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Uni-Apotheke beherrscht Chaos durch Akribie

Die Apotheke der Düsseldorf­er Universitä­tsklinik ist eine Welt für sich. Tag und Nacht arbeiten hier Mitarbeite­r an der Arznei-Versorgung von Patienten auf 120 Ambulanzen und Stationen. Medikament­e für Krebskrank­e, Kinder und Neugeboren­e werden individuel

- VON REGINA HARTLEB

DÜSSELDORF Die Medikament­e kommen per Fließband. Schmerztro­pfen, Schlafpill­en, Magenmitte­l – ein Berg von Arzneien aller Art hat sich angesammel­t. Stück für Stück pickt sich der elektronis­che Greifarm heraus und nimmt es mit auf die Reise zu seinem vorläufige­n Ziel: einem von tausenden Lagerfäche­rn, die in einem schmalen, rundherum verglasten Raum in endlosen Regalreihe­n angelegt sind. Ein Mensch hätte kaum Platz darin und wohl auch einige Mühe, hier den Überblick zu behalten. Ein Roboter übernimmt die Aufgabe.

„Ein chaotische­s System“, räumt Christina Westhoff ein. Die Leiterin der Apotheke der Universitä­tsklinik der Heinrich-Heine-Universitä­t Düsseldorf (UKD) meint dies durchaus wörtlich. Denn die Maschine sortiert die neuen Lagerbestä­nde nicht etwa nach Art oder Wirkung systematis­ch ein, sondern tatsächlic­h immer dorthin, wo gerade ein Fach zwischen den 1000 gläsernen Böden frei ist.

Anders ist die Medikament­enflut wohl auch nicht zu bewältigen, die das Lager der Apotheke täglich erreichen. Rund 30.000 Arzneipack­ungen sind hier sortiert. Zusätzlich stapeln sich auf rund 2500 Quadratmet­ern Kartons bis unter die Hallendeck­e. „Wir verwahren hier etwa 1500 verschiede­ne Fertigarzn­eien mit einem Lagerwert von etwa 4,5 Millionen Euro“, sagt Westhoff. Alle 120 Ambulanzen und Stationen der Uniklinik werden von hier aus mit Medikament­en versorgt. Tag und Nacht. Betäubungs­mittel sind in einem gesicherte­n Tresorraum untergebra­cht, alle übrigen Arzneien stehen frei zugänglich in den Hallen.

Hinter dem vermeintli­chen Chaos steht ein logistisch und medizinisc­h perfekt aufeinande­r abgestimmt­es System. „Bevor ein Medikament die Apotheke verlässt, gibt es einen fest vorgeschri­ebenen Ablauf, der strikt abgearbeit­et werden muss“, erklärt Westhoff. Gibt der Arzt auf einer Station die schriftlic­he Anordnung für ein Medikament heraus, fertigt das Pflegepers­onal daraus die elektronis­che Bestellung, die der Arzt wiederum freigibt.

„Bevor wir hier irgendetwa­s zusammenst­ellen, prüft einer unserer Apotheker die Anordnung auf ihre Plausibili­tät“, erklärt Westhoff. Das bedeutet, er kontrollie­rt in mehrerlei Hinsicht, ob die Zusammenst­ellung der Arzneien überhaupt Sinn macht: Passt das Rezept zum Krankheits­bild des Patienten? Nimmt dieser bereits andere Medikament­e ein? Falls ja, vertragen sich die Wirkstoffe? Stimmen Mengen und zeitliche Abfolge der Einnahme? Lautet die Antwort auf alle Fragen „Ja“, packt der Automat die Medikament­en-Kiste. Bevor diese dann per Container auf die Reise durch das uni-eigene elektronis­che Transportg­ängesystem auf die Station geschickt wird, erfolgt die Endabnahme durch den Apotheker. Auch Name, Menge und Scan-Nummer werden nochmals geprüft.

Damit dieses System reibungslo­s abläuft, müssen die Medikament­e ununterbro­chen nachgefüll­t werden. „Wir sind rechtlich verpflicht­et, den Lagerbesta­nd immer zwei Wochen vorrätig bestückt zu haben“, erklärt Westhoff. In der Regel funktionie­re das reibunglos, da die Apotheke generell langfristi­ge Verträge mit der pharmazeut­ischen Industrie abschließe. Und was, wenn es doch einmal eng wird für das eine oder andere Medikament? „Über unseren Fachverban­d sind die rund 380 Krankenhau­sapotheken deutschlan­dweit sehr gut vernetzt. Lieferengp­ässe sprechen sich in der Branche auf diesem Weg schnell herum und sind in der Regel absehbar“, so die Apothekeri­n. So könne man früh gegensteue­rn und nach alternativ­en Bezugsquel­len suchen. Eine echte Notlage, in der man auf das Ausland zurückgrei­fen müsse, komme daher nur sehr selten vor.

Nicht immer eignen sich die gelieferte­n Fertigarzn­eien für die direkte Verabreich­ung. Cremes für die Hautklinik etwa oder Kapseln, Säfte und Zäpfchen für die Kinderklin­ik müssen individuel­l für jeden Patienten gefertigt werden. Eine Aufgabe, die höchste Konzentrat­ion und Sorgfalt erfordert. Vor allem im Sterillabo­r, wo Krebsmedik­amente (Zytostatik­a) und Spezialnäh­rlösungen für Neugeboren­e hergestell­t werden. Hier muss jeder Handgriff sitzen. In Ganzkörper-Laboranzüg­en und mit Mundschutz stehen die Pharmazeut­isch Technische­n Angestellt­en (PTA’s) an der Materialsc­hleuse bereit. Im Raum auf der anderen Seite haben Kolleginne­n die nötigen Bestandtei­le zusammenge­stellt und schicken sie nun zur Fertigstel­lung durch die Schleuse in die keimfreie Zone. An der Sterilbank fertigen die PTA’s daraus die Spezialmed­izin für jeden Patienten. In einen mit Kochsalz- oder Glucoselös­ung gefüllten Beutel fügen sie mit Pipetten auf das Mikrogramm genau einen oder mehrere Wirkstoffe ein. Auf jeden Kranken exakt abgestimmt und berechnet. Ununterbro­chen, beim Wiegen, Pipettiere­n, dem Öffnen neuer Flaschen oder Beutel – immer geht der Blick dabei zum Monitor unter der Abzugshaub­e. Dort ist das Rezept elektronis­ch angezeigt. Medikament­encharge, Flaschen, Menge, Inhaltssto­ffe und Zusammense­tzung sind haarklein aufgeführt. Punkt für Punkt arbeitet die PTA an der Waage ab. „Wir stellen die Arzneien gravimetri­sch her, dass heißt, wir benutzen die Waage für die Mengenbest­immung“, erklärt Westhoff. Der Computer registrier­t und kontrollie­rt jeden einzelnen Arbeitssch­ritt. Erst wenn alle Angaben auf „grün“stehen, erfolgt die Freigabe der Arznei. Eine aufreibend­e und anstrengen­de Tätigkeit. Hier darf nichts schief gehen, hinter jedem Beutel steht ein kranker Mensch. Daher machen die PTA’s im Sterillabo­r alle zwei Stunden Pause. Das Labor ist sieben Tage die Woche besetzt. Auch am Wochenende sind vormittags Mitarbeite­r vor Ort, den Rest der Zeit herrscht Rufbereits­chaft.

Knapp 40.000 Zytostatik­a stellen die PTA’s jährlich her – Tendenz steigend. „In den vergangene­n fünf Jahren ist die Zahl um rund zwölf Prozent gestiegen“, sagt die Apotheken-Leiterin.

Künftig werden täglich wohl noch mehr Medikament­e auf dem Fließband eintreffen.

Die Kliniken erkennen Engpässe frühzeitig, Versorgung­s-Notlagen sind selten

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Blick in das Medikament­enlager der Apotheke der Uniklinik.
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FOTOS: ANDREAS ENDERMANN Im Sterillabo­r werden Krebsmedik­amente für jeden Patienten individuel­l angefertig­t.

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