten. Erst später kommen die Weibchen hinzu“, erklärt Koch und meint damit die Buchdrucker. Das Männchen legt die sogenannte Rammelkammer an. Der Name ist Programm. Ausgehend von der Rammelkammer fräst das Weibchen nach der Begattung einen Längsgang, den sogenannten Muttergang, durch die Rinde und legt beidseitig nebeneinander ihre Eier ab. Die Larven fressen sich später rechtwinklig zum Muttergang durch den Stamm. Das Fraßbild erinnert an ein aufgeschlagenes Buch. Daher der Name Buchdrucker.
Gesunde Bäume spülen die Schädlinge mit ihrem Harz aus dem Stamm. Aber in der Trockenzeit ist die Harzproduktion gehemmt. Fichten, Buchen, Eschen oder Ahorn – sie haben kaum eine Chance gegen die Angreifer.
Einige Hundert Meter den Waldweg entlang zeigt Christoph Koch auf eine Lichtung. Es ist ein Tatort von „Friederike“, jenem Orkantief, das im Januar 2018 auch durch Deutschland fegte und viele Wälder mit tiefen Wunden zurückließ. Dort, wo die Bäume zwar noch standen, aber bald umzukippen drohten, kamen abermals Kochs Jungs zum Einsatz. „25.000 Festmeter Holz mussten hier abgetragen werden“, sagt
Koch. Ein Festmeter entspricht einem Kubikmeter Holzmasse.
„Ich musste das Fünffache von dem fällen, was ich für gewöhnlich in einem Jahr gefällt hätte. Das vergangene Jahr habe ich nur Mutter Natur hinterhergeräumt.“Auf der Lichtung macht sich heute Adlerfarn breit. Die dichten Baumkronen, die bisher nur wenige Lichtstrahlen Richtung Waldboden zuließen, sind verschwunden. Es wächst und gedeiht, was sonst im wahrsten Sinne des Wortes ein Schattendasein fristen musste. So schön der Adlerfarn auch anzusehen sein mag – ist er doch ein Relikt aus prähistorischen Zeiten –, er bringt Christoph Koch keinen Ertrag.
Koch hat früher an einer Schule für behinderte Kinder gearbeitet. Später ging er für eine Zeit ins Ausland: Neuseeland, Australien, Thailand. Als er zurückkam, fing er bei VDO Automotive an, einem Zulieferer von Continental. Über einen Bekannten, der Forstwirtschaft studierte, entwickelte er das Interesse für den Beruf des Försters. Er begann ein Studium in Göttingen. „Ich habe als Kind immer in der Natur gespielt und später tatsächlich viel ,Forsthaus Falkenau‘ geschaut. Ich fand das richtig gut.“Die Leucht ist seit Ende 2017 „sein Wald“.
Als Forstwirt muss sich Koch an jährliche Zielvereinbarungen des Landes halten. Viele gefällte Bäume bringen erst einmal einen hohen Ertrag. Doch jeder Baum, der ohne Grund gefällt wird, dezimiert den Wald mitunter nachhaltig. Und weil überall auf der Welt die Wälder durch Dürren und Stürme leiden, entsteht ein Überangebot an Holz. Die Fichte? Oft schon schwer vermittelbar.
Im Idealfall beseitigt die Natur die Sturmschäden von selbst. Naturverjüngung heißt das im Fachjargon. Die umherfliegende Saat von gesunden Bäumen sorgt für eine natürliche Wiederbepflanzung. Die Naturverjüngung hat einen großen Vorteil: sie ist billig. „Die künstliche Bepflanzung ist sehr kostenintensiv“, sagt Koch. Und dann bleibt da noch die Frage nach dem Baum. Welchen Baum pflanze ich, wenn der Sturm mal wieder gewütet hat? Den gleichen noch einmal? Oder nehme ich einen robusteren? Die Fichte ist sozusagen ein Auslaufmodell. Viel zu anfällig für das, was sich laut Experten künftig häufen wird: Extremwetterereignisse. Heftige Regenschauer gefolgt von langen Trockenzeiten. Die Buche ist für Koch und die meisten anderen Förster in Deutschland eine gute Alternative zur Fichte. Als Laubbaum ist sie klimastabiler als Nadelhölzer.
Koch fährt seinen Geländewagen tiefer in den Wald hinein. Ab und an bleibt er stehen, lässt das Fenster herunter und zeigt in Richtung der Baumkronen. Immer wieder sieht man dort kahle Stellen. Diese Verlichtungen der Baumkronen sind einer der wichtigsten Indikatoren für den Zustand des Waldes. Die Verlichtungen haben im vergangenen Jahr zugenommen. Auch eine Folge des Wetters.
Koch hält an einer Weggabelung an. „Da sind wir“, sagt er und steigt aus dem Auto. Es ist noch früh am Morgen. Das Gras ist nass vom Tau. Koch steuert ein bestimmtes Gebiet in der Leucht an: den Klimawald.
Der Orkan „Friederike“wütete vergangenes Jahr schon recht heftig. Doch „Kyrill“stürzte 2007 Teile Deutschlands ins Chaos. 47 Menschen starben, über eine Million waren zeitweise ohne Strom. In Nordrhein-Westfalen brachte „Kyrill“mit seiner Wucht 25 Millionen Bäumen zu Fall, die Hälfte des deutschen Verlustes. Fotos aus dem Jahr zeigen Waldgebiete, in denen Hunderte Bäume wie Mikado-Stäbchen auf dem Boden liegen. Auf einem der „Schlachtfelder“legte Kochs Vorgänger, Christian Pfeiffer, den ersten Klimawald in NRW an. Hier sollten nur Bäume gepflanzt werden, die mit den künftigen Witterungen besser zurechtkommen, darunter Atlaszedern, Robinien, Esskastanien, Küstentannen, Douglasien und Mammutbäume.
„Man setzt mittlerweile auf Mischbestände“, sagt Koch. Sie sind widerstandsfähiger als Monokulturen und entsprechen mehr einem Naturwald. Ob das am Ende den deutschen Wald wirklich retten wird, weiß niemand. Der Rationalisierungsdruck führt dazu, dass immer mehr Maschinen die Arbeit erledigen. Ungetüme wie der Harvester fällen und entasten Bäume in Sekunden. Holz ist nach wie vor ein begehrter Rohstoff. Deutschland importiert mehr Holz als es exportiert. Ein florierender Handel begünstigt auch die Ausbreitung von Schädlingen. Eingeschleppte Pilze setzen manchen Baumarten enorm zu.
Einer dieser Pilze trägt einen äußerst hübschen Namen, ist aber für den Tod Tausender Bäume verantwortlich: das Falsche Weiße Stängelbecherchen. Es ist ein asiatischer Doppelgänger des in Europa lange bekannten Weißen Stängelbecherchens. Der falsche Klon befällt vor allem Eschen und leitet dort das Triebsterben ein, was den gesamten Baum zugrunde richtet.
Wenn man mit Christoph Koch im Wald über den Wald redet, über die Holzwirtschaft und den Einfluss des Menschen, fällt unweigerlich auch der Name Peter Wohlleben. Er ist sozusagen Deutschlands Vorzeigeförster. Bestsellerautor („Das geheime Leben der Bäume“) und ein großer Kritiker der herkömmlichen Forstwirtschaft. So rügt er etwa die Überforstung der Wälder. In einem Teil seines damaligen Waldgebiets betreibt er Forstwirtschaft mit Pferden statt mit Maschinen. Christoph Koch mag Peter Wohlleben nicht besonders – wie viele andere Förster. Es liegt auch daran, dass Wohlleben seiner Zunft den Spiegel vorgehalten hat. Kritiker sagen jedoch, dass es Wohlleben mit den Fakten nicht ganz so ernst genommen habe, um der seichten Prosa in seinen Büchern nicht zu schaden.
Mit Pferden könne man den Holzbedarf der Welt nicht decken, sagt Koch. Und das schade letzten Endes der Wirtschaft, uns allen. „Mein Papa hat immer gesagt: Naturschutz können sich nur wohlhabende Nationen leisten.“
Die Holzverarbeitung habe zudem den Vorteil, dass durch sie Kohlenstoffdioxid langfristig gebunden werden kann. Je hochwertiger die Verarbeitung, desto besser und länger schließt das Holz das CO2 ein. Holz, das mechanisch zerkleinert und chemisch bearbeitet wird, bezeichnet man als Industrieholz. Daraus entstehen vor allem Spanplatten, die CO2 nur für kurze Zeit binden, aber billig sind. „Ein bekannter schwedischer Möbelhersteller verarbeitet vor allem solches Holz“, sagt Koch. Denn der Kunde schiele stets auf den Preis.