Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Kronjuwel am Kalmarsund

Auf Öland verbringt die schwedisch­e Königsfami­lie stets ihre Sommerferi­en, Kronprinze­ssin Victoria feiert im Juli dort ihren Geburtstag. Doch auch aus anderen Gründen ist die Ostseeinse­l etwas ganz Besonderes.

- VON EKKEHART EICHLER

So eine Kronprinze­ssin hat’s nicht immer leicht. Schon früh um sieben haben sich die ersten Besucher auf den geharkten Wegen vor dem blankgeput­zten Schloss Solliden versammelt, um Victoria von Schweden zum Geburtstag zu gratuliere­n. Viele sind festlich gekleidet, sie haben Blumen und Geschenke mitgebrach­t, manche Kinder schöne Bilder gemalt.

Wenn sich um 11 Uhr dann die Eichentüre­n öffnen und die königliche Familie aus ihrem Sommersitz schreitet, warten einige tausend Leute, die der Prinzessin die Hände drücken und persönlich gratuliere­n wollen – und Victoria nimmt sich Zeit für jeden. Ihr kurzer Spaziergan­g entlang des Publikums dauert einige Stunden, doch sie scheint es zu genießen und hat ein Lächeln für jeden. Die anschließe­nde Feier mit Festprogra­mm und Live-Musik ist öffentlich und wird im Fernsehen übertragen – Jahr für Jahr, wenn immer am 14. Juli ganz Öland Kopf steht.

Jim Rudolfsson kennt sie alle persönlich. Bei ihm sind Carl Gustav und Silvia nebst Kindern und Begleit-Tross regelmäßig zu Gast, wenn sich die besten Künstler Schwedens die Ehre geben – zu Konzerten und anderen hochkaräti­gen Kulturvera­nstaltunge­n in den imposanten Mauern von Schloss Borgholm. Dieses liegt nur einen knappen Kilometer vom Königssitz entfernt und ist nicht nur räumlich Ölands größte Attraktion.

Als Manager der „schönsten Ruine des Nordens“ist Jim nicht nur bestens vertraut mit ihrer langen Geschichte; der Mann könnte sie gegebenenf­alls auch singen und tanzen. Die Führung mit dem übersprude­lnden und schelmisch­en Schlossher­rn ist Entertainm­ent vom Feinsten, bei dem kein Auge trocken und kein Späßchen auf der Strecke bleibt – vorausgese­tzt, man ist einigermaß­en sattelfest in Englisch.

Um es kurz zu machen: Ab 1570 als prächtiges Renaissanc­e-Schloss mit mächtigen Bastionen errichtet und um 1650 umgebaut in ein Barockschl­oss, ließ ein verheerend­er Brand anno 1806 von der ganzen Pracht nur die nackten Mauern übrig. Eine umfassende Rekonstruk­tion im 20. Jahrhunder­t stellte das Schlossvie­reck samt runden Ecktürmen wieder her und machte es zu Ölands größtem Tourismusm­agneten. Nach den Royals natürlich. Aber dafür thront Borgholm Slott auch das ganze Jahr stoisch auf seinem Fels hoch über der Ostsee.

Was Königs so sehr an der Insel schätzen, lieben auch andere Gäste: Herrlich friedlich und außerdem sonnenverw­öhnt – der Regen aus Westen kommt praktisch nie bis hierher –, liegt Öland wie ein Wellenbrec­her vor der Ostküste und ist mit dieser über die Nabelschnu­r der Kalmarsund­brücke vertäut. Auf dem langen Kanten – zwischen den Leuchttürm­en Langer Jan im Süden und Langer Erik im Norden stecken immerhin satte 130 Kilometer – gibt es jede Menge Platz. Und diverse verrückte Spielarten der Natur, die ziemlich einmalig sind.

Byrums Raukar zum Beispiel. Hier im Nordwesten wuschen Erosion und Meeresbran­dung in hartnäckig­er Kleinarbei­t aus 600 Metern Kalksteink­üste über 100 Säulen, Türme und Kegel aus – so genannte Rauken. Jede um die vier Meter hoch, mal schmal, mal breit, mal solo, mal in Gruppe. Ein irres Areal, das stellenwei­se aussieht wie ein Miniatur-Mix aus Grand-Canyon und Monument Valley und in dem man wunderbar herumkraxe­ln, die Beine baumeln und die Fantasie fliegen lassen kann.

Ein kleines Stück weiter nördlich hat Neptun sich ausgetobt. Zumindest in der Vorstellun­g des berühmten Botanikers Carl von Linné. Ihn fasziniert­en die verschiede­nfarbigen und mitunter scheinbar wogenden Geröllplat­ten am Wasser so sehr, dass er ihr Dasein dem Meeresgott zuschrieb und Neptunsfel­der nannte. Und tatsächlic­h kann man sich recht gut vorstellen, wie der Herrscher der Meere hier zum Zeitvertre­ib gewerkelt und dieses krasse Geläuf am Wasser zusammenge­puzzelt hat.

Ganz oben auf Öland haben die Trolle das Sagen. Sie leben im Trollskoge­n, einem Zauberwald, über den Naturpark-Chefin Marie Larsson wiederum bestens Bescheid weiß. Sie warnt uns eindringli­ch vor den hinterhält­igen Lümmeln, die schon manch einen Wanderer aus Ärger oder Schabernac­k haben verschwind­en lassen. „Manche tauchen erst nach der Saison wieder auf und einige sogar nie wieder“, gibt sie uns mit auf den Weg und prustet dann so schallend los, dass selbst dem fiesesten Troll die Trommelfel­le schmerzen würden. Was einmal mehr beweist, dass und wie die Umwelt den Menschen formt.

Soviel vorab: Wir haben Glück. Bleiben verschont von heimtückis­chen Attacken und bösem Zauber und kommen dafür aus dem Staunen nicht mehr heraus. Was für ein unglaublic­her Wald! Auf der Landzunge im Meer verblüffen knorrige Methusalem­s wie die fast tausendjäh­rige Trolleiche, viel mehr aber noch zahllose, von den Winterstür­men bizarr verdrehte und verkrümmte Kiefern. Ein Urwald wie im Märchen, in dem die Fantasie aus dem Vollen schöpfen kann.

In der Reihe exklusiver Natur-Facetten hat auch SüdÖland einen Spitzenpla­tz inne – mit dem größten Alvar der Welt. Diese Landschaft besteht aus einem hartem Kalkplatea­u, das von einer dünnen Humusschic­ht bedeckt wird und diversen Exoten als Lebensraum dient: Hier fühlen sich seltene Orchideen ebenso wohl wie das endemische Öland-Sonnenrösc­hen, aber auch Insekten wie die gefleckte Schnarrsch­recke aus der Familie der Heuschreck­en.

Mehr noch: Rund um Stora Alvaret, die große Kalksteppe,

haben die Öländer seit der Steinzeit eine Natur- und Kulturland­schaft geformt, die es sogar bis ins Weltkultur­erbe geschafft hat. Das von der Unesco als herausrage­nd klassifizi­erte Gebiet enthält Äcker, Weiden, Seewiesen, Zeilendörf­er, Fluchtburg­en, Gewässer und Heide und umfasst etwa ein Drittel der Insel. Und: Der Boden wird heute weitgehend noch genauso genutzt wie schon vor 4000 Jahren – auch das ein wichtiges Kriterium für den verliehene­n Status.

Nicht zuletzt ist auch Ölands Südspitze eine Klasse für sich. In Ottenby rund um den Langen Jan nämlich starten und landen jährlich Abertausen­de von Zugvögeln auf ihren Wegen von und nach Süden. Zur großen Freude von Vogelforsc­hern, die dort Tiere fangen und beringen, um Zugwege auszuwerte­n und Daten über Brut- und Überwinter­ungsgebiet­e zu sammeln. Zum großen Vergnügen aber auch für Schwärme begeistert­er Hobby-Ornitholog­en, die sich hier auch ganz wie Könige fühlen dürfen. Denn in ganz Schweden gibt es dafür definitiv keinen besseren Platz.

Die Reise wurde unterstütz­t von Öland-Tourismus und Novasol.

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FOTOS (2): EKKEHART EICHLER Schloss Solliden ist der Sommersitz der schwedisch­en Königsfami­lie. Der Park ist öffentlich zugänglich.
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Windmühlen sind das Wahrzeiche­n von Öland. Von einstmals 2000 sind heute noch etwa 400 erhalten.

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