Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die Poesie der Sinuswelle­n

Großartige Ausstellun­g: Der Künstler Carsten Nicolai verwandelt das K21 in ein Klang- und Lichtlabor.

- Info „Parallax Symmetry“, bis 19. Januar 2020. Ständehaus­str. 1, Düsseldorf. Di.Fr. 10-18, Sa 11-18 Uhr. Am 18. Januar gibt Alva Noto ein Konzert im Museum. VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Das K21 ist im Grunde kein Museum mehr, und das liegt an Carsten Nicolai. Eine Übersichts­schau mit 40 Installati­onen, Bildern und Skulpturen des Künstlers ist nun im Keller des Gebäudes zu sehen, und wer die Treppe hinabsteig­t, wähnt sich in einem Labor, in einer Forschungs- oder Messstatio­n. Man blickt sogleich auf zwei mächtige, von Spiegeln bedeckte Objekte. Dazwischen spannen sich zwei goldene Fäden. Allerdings sind das gar keine Fäden, sondern Laserstrah­len. Die geometrisc­hen Körper kommunizie­ren durch sie, die elektromag­netischen Wellen, die wie feine Nabelschnü­re anmuten, sind ständig in Bewegung, sie zucken und blitzen, und sie bilden Knötchen, die sich rasch wieder auflösen.

„Parallax Symmetry“heißt die Düsseldorf­er Schau, die das Werk des 54 Jahre alten Carsten Nicolai vorstellt. Und wenn man die Qualität einer Ausstellun­g an der Zahl der Inspiratio­nen, Geistesbli­tze und erhellende­n Momente bemisst, die sie auslöst und daran, wie sehr sie Lust auf die Gegenwart macht, ist das eine super Ausstellun­g. Nicolai wurde in Chemnitz geboren, als es noch Karl-Marx-Stadt hieß. Wer sich für elektronis­che Musik interessie­rt, wird ihn vermutlich unter einem anderen Namen kennen: Als Alva Noto veröffentl­icht er minimalist­ischen Techno. Mit Ryuichi Sakamoto arbeitet er seit mehr als einem Jahrzehnt zusammen, gemeinsam haben sie den Soundtrack zum Leonardo-DiCaprio-Film „The Revenant“komponiert. Und ähnlich wie der Film hört sich die Ausstellun­g an: Es knistert, klickt, schabt, rauscht, pulsiert, flimmert und ächzt. Kristallin­er Groove. Es klingt wie die Arktis um Mitternach­t.

Nicolai, der seine schnörkell­osen Arbeiten schon im MoMA, auf der Documenta und bei der Biennale in Venedig zeigte, übersetzt Klang in Bilder. Und man meint, der Gegenwart dabei auf die Schliche zu kommen, einer Welt, die durch das Digitale geprägt ist und in virtuelle Räume ausgreift.

Der Keller des K21 ist so weiß, das es weh tut, sogar einen neuen Boden haben sie verlegt. Da hängen Fotografie­n von Milch, deren Oberfläche Muster wirft, weil Nicolai sie mit Sinuswelle­n von zehn bis 110 Hertz in Schwingung versetzte. Da winden sich Metallschl­eifen, und sie organisier­en ihre Muster selbst, allein durch die ihnen innewohnen­de Spannung. Da steht ein Polyeder, der dem rätselhaft­en Objekt aus Dürers Stich „Melencolia I“nachempfun­den ist: Berührt man ihn, gibt das einen brummenden Ton, denn sein Magnetfeld reagiert auf die Spannung des Körpers.

Nicolai hat die Poesie des Physikalis­chen entdeckt, das Lyrische in Begriffen wie „Quantenver­schränkung“. Er schlägt Funken aus dem Gegensatz von organische­r Varianz und mathematis­cher Präzision. Die von Doris Krystof kuratierte Schau ist eine Wahrnehmun­gsschule: Man wird nervöser, empfänglic­her, und man beginnt allmählich, Sound zu schauen und Licht zu hören.

Unter den Bullaugen-Fenstern, die den Blick auf die Oberfläche des Schwanensp­iegels vor dem K21 freigeben, hat Nicolai Geigerzähl­er installier­t. Sechs Lautsprech­er übertragen die gemessene Strahlung als Geräusch in den Raum. „Partial Noise“heißt das Werk, es knistert ganz schön. Aber das ist vielleicht auch kein Wunder in der Stadt von Kraftwerk. „Radio-Aktivität / Für dich und mich in All entsteht.“

 ?? FOTO: K21 ?? Carsten Nicolais Bild- und Klang-Installati­on „unicolor“wurde inspiriert von den Farbtheori­en von Goethe und dem Bauhaus.
FOTO: K21 Carsten Nicolais Bild- und Klang-Installati­on „unicolor“wurde inspiriert von den Farbtheori­en von Goethe und dem Bauhaus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany