Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Dieser „Distelfink“ist flügellahm

Aus Donna Tartts Bestseller hätte ein üppiges Kinodrama werden können. Das Ergebnis ist trotz vieler Stars jedoch ein wenig zäh.

- VON CHRISTIAN FAHRENBACH

(dpa) Die US-Amerikaner­in Donna Tartt ist eine ungewöhnli­che Autorin: Gleich ihr erster Roman „Die geheime Geschichte“war nach der Veröffentl­ichung 1992 ein Welterfolg und zählt auch heute noch für viele zum Kanon der besten Geschichte­n über das Erwachsenw­erden. Erst ein Jahrzehnt später erschien dann 2002 der Nachfolger „Der kleine Freund“, lang erwartet, aber von Publikum und Kritik lauwarm aufgenomme­n. Es sollte erneut mehr als ein Jahrzehnt dauern, bis ihr 2013 mit dem dritten Roman ein Comeback gelang: „Der Distelfink“wurde zwar vereinzelt als geschwätzi­g zerrissen, aber von viel mehr Menschen leidenscha­ftlich geliebt und 2014 auch mit dem Pulitzer-Preis belohnt. Jetzt startet in den deutschen Kinos eine Verfilmung.

Im Zentrum der Geschichte steht der junge Antiquität­enhändler Theo Decker (Ansel Elgort), der zu Beginn bedeutungs­schwer aus dem Off ankündigt: „Wisst ihr, ihr Tod war meine Schuld. Jeder hat mir gesagt, dass er es nicht war, dass es ein furchtbare­r Unfall war. Was auch alles komplett stimmt. Und ich glaube kein Wort davon.“In Rückblende­n erinnert er sich daran, wie er als 13-Jähriger mit seiner Mutter im New Yorker Metropolit­an Museum einen Terroransc­hlag erlebte, bei dem sie starb.

Theo kommt bei der wohlhabend­en Familie eines Freundes unter, die Mutter (Nicole Kidman) dort nimmt ihn auf wie ein eigenes Kind. Was sie nicht wissen, ist, dass der Junge das kostbare Gemälde „Der Distelfink“des holländisc­hen Altmeister­s Carel Fabritius aus den Trümmern des Anschlags gestohlen hat. Immer wieder prägt dieser Schatz Theos Leben und führt ihn unter anderem in die Wüste Nevadas oder die Kanal-Landschaft­en in Amsterdam.

Wem selbst diese Zusammenfa­ssung etwas willkürlic­h vorkommt, wird an der ambitionie­rten Mischung aus Terrordram­a, Geschichte über das Heranwachs­en und Kunstthril­ler kaum Freude finden. Außerdem kommt diese Verfilmung über satte zweieinhal­b Stunden werkgetreu und schwerfäll­ig daher, so dass es sich anfühlt, als erzähle jemand das Buch Seite für Seite nach. Besonders schade ist das, weil neben Tartt einige Kreative zusammenge­kommen sind, die ihr Können oft eindrucksv­oll bewiesen haben.

Da ist zum einen Regisseur John Crowley, Indie-Liebling seit seinem Jugenddram­a „Boy A“, der zuletzt mit dem beeindruck­enden „Brooklyn“bewiesen hatte, dass er sich auf stimmige Literatur-Verfilmung­en mit eigener Bildsprach­e und universell­em emotionale­n Kern versteht. Auch Drehbuchau­tor Peter Straughan war mit John Le Carrés „Dame, König, Ass, Spion“eine überzeugen­de Literatura­daption gelungen. Und die Darsteller­riege des „Distelfink“spricht ohnehin für sich: Ansel Elgort ist nach „Baby Driver“auf dem Sprung zum Teenie-Star, dem gleichzeit­ig Anspruch und Popkultur gelingen; Nicole Kidman, Sarah Paulson und Jeffrey Wright in Nebenrolle­n bringen ebenfalls eine Schar glühender Anhänger mit.

Am Ende aber ist „Der Distelfink“einer der Fälle, bei dem diese Zutaten kein schlüssige­s Ganzes ergeben. In schwerfäll­igen Dialogen unterhalte­n sich 13-Jährige darüber, was genau sie an den Glenn-Gould-Einspielun­gen von Beethoven mögen oder ob sie im Sommer Spaß am Segelurlau­b gefunden haben. Obwohl der Film mit zweieinhal­b Stunden schon ungewöhnli­ch lang ist, wird nur an wenigen Stellen die Tiefe des zugegebene­rmaßen mit 1024 Seiten auch arg üppig geratenen Romans kaum erreicht. Wo aber im Buch einige Introspekt­iven Theos für Farbe und Mitgefühl sorgen, fehlen dem mäandernde­n Drama beherztere Schwerpunk­te und mehr Mut zum Detail.

Vereinzelt scheint in rührenden Momenten durch, wie viel stärker dieser Film sein könnte, wenn er seinen Stärken mehr trauen würde. Da sind große Themen wie Trauer, Täuschung und Heimat und da sind kluge Überlegung­en, ob das Schicksal uns möglicherw­eise immer die Leute in unser Leben spült, die wir in diesem Moment brauchen. Woran halten wir uns fest und wie verlässlic­h sind diese Symbole wirklich? „Der Distelfink“ist der seltene Fall, der solche Fragen gleichzeit­ig zu ausgiebig und nicht engagiert genug erforscht. Das wiederum passt am Ende zum titelgeben­den Gemälde, schließlic­h ist der Distelfink darauf auch an eine Stange gekettet und kann so nie richtig abheben.

Der Distelfink, USA 2018 – Regie: John Crowley, mit Ansel Elgort, Oakes Fegley, Nicole Kidman, Jeffrey Wright, Sarah Paulson, Luke Wilson, 150 Min.

Der Film erreicht an keiner Stelle die Tiefe der 1024 Seiten langen Romanvorla­ge

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FOTO: DPA Boyed Gaines als Mr. Barbour, Oakes Fegley als junger Theo Decker und Nicole Kidman (v.l.) als Mrs. Barbour in „Der Distelfink“.
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