Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Grenze überschrit­ten

- VON FRANK HERRMANN

Es fällt schwer, Donald Trump seine nach allen Regeln der Kunst inszeniert­e Unschuldsp­ose zu glauben. Die Abschrift eines Telefonats, zu deren Veröffentl­ichung er sich unter steigendem Druck genötigt sah, spricht eine andere Sprache. Der amerikanis­che Präsident, das ist der Kern, hat den Staatschef einer fremden Macht de facto um Wahlkampfh­ilfe gebeten. Wie sonst soll man es interpreti­eren, wenn er Wolodymyr Selenskyj bat, dem Verdacht nachzugehe­n, dass Joe Biden die Strafverfo­lgung seines Sohnes in der Ukraine abwürgte?

Falls Biden senior das Kandidaten­rennen der Demokraten gewinnt, wäre er im November 2020 der Mann, mit dem sich Trump im Kampf ums Weiße Haus zu duellieren hat. Dass sich Trump aus Kiew kompromitt­ierendes Material über den Rivalen erhoffte, daran kann es nach der Veröffentl­ichung des Telefonmit­schnitts keinen Zweifel mehr geben. Dass er die Freigabe von Militärhil­fe an ein Entgegenko­mmen der Ukraine knüpfte, dafür liefert das Gespräch mit Selenskyj keinen Beleg. Doch zum einen ist nicht ausgeschlo­ssen, dass der Whistleblo­wer, der die Lawine ins Rollen brachte, demnächst im Kongress noch mehr über das Kapitel erzählt. Und zum anderen wiegt schwer genug, was schon jetzt bekannt ist.

Ein Amerikaner, der im Ausland um Unterstütz­ung bittet, um einen anderen Amerikaner in Misskredit zu bringen – damit hat Trump geltendes Recht gebrochen. Er hat eine Grenze überschrit­ten, was die Opposition ihrerseits den Rubikon überschrei­ten lässt. Das Amtsentheb­ungsverfah­ren, das der linke Flügel der Demokratis­chen Partei im Grunde schon seit dem Tag anstrebte, an dem dieser Präsident ins Weiße Haus einzog, nimmt nun Gestalt an. Bleibt die Frage, ob es auch politisch klug ist. Halten die Republikan­er Trump die Treue, verschwind­et das Impeachmen­t im Nichts. BERICHT „ICH MÖCHTE SIE UM EINEN GEFALLEN BITTEN“, POLITIK

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