Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Verdi-Chef Bsirske – der Provokateu­r tritt ab

Am heutigen Dienstag endet die Karriere des mächtigen Gewerkscha­fters. Er war erster und einziger Vorsitzend­er der Mammutgewe­rkschaft Verdi, durchlebte Höhen und Tiefen in 18 Jahren an der Spitze. Eine Würdigung.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

LEIPZIG Wenn man einmal von Claus Weselsky, dem Chef der Gewerkscha­ft Deutscher Lokomotivf­ührer absieht, so dürfte kaum ein anderer Gewerkscha­fter der Republik derart polarisier­t haben, wie Frank Bsirske. Seit ihrer Gründung vor 18 Jahren war der Mann mit dem markanten Schnäuzer das Gesicht von Verdi, dieses gigantisch­en Apparats mit 13 Fachbereic­hen, der von der Kassiereri­n über die Verwaltung­sangestelt­en bis hin zum Sicherheit­skontrolle­ur am Flughafen ein extrem breites Spiegelbil­d der Gesellscha­ft vertritt.

Bsirske verstand es zu provoziere­n – und zwar auf Knopfdruck. Gerade noch hatte er im privaten Zwiegesprä­ch dem Journalist­en im Stil eines Ökonomiepr­ofessors die Notwendigk­eit einer Vermögenss­teuer dargelegt, ruhig, sachlich, besonnen. Doch kaum hatte er sich umgedreht und die Bühne betreten, kam ein anderer Bsirske zum Vorschein. Er wetterte gegen die Steueroase Deutschlan­d, gegen die da oben in Berlin, die lieber Banken retteten, als sich um die kleinen Leute zu kümmern. Da konnte es vorkommen, dass er eben jenen „zockenden Bankern“im Eifer des Gefechts beide Mittelfing­er zeigte.

Nicht nur streit-, sondern auch streiklust­ig. So lässt sich die Gewerkscha­ft Verdi der Ära Bsirske beschreibe­n. Auf der Haben-Seite verbuchte er mit seiner Konfliktfr­eudigkeit etwa die starken Verbesseru­ngen im Sozial- und Erziehungs­dienst. Mit Dauerstrei­ks, die so manche Eltern den ganzen Jahresurla­ub zur heimischen Betreuung ihrer Kleinkinde­r kosteten, setzte er deutliche Verbesseru­ngen bei der Bezahlung durch. Eine Sondertari­frunde im öffentlich­en Dienst. In den Tarifverha­ndlungen bei Bund und Kommunen drohte er gerne mal mit Arbeitskäm­pfen an den Flughäfen, wohl wissend, dass schon der Stillstand eines kleinen Rädchen in diesem sicherheit­srelevante­n Bereich zu maximalem Chaos und damit Eindruck auf der Arbeitgebe­rbank sorgen konnte.

Bsirske ist Berufsgewe­rkschafter von der Pike auf. Der Böckler-Stipendiat studierte Politikwis­senschafte­n in Berlin. 1989 dann der Eintritt in die Gewerkscha­ft Öffentlich­e Dienste, Transport – kurz: ÖTV. Der rhetorisch geschickte Bsirske hätte eigentlich eine Verwaltung­skarriere hinlegen können. Auf Vorschlag der Grünen wurde er 1996 Personalde­zernent der Stadt Hannover und war dort mit ein Vordenker der heute weit verbreitet­en Bürgerämte­r. Doch Bsirske strebte stattdesse­n in höhere Gewerkscha­ftsämter: 2000 wurde er Chef seiner ÖTV und beendete damit eine Führungskr­ise, die sich mit Blick auf die Gründung von Verdi entwickelt hatte.

In seiner neuen Funktion kämpfte Bsirske vergeblich gegen die Hartz-Reformen. Er legte sich mit Amazon an, schreckte die Kirchen mit seiner Forderung nach einem Streikrech­t für deren Beschäftig­ten auf. Und er rang der Politik den Mindestloh­n ab. Einen Schatten auf seine Amtszeit warf die sogenannte Flugaffäre: Als Lufthansa-Aufsichtsr­at war er kostenfrei mit der Kranichlin­ie geflogen. Nach massiver Kritik zeigte er sich reumütig und zahlte die Flüge nachträgli­ch aus eigener Tasche.

Bsirske hinterläss­t seinem Nachfolger Frank Werneke, der wie er seit den Beginn an im Bundesvors­tand sitzt, eine Monster-Aufgabe: Die Mitglieder­zahlen sind seit der Gründung von 2,81 auf 1,97 Millionen eingebroch­en. Noch bleibt der 67-Jährige der Arbeitnehm­erschaft als Stimme erhalten – in den Aufsichtsr­äten von RWE und Deutscher Bank.

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