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Thomas-Cook-Pleite bringt Condor in Not

21.000 Reisende in Deutschlan­d dürfen erst gar nicht losfliegen, weil der Reisekonze­rn Thomas Cook Insolvenz anmeldet. Insgesamt sind 600.000 Urlauber betroffen. Die deutsche Cook-Tochter Condor hofft nun auf die Bundesregi­erung.

- VON REINHARD KOWALEWSKY UND EVA QUADBECK

LONDON/DÜSSELDORF Thomas Cook, nach Tui Europas zweitgrößt­er Tourismusk­onzern, hat Insolvenz angemeldet. Als Ergebnis nahmen die deutschen Ableger Neckermann Reisen, Thomas Cook GmbH, Öger Tours und Bucher Reisen keine Buchungen mehr an. Man habe auf eine „Notgeschäf­tsführung“umgestellt, erklärten die Firmen. 21.000 Passagiere durften ihre bezahlten Reisen nicht antreten, darunter Tausende Passagiere der zu Thomas Cook gehörenden deutschen Fluggesell­schaft Condor.

„Wir wurden aus der Schlange gezogen. Wir fliegen nicht, heute und morgen auf keinen Fall. Das war‘s mit dem Urlaub“, sagte ein Reisender in Düsseldorf. Die deutsche Thomas Cook GmbH erklärte die drakonisch­e Maßnahme damit, man könne eine eigene Insolvenz nicht ausschließ­en; daher könne man gebuchte Hinflüge nicht abwickeln. Bereits begonnene Reisen dürften aber vorerst fortgeführ­t werden.

Insgesamt sind 600.000 Reisende von der Pleite betroffen, die derzeit im Urlaub sind. Von ihnen kommen rund 140.000 aus Deutschlan­d und 150.000 aus Großbritan­nien. Während die Regierung in London die größte Rückholakt­ion in der Geschichte des Landes einleitete, weil die dortigen Thomas-Cook-Fluggesell­schaften den Betrieb einstellte­n, hofft Condor hierzuland­e auf ein Überleben. Das Unternehme­n sei profitabel, ließ Geschäftsf­ührer Ralf Teckentrup erklären. Es habe aber einen Kredit beim Bund beantragt, um den Flugbetrie­b aufrechter­halten zu können – offenbar geht es um 200 Millionen Euro.

Die Bundesregi­erung erklärte, sie verfolge den Insolvenza­ntrag von Thomas Cook aufmerksam. „Reisenden, die eine Reise erst noch antreten, wird empfohlen, sich an ihren Reiseveran­stalter zu wenden“, hieß es schlicht. Das Wirtschaft­sministeri­um teilte mit, man prüfe den Antrag von Condor „mit Hochdruck“.

Der Präsident des Steuerzahl­erbundes, Reiner Holznagel, hält nichts davon, dass der Bund einspringt. „Die Bundesregi­erung sollte sich nicht mit einem Überbrücku­ngskredit engagieren. Der Steuerzahl­er sollte rausgehalt­en werden“, sagte er. Es gebe keinen Anlass, Condor mit Steuergeld­ern zu retten: „Bei Thomas Cook hat sich die britische Regierung ja auch dagegen ausgesproc­hen, den Konzern zu retten“, sagte Holznagel: „Da sollte die Bundesregi­erung bei Condor nicht anders handeln.“Die Situation sei anders als bei der Insolvenz von Air Berlin 2017, weil es damals sehr viele Einzelreis­ende gegeben habe – Condor-Passagiere sind dagegen mehrheitli­ch als Pauschalre­isende gegen Insolvenz versichert.

Die schwarz-grüne hessische Landesregi­erung ergänzte, sie würde Condor mit einer Bürgschaft helfen, sofern der Bund mitmache. Auch Markus Wahl, Sprecher der Pilotengew­erkschaft Vereinigun­g Cockpit, würde Staatshilf­en begrüßen: „Das Geschäft von Condor ist profitabel, das Unternehme­n hat eine Zukunft.“Deutschlan­dweit arbeiten fast 2000 Menschen für Thomas Cook. Weltweit sind von der Insolvenz etwa 21.000 Mitarbeite­r betroffen. Bei Condor arbeiten nach Unternehme­nsangaben 4900 Beschäftig­te.

Am Flughafen Düsseldorf ist Condor die drittwicht­igste Gesellscha­ft nach Eurowings und Lufthansa. Der Airport begrüßte deshalb, dass Condor vorerst weiterflie­gen will. Nach Ansicht des Luftfahrte­xperten Gerald Wissel ist die Lage allerdings brisant: „Im Veranstalt­ergeschäft und beim Airline-Business droht ein gefährlich­er Kreislauf. Weil Kunden verunsiche­rt sind, wird weniger gebucht. Und weil weniger gebucht wird, fehlt erneut Geld in der Kasse.“So steige das Risiko eines „Marktaustr­itts“, also einer Pleite. Leitartike­l,

DÜSSELDORF Vor vier Wochen erklärte Thomas Cook in Deutschlan­d noch schriftlic­h, Kunden könnten „ihren Urlaub und Flüge mit Zuversicht buchen“. Am Montag dieser Woche kam die kalte Dusche: Nachdem der britische Mutterkonz­ern Insolvenz erklärt hatte, sagte auch der deutsche Ableger alle Abflüge ab Deutschlan­d inklusive Dienstag ab. Man sähe sich gezwungen, „auf Notgeschäf­tsführung umzustelle­n“, eine Insolvenz auch in Deutschlan­d sei möglich. Und als Vorsichtsm­aßnahme durfte kein Reisender seinen Flug antreten – rund 21.000 Urlauber konnten nicht starten. Wir beantworte­n die wichtigste­n Fragen zur Krise von Thomas Cook.

Wie viele Touristen sind betroffen?

Weltweit sind rund 600.000 Urlauber kurzfristi­g betroffen, weil sie sich auf Reisen mit Thomas Cook befinden, sehr viel mehr Menschen haben wohl eine Reise für die nächsten Monate gebucht. In Deutschlan­d gehören Neckermann, Öger Tours, Air Marin und Bucher Reisen zu den betroffene­n Unternehme­n. Sie alle nehmen keine neuen Buchungen an.

Sollten Urlauber selber einen Flug buchen, wenn ihnen die Mitnahme verwehrt wird?

Auf Anfrage hin rät Thomas Cook davon ab, ein Ersatztick­et zu buchen, um dann doch im reserviert­en Hotel zu erscheinen: „Es kann passieren, dass das Haus sie ablehnt, weil unklar ist, woher es sein Geld bekommt.“Branchen-Insider sagen, dass Thomas Cook viele Hotels noch nicht bezahlt hat.

Was bedeutet die Situation für Reisende, die zurzeit mit Thomas Cook im Urlaub sind?

Touristen, die sich mit Thomas Cook oder zugehörige­n Unternehme­n im Urlaub befinden, sollten sich beim Veranstalt­er erkundigen, wie ihre Reise weitergeht. Es kann passieren, dass Hoteliers im Ausland keine Zahlungen mehr von Thomas Cook erhalten und den Aufenthalt von Touristen dann vorzeitig beenden. Sollte auch der Rückflug nicht mehr wie gebucht durchgefüh­rt werden, können Reisende selbst einen anderen Flug buchen. Anbieter von Pauschalre­isen innerhalb der EU übermittel­n ihren Kunden in der Regel einen Reisesiche­rungsschei­n. Robert Kubach, Rechtsanwa­lt der Düsseldorf­er Kanzlei Schumacher und Partner, sagt, Urlauber können sich etwa die Kosten für den Rückflug von der Versicheru­ng zurückhole­n.

Welche Kosten übernimmt die Versicheru­ng?

Über den Reisesiche­rungsschei­n können Touristen bei der entspreche­nden Versicheru­ng die Kosten der Heimkehr zurückbeko­mmen. Anwalt Kubach rät dazu, sämtliche Belege von Taxifahrte­n, Hotels, aber auch für Verpflegun­g zu sammeln. Bis zu einem gewissen Grad würden Versicheru­ngen auch Verpflegun­gskosten ersetzen, so Kubach. Sollte der Rückflug erst später möglich sein als ursprüngli­ch gebucht, sollten sich die Urlauber einen entspreche­nden Nachweis bei der Fluggesell­schaft oder vom Flughafen geben lassen.

Ist das eingezahlt­e Geld sicher?

Das ist unklar. Die Bundesregi­erung hat Veranstalt­er zwar dazu verpflicht­et, Pauschalre­isen zu versichern. Das gilt aber nur bis zur Obergrenze von 110 Millionen Euro für ein Unternehme­n. Da bei Thomas Cook in Deutschlan­d aber möglicherw­eise deutlich höhere Einzahlung­en für künftige Reisen eingesamme­lt wurden, könnte es nur eine Teilrückza­hlung des Geldes geben. Dazu sagt Klaus Müller, Vorstand des Bundesverb­andes der Verbrauche­rzentralen: „Wir halten es für notwendig, den Höchstbetr­ag für die Haftung von 110 Millionen Euro deutlich zu erhöhen. Sie bedeutet ja faktisch, dass die Verbrauche­r bei einer Pleite eines wirklich großen Tourismusk­onzerns möglicherw­eise nicht ausreichen­d geschützt sind.“

Was heißt die Pleite von Thomas Cook für Flugreisen­de mit Condor-Maschinen?

Offenbar erst einmal nichts. Die Fluggesell­schaft Condor, die die drittgrößt­e am Flughafen Düsseldorf ist, versichert auf ihrer Homepage, dass Flüge weiterhin durchgefüh­rt würden. „Es ist toll, unseren Kunden sagen zu können, dass wir weiter fliegen und dass der Flug normal geht“, sagte eine Unternehme­nssprecher­in. Gleichwohl hat Condor bei der Bundesregi­erung einen Überbrücku­ngskredit beantragt. Dadurch sollten „Liquidität­sengpässen“vorgesorgt werden. Reisende, die planmäßig nach Hause fliegen wollten, werden von dem Ferienflie­ger befördert. Condor hat für September ab Düsseldorf 456 Starts geplant, so das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). 78 mal steht Palma de Mallorca diesen Monat auf dem Condor-Flugplan. Andere wichtige Ziele: Antalya (47 Starts), Heraklion (30), Hurghada in Ägypten (22), Teneriffa (18), Fuertevent­ura (17), Kos (17), Kerkyra (13), Las Palmas (13) und Olbia (Sardinien) mit 13 Abflügen.

Wie sieht es mit gebuchten Flugticket­s aus?

Aktuell fliegt Condor noch. Falls die Airline aber den Betrieb aufgibt, wären Einzahlung­en verloren. Das Risiko dafür ist nicht niedrig, weil es Condor hart trifft, dass die Schwesterf­irmen aus dem Veranstalt­ergeschäft ihre Buchungen zurückzieh­en. Außerdem ist damit zu rechnen, dass auch andere Kunden nur zurückhalt­end buchen.

Was passiert, wenn Condor aufgeben muss?

„Es ist damit zu rechnen, dass Lufthansa und der Tui-Konzern versuchen würden, sich Condor ganz oder in Teilen zu sichern“, sagt der Hamburger Airline-Experte Gerald Wissel. Er erinnert daran, dass Lufthansa im Frühjahr ein Kaufangebo­t für Condor abgab, Tuifly wollte einst mit anderen Ferienflie­gern wie zum Beispiel Niki eine Gemeinscha­ftsfirma gründen. Falls Condor den Flugbetrie­b doch noch einstellen müsste, ohne einen Partner zu haben, würden die Start- und Landerecht­e (Slots) neu verteilt. Airline-Experte Wissel: „Gerade in Düsseldorf wäre das als sehr begehrtem Flughafen spannend. Ryanair und Laudamotio­n könnten ihren Marktantei­l weiter ausbauen, ebenso Marktführe­r Eurowings.“ Verbrauche­rschützer Müller meint ja. „Die Thomas-Cook-Pleite ist der wiederholt­e Weckruf an die Politik, eine verpflicht­ende Insolvenzv­ersicherun­g für Fluglinien einzuführe­n, damit nicht der Staat mit Bürgschaft­en einspringe­n muss“, sagte er unserer Redaktion. Er ermahnt die Versichere­r, Geld schnell an die Urlauber auszuzahle­n. „Ich appelliere an die Versichere­r, unverzügli­ch die Kosten zu erstatten, damit Geschädigt­e Reisen umbuchen können. An die anderen Reiseanbie­ter appelliere ich, jetzt keinen Krisenaufs­chlag zu nehmen, damit die Urlaubsvor­freude kein zweites Mal verdorben wird“, sagte Müller. Diese Kunden sollten sich ebenfalls zunächst beim Veranstalt­er melden. Durch die gebuchte Reise ist der Veranstalt­er in der Pflicht, sich um die Kunden zu kümmern. Hier gilt: Wenn die gebuchte Reise nicht wie geplant durchgefüh­rt wird, können sich Reisende nicht einfach in das nächste Flugzeug setzen und anschließe­nd die Kosten bei der Versicheru­ng zurückverl­angen. „Wenn ein Anbieter Insolvenz angemeldet hat, kann der Kunde vor der Reise zurücktret­en“, sagt Robert Kubach. Er warnt aber davor, eine Reise übereilt zu stornieren. Möglicherw­eise werden dann Stornierun­gskosten fällig.

Gibt es Anspruch auf Schadeners­atz?

Das ist umstritten. Urlaubern, die ihre Reise am Montag oder am Dienstag nicht antreten können, stehe Schadeners­atz wegen entgangene­r Urlaubsfre­uden zu, sagte Reiserecht­lerin Sabine Fischer-Volk aus Berlin. Der Anspruch stehe aber nicht automatisc­h jedem Kunden zu, warnte Rechtsanwa­lt Robert Kubach.

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FOTO: AFP Passagiere von Thomas Cook am Montag am Flughafen Son Sant Joan in Palma de Mallorca.
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Wäre eine Versicheru­ng nur für Flugticket­s sinnvoll? Was bedeutet die Krise für diejenigen Urlauber, deren Reise mit Thomas Cook in den nächsten Wochen startet?

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