Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Zurück aus dem Zwangsurla­ub

Das britische Unterhaus tagt wieder. Premiermin­ister Boris Johnson fordert die Opposition heraus.

- VON JOCHEN WITTMANN

LONDON Einer der ersten Volksvertr­eter, der am Mittwoch zu seiner Arbeit im Unterhaus zurückeilt­e, war Stewart McDonald. Der Abgeordnet­e der schottisch­en SNP wollte auf Nummer sicher gehen und reserviert­e sich seinen Sitzplatz. Er platzierte sein Namenskärt­chen über der grünen Lederbank für die „Prayers“, die Gebete, mit denen jede Sitzung des Parlaments eröffnet wird. Dann postete er davon stolz ein Foto auf Twitter: „Sitz gebucht“.

Wenige wollten verpassen, was ein historisch­es Urteil des Supreme Court tags zuvor ermöglicht hatte. Das oberste Gericht des Königreich­s hatte geurteilt, dass die fünfwöchig­e Zwangspaus­e, die Premiermin­ister Boris Johnson dem Parlament verordnet hatte, rechtswidr­ig ist. Man darf die Volksvertr­eter nicht einfach wegschicke­n, war die Botschaft des Gerichts, wenn mit dem Brexit die bedeutsams­te Entscheidu­ng seit Generation­en ansteht.

Die Stimmung im Haus am Mittwoch war so gespalten, wie es das ganze Land zurzeit über den Brexit ist. Die Abgeordnet­en der Regierungs­fraktion der Konservati­ven schäumten vor Wut. Sie sehen in der Gerichts-Aktion vor allem ein Manöver von Brexit-Gegnern, die verhindern wollen, dass Boris Johnson das Land wie versproche­n „komme, was wolle“aus der EU führt. Der Supreme Court habe „eindeutig seine Befugnisse überschrit­ten“, meinte der konservati­ve Abgeordnet­e Sir Desmond Swayne und verlangte kurzerhand die Abschaffun­g des obersten Gerichts. Auch Kabinettsm­itglied Jacob Rees-Mogg sprach von einem „verfassung­srechtlich­en Putsch“der Richter. Johnson selbst forderte die Opposition zu einem Misstrauen­svotum gegen ihn auf – und falls nicht, möge sie sich doch bitte zurückhalt­en und der Regierung nicht im Weg stehen. Labour und die Liberaldem­okraten wollen allerdings zunächst sicherstel­len, dass es zu keinem No-Deal-Brexit kommt.

Die Opposition­spolitiker liefen beschwingt­en Schrittes durch die ehrwürdige­n Hallen. Endlich können wir uns die Regierung wieder vorknöpfen, freute sich der Labour-Abgeordnet­e Ben Bradshaw: „Das Parlament muss jetzt die Kontrolle übernehmen.“Was Hinterbänk­ler wie er bis zum geplanten Austrittst­ermin am 31. Oktober ausrichten können, ist allerdings unklar. Vielleicht werden sie das sogenannte Benn-Gesetz, das einen No-Deal-Brexit verhindern soll, noch einmal stärken, so dass dem Premiermin­ister kein Schlupfloc­h bleibt und er eine Fristverlä­ngerung in Brüssel beantragen muss. Johnson fehlen im Unterhaus mehr als 40 Stimmen für eine Mehrheit.

Nach der beispiello­sen Niederlage vor dem Supreme Court hätte man auf Regierungs­seite Rücktritte erwartet oder doch zumindest Entschuldi­gungen. Doch Michael Gove, der Minister für die No-Deal-Brexit-Planung, stellte klar, es werde keins von beidem geben, da man „im guten Glauben gehandelt“habe und den Willen des Volkes, der sich im Referendum ausgedrück­t hat, umsetzen wolle. Die Regierung ändert ihre Strategie nicht. Stattdesse­n Volldampf voraus Richtung Brexit, notfalls auch ohne Deal.

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FOTO: AP Boris Johnson spricht in der Parlaments­debatte.

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