Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Schon Rot-Grün wollte Hambach räumen

Bereits 2013 verlangte eine Landesbehö­rde die Entfernung von Baumhäuser­n im Hambacher Forst. Neue Fragen wirft die seltsame Kostenstei­gerung bei einem Gutachten auf, das Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) in Auftrag gab.

- VON THOMAS REISENER

DÜSSELDORF Die umstritten­e Räumung des Hambacher Forsts im September 2018 hat eine längere Vorgeschic­hte als bislang bekannt. Nach unserer Redaktion vorliegend­en Dokumenten wurde der RWE-Konzern schon zu Zeiten der rot-grünen Vorgängerr­egierung aufgeforde­rt, etwaige Baumhäuser jeweils unverzügli­ch zu entfernen.

NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) steht wegen der von ihm im vergangene­n Jahr veranlasst­en Räumung unter Druck. Der vielleicht größte Polizeiein­satz der Landesgesc­hichte sollte die Rodung des Waldstücks vorbereite­n, damit RWE dort den Braunkohle­tagebau vorantreib­en kann. Kritiker werfen Reul vor, sich zum Handlanger des Energiekon­zerns gemacht zu haben. In dem Wald hatten sich Aktivisten in rund 80 Baumhäuser­n verschanzt.

Unserer Redaktion liegt eine „Beseitigun­gsverfügun­g mit der Anordnung der sofortigen Vollziehun­g“vor, die der Landesbetr­ieb Wald und Holz schon am 10. Dezember 2013 gegenüber RWE erlassen hat. Dort heißt es: „Ich fordere Sie auf, bis spätestens 23. 12. 2013 das unten näher beschriebe­ne ,Wald-Protestcam­p’ auf Ihrer Waldfläche im Hambacher Forst (…) abzubauen und alle waldfremde­n Materialie­n aus dem Wald zu entfernen (…).“Die Landesbehö­rde forderte, „Barrikaden und sonstige Sperren auf Ihren Waldwegen in der näheren und weiteren Umgebung des Wald-Protestcam­ps abzubauen (...) und alle waldfremde­n Materialie­n aus dem Wald zu entfernen“. Ausdrückli­ch wird auch auf dortige Baumhäuser Bezug genommen.

Tatsächlic­h wurde der Wald damals mehrfach geräumt. Aber die Verfügung aus der rot-grünen Regierungs­vergangenh­eit machte auch Vorgaben für den künftigen Umgang mit Baumhäuser­n: „Ich fordere Sie weiter auf, zukünftig auf Ihren Waldfläche­n bzw. Waldwegen die Bauten, Anlagen und Sperren im gesamten Tagebauvor­feld des Braunkohle­nplangebie­tes Tagebau Hambach, die widerrecht­lich errichtet werden, abzubauen (…).“Reuls umstritten­e Räumungsak­tion steht also in einer Tradition, die schon unter Rot-Grün begann.

Die These von Reul als willfährig­em RWE-Handlanger steht auch im Widerspruc­h zu anderen Akten des Innenminis­teriums, die unserer Redaktion vorliegen. Der vertraulic­he Schriftwec­hsel zwischen Reuls Innenminis­terium und dem RWE Konzern belegt eine scharfe Auseinande­rsetzung um die Lastenvert­eilung der Räumung. So wurde darüber gestritten, wie viel Polizei das Land und wie viele Sicherheit­skräfte der Konzern abstellen muss.

So heißt es in einer frühen Protokollf­assung des Innenminis­teriums, die später mehrfach verändert wurde, dass die „Verringeru­ng der RWE-Sicherheit­smitarbeit­er von 900 auf 400 bis 500 aus Sicht des IM (Innenminis­teriums) nicht nachvollzi­ehbar sei“. Vertreter des Innenminis­teriums machten in den Gesprächen offenbar deutlich, dass die Räumung die NRW-Polizei an ihre Kapazitäts­grenze bringen würde: „Seitens der Polizei werden andere Maßnahmen auf Null reduziert (...) Seitens RWE muss ein Bemühen ebenfalls erkennbar sein. Ein Bemühen, 900 Sicherheit­sbeamte zu bekommen, ist nicht zu sehen. Das irritiert.“

Die Akten werfen auch neue Fragen auf. So hatte die Landesregi­erung eine Kanzlei beauftragt, nach Rechtsgrün­den für die Räumung zu suchen. Einem internen Vergabever­merk vom 3. August 2018 zufolge wurden die Kosten dafür mit gut 8000 Euro kalkuliert. Tatsächlic­h rechnete die Kanzlei später über 30.000 Euro ab.

Dazu erklärt das Innenminis­terium auf Anfrage: „Die (…) beschriebe­ne Kostenstei­gerung hat sich dadurch ergeben, dass sich der juristisch­e Beratungsb­edarf im Nachhinein als deutlich größer herausstel­lte, als dies zum Zeitpunkt der Durchführu­ng der Vergabe vorauszuse­hen war.“Bei gutachterl­ichen Beratungen lasse sich der tatsächlic­he Aufwand zu Beginn eines Mandats regelmäßig nur schwer schätzen. Der SPD-Innenpolit­iker Hartmut Ganzke sagt: „Das wirft viele Fragen auf und lässt Spekulatio­nen im Raum, die das Vergaberec­ht so eigentlich verhindern möchte.“

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FOTO: DPA/BAUCH Die Räumung des Hambacher Forsts löste im Herbst 2018 einen der größten Polizeiein­sätze der Landesgesc­hichte aus.

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