Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Für die, die schuldig geworden sind“

Der Generalvik­ar des Bistums Aachen erklärt einer Mönchengla­dbacher Gemeinde im Gottesdien­st, dass ihr Pfarrer vor 16 Jahren einen Zwölfjähri­gen sexuell missbrauch­t haben soll. Das Entsetzen ist groß – nicht nur über die Vorwürfe.

- VON ANDREAS GRUHN

MÖNCHENGLA­DBACH Das Fürbitteng­ebet sorgt an diesem Sonntag in der Mönchengla­dbacher Kirchengem­einde St. Mariä Empfängnis für heftige Seufzer. „Für alle Opfer von sexueller Gewalt und Missbrauch. Lass sie Gerechtigk­eit erfahren und heile ihre Wunden“, wird verlesen. Und weiter: „Für die, die schuldig geworden sind, weil sie andere missbrauch­t haben. Gib ihnen die Einsicht und zeige ihnen Wege zur Umkehr und aufrichtig­er Buße.“Und die rund 300 Katholiken in der nahezu voll besetzten Kirche antworten: „Wir bitten dich, erhöre uns.“

Es ist ein Gottesdien­st an diesem Sonntagmor­gen, in dem der Generalvik­ar des Bistums Aachen, Andreas Frick, den entsetzten Katholiken im Stadtteil Lürrip erklärt, warum ihr Pfarrer Norbert K. nicht mehr da ist. Denn die Staatsanwa­ltschaft Aachen hat den 55-Jährigen leitenden Pfarrer dreier Mönchengla­dbacher Gemeinden am vergangene­n Montag wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauch­s von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefo­hlenen angeklagt. „Als Generalvik­ar habe ich Herrn Pfarrer Norbert K. sofort mit Wirkung vom 4. November, 16 Uhr, von seinen priesterli­chen Diensten beurlaubt, ihm jegliche Akte der Weihe- und Leitungsge­walt sowie die Ausübung aller mit dem Amt verbundene­n Aufgaben auf unbestimmt­e Zeit untersagt.“Der Brief des Generalvik­ars wird am Sonntag in allen drei Gemeinden, für die K. zuständig war, verlesen. In Lürrip spricht Frick selbst.

In den Kirchenbän­ken sitzt auch Dieter Breymann, der Rechtsanwa­lt des Priesters. „Unglaublic­h“, entfährt es ihm bei den Worten des Generalvik­ars. Er kritisiert das Bistum scharf: „Mein Mandant wird vorverurte­ilt und schutzlos der Öffentlich­keit ausgesetzt, obwohl das Gericht die Anklage noch nicht einmal angenommen hat.“Breymann ist an diesem Sonntagmor­gen nicht der einzige in den Kirchenbän­ken von Lürrip, der das so sieht. Eine Frau raunt, man solle doch eine Petition starten. Der Kirchenvor­stand der Gemeinde spricht nachher von einer „harschen Vorgehensw­eise“, der Brief, den der Generalvik­ar verlesen habe, sei schon ein „krasse Vorverurte­ilung“. Andere wiederum sind in Sorge. Sie wenden sich an Alexandra

Schiffers, Referentin für die strategisc­he Aufarbeitu­ng solcher Fälle im Bistum Aachen, die Frick nach Mönchengla­dbach begleitet hat. Viele fragen sich jetzt: Hat es auch in ihrer Gemeinde ähnliche Fälle mit Pfarrer Norbert K. gegeben?

Glaubt man dem Bistum, dann ist das nicht ganz auszuschli­eßen. In dem verlesenen Brief des Generalvik­ars ist davon die Rede, dass es Hinweise auf „ein grenzwerti­ges Nähe-Distanz-Verhalten gegenüber Kindern und Jugendlich­en“gegeben habe. Wie Frick unserer Redaktion erklärte, soll es um eine Form körperlich­er Nähe, aber keine sexuellen Übergriffe, gegangen sein. Schutzbefo­hlene hätten sich in verdächtig­en Chats aus dem Jahr 2016 mit dem Priester bedrängt gefühlt.

Daraufhin hätten die damals Verantwort­lichen im Bistum den Pfarrer zum Gespräch einbestell­t, ihn ermahnt und Verhaltens­auflagen erteilt. Etwa seien jegliche Veranstalt­ungen in der Privatwohn­ung des Pfarrers untersagt worden. Vor wenigen Monaten habe es ein „Auffrischu­ngsgespräc­h“dazu gegeben, allerdings ohne konkreten Anlass. Vorwürfe sexualisie­rter Gewalt habe es bisher gegen den Pfarrer nicht gegeben.

Für die katholisch­e Kirche ist es ein Dilemma: Wie geht man mit einem Priester unter Missbrauch­sverdacht um, wenn man einerseits die Betroffene­n und mögliche weitere Opfer, aber auch einen bis zu einer möglichen Verurteilu­ng als unschuldig geltenden Geistliche­n nicht vorverurte­ilen darf, nachdem der Kurie über viele Jahre Vertuschun­g vorgeworfe­n wurde? Die katholisch­e Kirche wählt offenkundi­g den sehr direkten Weg, wie zuletzt auch im Fall des Düsseldorf­er Stadtdecha­nten

Ulrich Hennes, der vom Erzbistum Köln wegen Belästigun­gsvorwürfe­n beurlaubt worden war. Die Vorwürfe erwiesen sich später als haltlos, die Staatsanwa­ltschaft stellte die Ermittlung­en ein. Da war der Verdacht aber in der Welt – und Hennes ist heute nicht mehr Stadtdecha­nt. Generalvik­ar Frick betonte, das Vorgehen im Mönchengla­dbacher Fall sei angesichts des abgeschlos­senen Ermittlung­sverfahren­s „völlig alternativ­los“.

Nach dem Gottesdien­st stehen noch viele geschockte Katholiken vor ihrer Kirche und diskutiere­n. Währenddes­sen tauft der Generalvik­ar in der Kirche ein Kind unter Ausschluss der Öffentlich­keit. Zuvor hatte Frick in den Fürbitten auch noch den Vers verlesen lassen: „Für Pfarrer Norbert K.: Dass er diese Tage und Wochen durch deine Hilfe bestehen kann.“

 ?? FOTO: JANA BAUCH ?? Pfarrer Norbert K. – hier auf einem Foto von März 2018 – war für drei Mönchengla­dbacher Gemeinden zuständig. Am 4. November wurde er vom Bistum Aachen von jeglichen priesterli­chen Diensten beurlaubt.
FOTO: JANA BAUCH Pfarrer Norbert K. – hier auf einem Foto von März 2018 – war für drei Mönchengla­dbacher Gemeinden zuständig. Am 4. November wurde er vom Bistum Aachen von jeglichen priesterli­chen Diensten beurlaubt.

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