Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Klimarat warnt: Meere könnten um einen Meter steigen
Wenn die „Fridays for Future“-Bewegung weiter durch SUV-Mobbing auffällt statt durch politische Forderungen im Sinne des Klimaschutzes, könnte die Unterstützung schwinden, die sie in der Gesellschaft genießt.
MONACO (epd) Der Weltklimarat der Vereinten Nationen hat vor einem weiteren Schmelzen der Eismassen und einem unkontrollierten Anstieg des Meeresspiegels gewarnt. Die wasserhaltigen Ökosysteme veränderten sich immer stärker und bedrohten Hunderte Millionen Menschen, erklärte das Experten-Gremium. Die Länder müssten dringend den Ausstoß der klimaschädlichen Treibhausgase verringern, um die schlimmsten Auswirkungen zu verhindern, forderten die Fachleute in ihrem Bericht. Gletscher in Europa und anderen Regionen würden bis zum Jahr 2100 nach den schlimmsten Szenarien mehr als vier Fünftel ihrer Eismassen verlieren. Schnee, Eis und Permafrost würden immer mehr auftauen und Erdrutsche, Lawinen und Überschwemmungen auslösen. Ebenso drohe bis Ende des Jahrhunderts der Meeresspiegel um 60 bis 110 Zentimeter zu steigen. Selbst wenn die Menschheit es schaffe, die Emission der Gase entschieden zu drosseln, könnte der Meeresspiegel um 30 bis 60 Zentimeter steigen.
Interessierte Zeitzeugen können derzeit zuschauen, wie sich eine im Grunde sympathische Bewegung selbst schädigt. Wenn die „Fridays for Future“-Aktivisten, ihre Unterstützer, und alle, die sich wegen der Zerstörung der Umwelt und des Klimawandels sorgen, nicht Acht geben, werden sie noch vor dem ersten Advent in großen Teilen der Bevölkerung ihre letzten Sympathiepunkte verlieren.
Das Bewusstsein, dass der Klimawandel eine elementare Bedrohung für unsere Welt bedeutet, ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Kaum jemand mehr sorgt sich nicht wegen der Erderwärmung. Natur-, Umwelt- und Artenschutz haben sich von ihrem Nischendasein getrennt und sind ins Zentrum des Themenspektrums gerückt, um das sich alle Parteien kümmern.
Nun hat die Bundesregierung ein Klimapaket beschlossen, das Wissenschaftler als „Nullnummer“bezeichnen. Zu zaghaft, zu mutlos, zu unentschieden – der Vorsitzende des Umweltverbands BUND, Hubert Weiger, spricht von „Handlungsverweigerung“und einem „Armutszeugnis ersten Ranges“.
Beste Voraussetzungen für die Klimaaktivisten, könnte man meinen. Jetzt hat ihre Stunde geschlagen, sie nehmen das Klimapaket inhaltlich auseinander, werden zum Sprachrohr der Wissenschaftler, die sagen: so nicht. Doch statt Glanzlichter in der Debatte zu setzen, scheinen sie im Moment über ihre eigenen Erfolge zu stolpern. Während Greta Thunberg den Vereinten Nationen die Leviten liest – dazu später –, gehen hierzulande Videos viral, in denen Klimademonstranten SUV-Fahrer filmen, ausbuhen und deren Autos mit Stickern bekleben. Etwa in Hamburg, wo ein SUV-Fahrer während der „Fridays for Future“-Demo am Wochenende von Demonstranten ausgeklatscht und ausgebuht wird, während er versucht, den Handykameras zu entfliehen. Während Grünen-Politiker wie Werner Graf aus Berlin solche Beiträge mit ironisch-witzig gemeinten Kommentaren verbreiten, erzählen andere, dass sie wegen ihrer Geländewagen angepöbelt werden. Und ausgerechnet in dieser Woche machte auch Grünen-Chef Robert Habeck während eines Fernsehinterviews eine, gelinde gesagt, wenig gute Figur.
Es mag sich bei alldem um Einzelfälle handeln, doch haben sie die Außenwirkung der deutschen Klimaschutzbewegung auf eine Weise geprägt, die ihr nicht gefallen dürfte. Immer öfter werden die Klimaaktivisten nicht mehr mit der Forderung nach Einhaltung der Pariser Klimaziele verbunden, sondern mit SUV-Mobbing und Flugscham.
Doch moralische Überheblichkeit, die zudem öffentlich zur Schau gestellt wird, goutiert die Gesellschaft nicht. In der Konsequenz führt dieses Verhalten eher zu Polarisierung und zu Trotz. Es sind nicht nur AfD-Politiker, die mittlerweile öffentlich ankündigen, sich als nächstes Auto einen SUV zuzulegen. Das kann man achselzuckend als wenig originelle Provokation Ewiggestriger abtun. Man kann es aber auch als Warnsignal sehen.
„Fridays for Future“, das stand für eine selbstbewusste, lautstarke Jugend, die um ihr Recht auf eine gesunde Erde kämpft. Zuletzt aber verrannte sich die Bewegung immer öfter in genau das, was sie zuvor zu Recht den Politikern vorwarf: Symbolpolitik. Ob Greta Thunbergs Reise über den Atlantik per Segelboot, ob gemeinsames Auspfeifen von SUV-Fahrern oder der unversöhnliche Ton, in dem mittlerweile zwischen ökologisch Korrekten und Unkorrekten unterschieden wird – das alles geht an der Sache vorbei, denn: Die Klimaerwärmung ist tatsächlich dramatisch, dafür braucht es keine überladene Symbolik. Zu viel der Inszenierung schreckt die Menschen bloß ab. Die Fakten reichen. Sie immer und immer wieder in aller Dringlicheit zu betonen und politische Inhalte auf ihre Wirkung hinsichtlich des Klimaschutzes zu prüfen, reicht. Alles andere lenkt von dieser großen globalen Herausforderung nur ab.
Insofern muss auch die Rede Greta Thunbergs vor den Vereinten Nationen in New York mit gemischten Gefühlen betrachtet werden. Denn aufgrund ihrer Rhetorik hat sie ihre Wirkung vor allem bei jenen entfaltet, die ohnehin schon auf der Seite der 16-Jährigen sind. Allen anderen war es zu viel. Die How-dareyou-Rede („Wie könnt ihr es wagen“) stach vor allem durch eine zusätzliche persönliche Dramatik heraus, die dem ohnehin dramatischen Thema die Show stahl. Denn Gegenstand der Rede waren weniger das Eis an den schmelzenden Polen, brennenden Wälder und aussterbenden Tiere, es waren Greta Thunbergs Gefühle. Diese Form der persönlichen Abrechnung ist nicht ohne Tücken. Sie ist Wind in den Segeln derer, die ohnehin schon eine Übersättigung der Thunbergschen Präsenz in der Öffentlichkeit beklagen.
Ist das also der Anfang vom Ende des „Fridays for Future“-Hypes? Das wäre fatal, denn das Wenigste ist den handelnden Personen vorzuwerfen. Wann eine Bewegung an Sympathie und Unterstützung gewinnt oder verliert, ist schwer vorherzusehen. Vieles ist eine Frage des Timings, der Erfahrung und des Instinkts. Es könnte schon reichen, wenn sich die Vordenker der Bewegung einmal schütteln, hinstellen, ihren Unterstützern und der Öffentlichkeit klarmachen, was ohnehin klar sein sollte: Leute, uns geht es nicht um einzelne SUV-Fahrer oder Mallorca-Urlauber, uns geht es auch nicht um eine Spaltung zwischen einem Uns und einem Die. Uns geht es um politische Inhalte, durch die wir die Pariser Klimaziele erreichen – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.
Denn noch hat die Bewegung Rückenwind. Dass sie hie und da erfolgstrunken stolpert, ist nicht weiter schlimm. Doch ein Hype, so berechtigt er auch ist, hat Ähnlichkeiten mit einem Medikament: Es reichen wenige Tropfen zu einer Überdosis. An der sind die Klimaaktivisten gerade nah dran.
Moralische Überheblichkeit, die zudem öffentlich zur Schau gestellt wird, goutiert die Gesellschaft nicht