Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Überdosis Fußball

Der europäisch­e Fußballver­band Uefa ist vor allem eine wirtschaft­liche Interessen­vertretung. Um möglichst viele Mitglieder glücklich zu machen, werden Wettbewerb­e aufgebläht oder künstlich erschaffen. Am Ende schadet das dem Produkt.

- VON GIANNI COSTA

Wenn heutzutage ein Kind von einem Geburtstag mit Gleichaltr­igen kommt, kann man oft nicht unterschei­den, wessen Ehrentag es eigentlich war. Eltern fühlen sich in der Pflicht, sogenannte Gastgesche­nke zu verteilen. Ein Lutscher, ein Radiergumm­i, manchmal aber auch eine ganze Tüte voller Überraschu­ngen mit Warenwert im gehobenen Bereich. Niemand soll leer ausgehen, alle glücklich sein. So gesehen ist die Uefa wie eine nicht enden wollende Geburtstag­sparty, und Aleksander Ceferin ist der Zeremonien­meister. Der Slowene ist Präsident des europäisch­en

Niemand soll leer ausgehen, alle glücklich sein. So gesehen ist die Uefa wie eine nicht enden wollende Geburtstag­sparty.

Fußballver­bands. Sein Hauptziel: Alle Mitgliedsl­änder sollen unter dem Dach seiner Organisati­on so glücklich sein, also reich, dass sie erst gar nicht auf den Gedanken kommen, aufzumucke­n oder sich gar selbststän­dig zu machen.

Ceferin ist also ein Allianzens­chmieder. Er ist niemand, der von oben herab bestimmt. Er beobachtet Strömungen, analysiert Entwicklun­gen und bekommt dann zugetragen, welche Mehrheitsv­erhältniss­e sich daraus ergeben. Das ist immer eine Abwägung, denn große Nationen sollen nicht verprellt werden, kleine Länder müssen auch das Gefühl bekommen, einen Teil vom Kuchen abzubekomm­en. Deshalb kommen mitunter Entscheidu­ngen heraus, bei denen man sich mindestens zwei Mal schütteln muss. Es werden Wettbewerb­e künstlich aufgebläht oder ganz neu erfunden, um auch ja alle einzubinde­n. Ob das gut für das Produkt ist? Das ist vor allem eine Frage der Sichtweise.

Für deutscher Fußball-Fans ist das eine grausige Entwicklun­g. Denn statt mehr Klasse gibt es viel Einheitsbr­ei. Die Bundesliga ist im Meistersch­aftskampf nur dann spannend, wenn der FC Bayern München schwächelt. Immerhin: Dahinter gibt es ein muntereres Hauen und Stechen. Aber wirklich hochklassi­g ist das alles nicht. Das liegt daran, dass die Bundesliga ein Durchlaufe­rhitzer für kommende Stars ist. Die wirklich, wirklich Großen der Branche spielen in England, Barcelona, Madrid und Paris.

Die internatio­nalen Wettbewerb­e sind ernüchtern­d. In der Champions League hängen die Trauben besonders hoch. Nur einmal in den vergangene­n 15 Jahren hat eine deutsche Mannschaft gewonnen, 2013 der FC Bayern. Eine Spielklass­e darunter gibt es ein Vermarktun­gsproblem – für deutsche Teams. Wie soll man dem verwöhnten Publikum den Donnerstag­abend dauerhaft schmackhaf­t machen für die Europa League? Ab 2021 kann man dann immerhin darauf verweisen, dass es hätte noch viel schlimmer kommen können. Denn dann wird erstmals die Europa Conference League ausgetrage­n. Wer bei drei nicht auf dem Baum war, muss dann dort mitmachen. Für die Bundesliga bedeutet das: vermutlich der jeweilige Siebte der Vorsaison, solange Deutschlan­d unter den Top Vier der Fünfjahres­wertung bleibt. Schon jetzt zum Eintragen für den Kalender: In zwei Jahren wird, wie jetzt schon in der Champions League (immer dienstags und mittwochs), donnerstag­s um 18.45 und 21 Uhr angepfiffe­n – parallel zu den Begegnunge­n in der Europa League. Wohl dem, der den Überblick behält.

Die Masse an Spielen ist verstörend. Sie offenbart aber das europäisch­e Grundprobl­em, alle unter einen Hut bekommen zu wollen. Man setzt auf Masse statt Klasse. Man wird berieselt, selten berauscht. Die großen Nationen haben schon recht deutlich die Muskeln spielen lassen und mit eigenen Runden gedroht. Solche geschlosse­nen Gesellscha­ften, wie es sie im nordamerik­anischen Sport fast ausschließ­lich gibt, sind aber auf dem alten Kontinent nur schwer umsetzbar. Das fängt bei der Rekrutieru­ng von Nachwuchss­pielern an und hört bei Vermarktun­gsfragen auf. Und doch geht es immer deutlicher in diese Richtung. Umsatz statt Solidaritä­t, alleine statt miteinande­r. 32 Teams, die zu einem festen Zirkel gehören. Wer dort hinein will, muss die Zustimmung der anderen haben und viel Geld mitbringen. Es wird keinen Auf- und Absteiger geben, wenn, dann nur aus wirtschaft­lichen Gründen. Die Vorstellun­g kann man ganz gruselig finden. Sie wird aber kommen. Alles nur eine Frage der Zeit.

Einen Vorgeschma­ck darauf gibt es in der Nations League. Die A-Liga ist einfach so groß gemacht worden, dass die deutsche Mannschaft vor dem Abstieg bewahrt wurde. Als Preis dafür wird ein Stück Vielfalt aufgegeben. Testspiele gibt es künftig nicht mehr. Alle Auftritte werden unter dem Dach der Uefa organisier­t und vermarktet. Der DFB hat darauf flugs reagiert und eine All-StarMannsc­haft ins Leben gerufen, ein Kreis von ehemaligen Nationalsp­ielern, die nun über die Dörfer tingelt, um so wenigstens etwas Kontakt zur Basis halten. Die Nationalma­nnschaft ist dafür nicht mehr da. Keine Zeit. Sie ist Teil eines Geschäftsb­etriebs, in dem man möglichst viel Umsatz erzielen will. Sportliche Aspekte stehen an zweiter Stelle, vor allem, wenn sie den wirtschaft­lichen Interessen schaden.

Wie weit kann es der Fußball noch treiben? In wie viele Anstoßterm­ine kann man einen Spieltag aufteilen? Wie viele Unter-Unter-Unter-Wettbewerb­e kann man noch einführen? Wann ist der Punkt erreicht, an dem sich das Publikum so angewidert abdreht, und nicht trotzdem die nächste Dauerkarte ordert und TV-Abo für Sky, Dazn und Magenta Sport abschließt? Ganz offensicht­lich ist noch deutlich Luft nach oben. Für Aleksander Ceferin ist das eine beruhigend­e Erkenntnis.

Er muss noch viele kleine und große Verbände auf dem Kontinent glücklich machen.

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UEFA-Präsident Aleksander Ceferin

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