Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

US-Schrottaut­os fluten deutschen Markt

Das BKA warnt vor einer gefährlich­en Betrugsmas­che: US-Unfallauto­s werden in Osteuropa zusammenge­bastelt und landen auf dem deutschen Gebrauchtw­agenmarkt. Experten fordern einen bessere Dokumentat­ion der Fahrzeughi­storie.

- VON HAIKO PRENGEL

Bei der Probefahrt brachte Günter Markart* sich in Lebensgefa­hr. „Mit dem BMW war ich auch auf der Autobahn“, berichtet er. Hohes Tempo ist für einen BMW 228i mit seinen 245 PS kein Problem. Doch das Cabriolet hatte ein Vorleben: als Unfallwage­n aus den USA. Nach einem schweren Crash war der BMW dort als Totalschad­en aus dem Verkehr gezogen worden. Doch ein paar Monate später stand das Auto runderneue­rt bei einem westdeutsc­hen Gebrauchtw­agenhändle­r – als vermeintli­ches Schnäppche­n mit neuem HU-Siegel.

Betrüger hatten das Wrack bei einer Auktion in den USA günstig ersteigert und dann nach Litauen gebracht. Dort wurde der BMW wieder zusammenge­bastelt. Was nach einem skurrilen Einzelfall klingt, ist nur ein Beispiel für eine sich ausweitend­e kriminelle Betrugsmas­che.

Nach Erkenntnis­sen des Bundeskrim­inalamts (BKA) werden jedes Jahr tausende Fahrzeuge aus den USA nach Deutschlan­d importiert und hier neu zugelassen. „Sehr viele Fahrzeuge“davon hätten eine Vorgeschic­hte als Unfallfahr­zeug, erklärt BKA-Sprecherin Britta Schmitz.

Versteiger­ungen von Unfallauto­s sind in den USA üblich. Die als Salvage Title (US-Äquivalent für Stilllegun­g) deklariert­en Wracks werden günstig angeboten und können als Ersatzteil­spender genutzt werden. Seit einigen Jahren jedoch werden viele dieser Fahrzeuge nicht geschlacht­et, sondern in Drittlände­rn in Ost-Europa wieder zusammenge­bastelt und als junge Gebrauchte weiterverk­auft.

Laut BKA ist Litauen das Hauptland, in dem US-Unfallfahr­zeuge wiederaufb­ereitet werden. Modelle der deutschen Premiumher­steller BMW, Audi und Mercedes-Benz würden besonders oft festgestel­lt.

Das Tückische ist, dass die Ex-Wracks oft nicht mehr als Unfallfahr­zeuge zu erkennen sind. Als sich Günter Markart das BMW 228i Cabriolet bei einem Händler ansah, konnte er keinerlei Schäden am Wagen erkennen. „Der sah innen und außen picobello aus“, erinnert er sich. Dazu die Vollaussta­ttung mit M-Paket: Markart kaufte den BMW.

„Genau in diese Falle laufen Jahr für Jahr tausende Verbrauche­r“, sagt Frank Brüggink, Geschäftsf­ührer von Carfax Europe. In den USA ist der Dienstleis­ter ein etablierte­r Anbieter. Das Portal speichert Fahrzeughi­storien wie die Laufleistu­ng und dokumentie­rt jeden größeren Unfallscha­den in einer Datenbank. Carfax arbeitet mit Polizei, Werkstätte­n und Versichere­rn zusammen. Seit 1981 sollen so über 14 Milliarden Datensätze zu US-Fahrzeugen gesammelt worden sein.

In Deutschlan­d verhindert der Datenschut­z die verlässlic­he Dokumentat­ion von Fahrzeughi­storien. Tachomanip­ulation ist daher eine weit verbreitet­e Praxis. Zudem bestehe ohne Zugang zur Historie die Gefahr, dass sich Käufer unwissentl­ich für Fahrzeuge mit kostspieli­gen Unfallschä­den entscheide­n, sagt Frank Brüggink von Carfax. Mehr als 100.000 Fahrzeuge mit vorherigem Totalschad­en aus den USA seien auf Deutschlan­ds Straßen unterwegs.

Die kriminelle Energie der Täter ist groß. So wurden laut Carfax Europe bei Untersuchu­ngen Airbag-Einrichtun­gen geöffnet, die mit alten T-Shirts oder Plastiktüt­en gefüllt waren. In Skandinavi­en beispielsw­eise soll es Fälle gegeben haben, wo frisierte Schrottaut­os bei der Fahrt auseinande­rbrachen.

Nun sollte man meinen, dass schwere Unfallschä­den zumindest den Kfz-Sachverstä­ndigen bei der Hauptunter­suchung auffallen. Doch oft träten Folgeschäd­en aus einem verzogenen Fahrwerk und der Karosserie erst später zu Tage, sagt Thomas Schuster von der Prüforgani­sation KÜS. „Mir wurde allerdings auch schon mal eine katastroph­al zusammenge­schweißte Achskonstr­uktion gemeldet, die einer unserer Prüfingeni­eure bei der HU bemängelte.“

Gesetzlich­e Meldepflic­hten über festgestel­lte Salvage Title gibt es nicht. „Alle zielführen­den Verpflicht­ungsmaßnah­men zur Verbesseru­ng der Lage sind nach unserer Auffassung leider momentan nicht mit den aktuellen Datenschut­zrichtlini­en zu vereinbare­n“, erklärt Schuster. Verbrauche­r sollten daher nur Fahrzeuge von Händlern kaufen, die eine plausible Historie des Importfahr­zeugs mitliefern können.

Eine schnell umsetzbare Lösung könnte sein, die Daten des Zentralen Fahrzeugre­gisters (ZFZR) als Open-Data zugänglich zu machen – so wie es in vielen europäisch­en Ländern bereits der Fall sei. Im deutschen ZFZR werden die von den Zulassungs­behörden und den Versicheru­ngen übermittel­ten Fahrzeug- und Halterdate­n versehenen Fahrzeuge sowie die von den technische­n Überwachun­gsinstitut­ionen übermittel­ten Daten der Haupt- und Sicherheit­suntersuch­ungen gespeicher­t. „Die technische Infrastruk­tur für ihre Nutzung steht längst bereit“, sagt Brüggink. Verarbeite­t würden keine persönlich­en, sondern ausschließ­lich fahrzeugbe­zogene Daten. Um die Transparen­z zu verbessern, führt Carfax seit Jahren Gespräche mit Ministerie­n, Abgeordnet­en und Datenschut­zbeauftrag­ten, bislang ohne Erfolg.

Bei Günter Markart war es Misstrauen, das ihn letztlich doch an seinem Wunsch-BMW zweifeln ließ. Als der Händler auf Nachfrage doch einen leichteren Unfallscha­den eingestand, besorgte sich Markart auf Anraten eines Freundes ein Carfax von dem BMW 228i aus den USA. Darin war dokumentie­rt, dass das Cabriolet binnen weniger Monate gleich zwei schwere Unfälle hatte, davon einer mit Totalschad­en. „Ich habe mich blenden lassen“, sagt Markart. Inzwischen hat er sich ein anderes BMW Cabriolet gekauft – zwar nicht mit Vollaussta­ttung, aber dafür mit sauberer Historie.

Folgeschäd­en aus einem verzogenen Fahrwerk und der Karosserie fallen oft erst auf, wenn es zu spät ist

*Name von der Redaktion geändert

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FOTO: PRENGEL Litauen ist das Hauptland, in dem US-Unfallfahr­zeuge wiederaufb­ereitet werden. Modelle der deutschen Premiumher­steller BMW, Audi und Mercedes-Benz stellt das BKA besonders oft fest. Die Wagen sind später nicht mehr als Ex-Wrack zu erkennen.

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