Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Pleitewelle in der Reisebranche
Die Luftfahrtbranche und die Reiseunternehmen befinden sich in einem radikalen Umbruch. Digitalisierung und ein ruinöser Preiskampf setzen den Firmen zu. Mit der Marktkonzentration ist noch lange nicht Schluss.
Die Deutschen reisen für ihr Leben gern. Möglich macht dies einerseits eine im internationalen Vergleich komfortable Ausstattung mit bezahltem Urlaub und Feiertagen. Andererseits hat sich mit der Liberalisierung des Luftverkehrsmarktes Anfang der 90er Jahre, also der Geburtsstunde der Billigflieger, der Kreis derer erweitert, die mal eben übers verlängerte Wochenende nach Dublin, Barcelona oder Mallorca düsen können. Vor der europäischen Marktöffnung wären diese Kurztrips wohl allein an der Höhe der Ticketpreise gescheitert.
Es ist eine Entwicklung, wie sie in den USA schon Ende der 70er Jahre einsetzte. Die unter Präsident Jimmy Carter vollzogene starke Deregulierung führte dazu, dass zahlreiche neue Wettbewerber auf den Markt drängten. Doch mit steigenden Rohölpreisen und Unsicherheiten – etwa durch die Terroranschläge vom 11. September 2001 – kam es zu einer massiven Marktbereinigung. American Airlines beispielsweise schluckte 2001 zunächst den Konkurrenten TWA, die Fluggesellschaft des legendären Luftfahrtpioniers Howard Hughes, fusionierte zwölf Jahre später mit US Airways und wurde so zumindest vorübergehend zur größten Airline der Welt. Es ist nur ein Beispiel dafür, wie umkämpft der amerikanische Markt war. Das Heil suchen die Fluggesellschaften in Zusammenschlüssen: Northwest Airlines (NWA) und Delta schlossen sich bereits 2008 zusammen, NWA ging 2010 vollständig in Delta auf. United Airlines fusionierte mit Continental. Delta, American, United und der Billigflieger Southwest Airlines sind die verbliebenen großen Vier. Sie stehen für 80 Prozent des US-Marktes.
Auch in Deutschland hat es im Bereich der Fluggesellschaften Konzentrationen gegeben. Mit Air Berlin ist die Nummer zwei vom Markt verschwunden. Nun richten sich alle Augen auf die Thomas-Cook-Tochter Condor. Als Chartergesellschaft der Lufthansa hat sie selbst einen Beitrag dazu geleistet, den Markt mit Kampfpreisen Anfang der 70er Jahre zu revolutionieren. „Da wurden dann Touristenmassen mit einer 747 nach Mallorca geflogen“, erinnert sich der Hamburger Luftfahrt-Experte Heinrich Großbongardt. Doch so richtig unter Druck kam der Markt erst mit der Liberalisierung in den 90er Jahren und der steigenden Konkurrenz durch Billigflieger wie Easyjet, Ryanair und Co. Sie sorgen bis heute dafür, dass ein konstanter Preisdruck auf allen Fluggesellschaften lastet. „Das führt dazu, dass die Margen in diesem Geschäft knapp sind“, sagt Großbongardt.
Eine weitere Unsicherheit für die Branche bleiben die Rohölpreise. Sollte sich die Situation am Golf verschärfen, wäre das ein zusätzlicher Risikofaktor für die kleineren Gesellschaften und könnte am Ende deren letzter Sargnagel sein.
Luftfahrt-Experte Großbongardt glaubt, dass man noch nicht am Ende der Konzentrationstendenzen der vergangenen Jahre angelangt sei: „Wir haben trotz des steigenden Passagieraufkommens Überkapazitäten auf dem europäischen Markt.“Wenn konjunkturbedingt Tickets nicht mehr so gut verkauft würden, kämen kleinere Gesellschaften schnell in Schieflage. „Wir werden noch eine Reihe weiterer Insolvenzen bei kleineren Gesellschaften sehen – insbesondere bei Carriern, die ihre Flotte nur geleast haben.“Während einige Gesellschaften einfach von der Bildfläche verschwinden, würden in manchen Fällen die Großen wie Lufthansa, Air France oder British Airways dann zuschlagen. Als Kandidaten nennt Großbongardt neben Norwegian Airlines auch die nun in Rede stehende Thomas-Cook-Tochter: „Die Condor ist ein gut und solide geführtes Unternehmen. Aus sich heraus droht ihr keine Gefahr. Sie hängt allerdings am Fliegenfänger von Thomas Cook.“
Heinrich Großbongardt Luftfahrtexperte
Und genau das ist der Haken. „Thomas Cook hat einen riesigen Schuldenberg vor sich hergeschoben. Solange die Marktlage in Ordnung war, war das Überleben gesichert. Aber bei den ersten Anzeichen einer konjunkturellen Eintrübung wird eine derart angespannte Finanzsituation zu einem Problem“, sagt Großbongardt.
Zuletzt schwächten sich die Buchungen dann ab. Vor allem Kunden in Großbritannien warten aufgrund der schwierigen politischen Situation lieber ab und verschieben ihre Reisebuchungen in die Zukunft. „Man könnte Thomas Cook deshalb auch als das erste Brexit-Opfer bezeichnen“, sagt der Luftfahrt-Experte.
Reiseveranstalter hängen in großem Maße von Vorauszahlungen ab. Nicht alle besitzen wie die Tui eigene Schiffe, Hotels und Resorts und sind deshalb darauf angewiesen, diese Leistungen im Vorfeld einzukaufen. Bleiben die Buchungen hinter den Erwartungen, kann es brenzlig werden.
„Bei Thomas Cook kommt noch hinzu, dass sie es in all den Jahren verschlafen haben, dem wachsenden Druck durch das Onlinereisegeschäft etwas Substanzielles entgegenzusetzen“, sagt Großbongardt. Die Online-Buchungszahlen seien bis zuletzt vergleichsweise niedrig ausgefallen. „Das Management hat weiter auf den traditionellen, teureren Vertriebsweg der Reisebüros gesetzt.“Wenn es aber immer einfacher wird, eine Reise mit wenigen Klicks bei Billig-Airlines und Hotelbuchungsseiten zu buchen, dann ist das klassische Geschäftsmodell gefährdet.
Doch bedeutet die Thomas-Cook-Insolvenz, dass sich das Feld der Reiseanbieter wie die Reihen der Fluggesellschaften lichten wird? „Im Markt hatten wir zuletzt mit Tui und Thomas Cook zwei große Player. Wenn einer der beiden nun verschwindet, dann verschwindet ja nicht zugleich der Bedarf an Pauschalreisen“, sagt Großbongardt. Deshalb zähle einerseits die Tui zu den großen Profiteuren, aber auch mittelgroße Anbieter. „Ich erwarte jetzt, dass der Konzentrationsdruck in der Branche zunächst einmal wieder abnimmt.“
„Man könnte Thomas Cook als das erste Brexit-Opfer bezeichnen“