Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Thunberg warnt Staats- und Regierungschefs
Die Vereinten Nationen kommen zum Gipfel zusammen, und die Hauptrolle spielt Greta Thunberg. Sie rüttelt das Klima-Treffen in New York auf.
NEW YORK Im Grunde, sagt Greta Thunberg, sei falsch, was sie hier tue. Eigentlich müsste sie, am anderen Ufer des Ozeans, in der Schule sitzen, statt hier auf dieser Bühne. Nun aber kämen alle zu ihr, damit sie ihnen Hoffnung einflöße. Thunberg hält den Staatenlenkern eine Standpauke: „Wir stehen am Beginn einer massenhaften Auslöschung. Und alles, wovon Ihr reden könnt, ist euer Geld, sind eure Märchen vom ewigen Wirtschaftswachstum. Wie könnt Ihr es wagen“, empört sich Thunberg. „Wir werden euch das nicht durchgehen lassen. Die Welt wacht auf, und es wird Veränderungen geben, ob Ihr es wollt oder nicht.“
UN-Generalsekretär António Guterres hat zum Auftakt des Klimagipfels einen „Jugenddialog“auf die Tagesordnung gesetzt. Seine Generation, räumt er ein, sei ihrer Verantwortung, den Planeten zu schützen, nicht gerecht geworden. Und noch immer gebe es einige, die das Offensichtliche nicht wahrhaben wollten: „Wir stecken im Klimaloch, und um aus dem Loch herauszukommen, müssen wir aufhören, zu graben.“Doch wenn man jetzt die Laufschuhe anziehe, könne man das Rennen noch gewinnen, versucht es Guterres mit einer Metapher. Thunberg setzt seiner Poesie knallharte Prosa entgegen: Es sei ja populär, daran zu glauben, dass es reiche, den Ausstoß von Treibhausgasen innerhalb von zehn Jahren zu halbieren. Das aber bedeute nur eine fünfzigprozentige Chance, die Erwärmung der Erde bei unter 1,5 Grad Celsius zu halten.
Kein Zweifel, es ist der Tag der Greta Thunberg, die, ob sie es nun will oder nicht, wie ein Rockstar im Rampenlicht steht. Angela Merkel nutzt die Chance, sich mit der Schwedin fotografieren zu lassen. Beide sitzen, in der Lobby vorm Plenarsaal, in tiefen Sesseln. Kurz darauf kreuzen sich Thunbergs Wege auch mit denen von Donald Trump, der an diesem Montag mal wieder für eine Überraschung gut war. Eigentlich wollte er der Klimakonferenz fernbleiben und mit einer Veranstaltung über religiöse Freiheit gegenhalten. Doch kurz bevor der indische Premierminister Narendra Modi ans Pult tritt, setzt sich auch Trump in den Saal der Generalversammlung, um zuzuhören. Gemeinsam mit dem Besucher aus Delhi hat er sich tags zuvor auf einer Kundgebung in Houston von mehreren Zehntausend Menschen feiern lassen, die meisten Amerikaner indischer Herkunft. Dass er sich nun doch auf dem Klimakongress sehen lässt, ist wohl als Geste gegenüber Modi zu verstehen. Nach dem Inder spricht Angela Merkel. Als sie fertig ist, ist auch Trumps Stippvisite vorbei.
Auf drei Minuten, so hatte es Guterres verfügt, sollten Staats- und Regierungschefs ihre Redebeiträge beschränken. Und reden dürfe nur, wer konkrete Klimapläne vorzustellen habe. Zum Auftakt ist es ein Quartett, dem diese Ehre zuteil wird: die Neuseeländerin Jacinda Ardern, Hilda Heine, die Präsidentin der Marshall-Inseln, einer durch den Anstieg des Meeresspiegels bedrohten Inselgruppe im Pazifik, und schließlich Modi und Merkel.
Die Bundeskanzlerin spricht vom Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein, bis 2022 aus der Kernenergie auszusteigen und spätestens bis zum Jahr 2038 aus der „Kohlekraftwerkswirtschaft“. Deutschland, erklärt sie, werde seine Mittel für den internationalen Kampf gegen den Klimawandel im Vergleich zu 2014 von zwei auf vier Milliarden Euro verdoppeln. Davon sollten 1,5 Milliarden Euro in den „Green Climate Fonds“eingezahlt werden. Deutschland stelle ein Prozent der Weltbevölkerung, verursache aber zwei Prozent der weltweiten Emissionen. „Wenn alle
so handeln würden wie Deutschland, würden sich die Emissionen weltweit verdoppeln. Jeder weiß, was das bedeutet.“Deshalb habe man sich vorgenommen, bis 2030 gegenüber dem Stand von 1990 55 Prozent der nationalen Kohlendioxidemissionen einzusparen.
Rebecca Freitag, Studentin der Umweltwissenschaften an der Berliner Humboldt-Uni, ist enttäuscht. Was Merkel vorgestellt habe, sei „Pillepalle“, sagt sie. In New York hat Freitag, Deutschlands Jugenddelegierte für nachhaltige Entwicklung, der stellvertretenden UN-Generalsekretärin Amina Mohammed einen USB-Stick mit 1,3 Millionen Unterschriften übergeben – Unterschriften alarmierter junger Leute. Die Kanzlerin sei theoretisch eingegangen auf das Anliegen ihrer Generation. „Ich sehe aber keine praktischen Maßnahmen, die den Worten entsprechen.“