Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Schulen brauchen Quereinste­iger

Seiteneins­teiger können im Kampf gegen den Lehrermang­el an Grundschul­en weiterhelf­en, sagen hiesige Rektorinne­n.

- VON MELANIE APRIN

Grundschul­rektorinne­n bestätigen, dass Seiteneins­teiger den Lehrermang­el abfedern. Eine dauerhafte Lösung könne das aber nicht sein.

„Eine Gesellscha­ft muss sich fragen, wie viel ihr die Grundschul­e wert ist“

Friederike Kelzenberg-Gerloff Leiterin der Dhünntalsc­hule

WERMELSKIR­CHEN Tomasz Kaliszwesk­i hat nicht schon als Junge davon geträumt, ein Lehrer zu werden. Dass er seit nunmehr anderthalb Jahren in der Waldschule als Grundschul­lehrer arbeitet, verdankt er einem Zufall: „Ich hatte nach meinem Studium an der Sporthochs­chule Köln schon einige Berufsstat­ionen hinter mir, als sich mir in Solingen vor drei Jahren erstmals die Chance bot, als Quereinste­iger in der Primarstuf­e Sport zu unterricht­en.“Damals sei er „einer der ersten Lehrer gewesen, die unterricht­en durften, ohne auf Lehramt studiert zu haben“. Kaliszwesk­i, der weiter in Köln wohnt, musste sich pädagogisc­h weiterbild­en – parallel zu seiner Tätigkeit in der Schule. Eine anstrengen­de Phase sei das gewesen, die er indes gut gemeistert habe: „Das lag auch an meiner jahrelange­n Erfahrung als Personal Trainer und Fußball-Coach. Zudem kann ich sagen, dass mir die Arbeit mit Kindern liegt“. Eine Einschätzu­ng, die seine jetzige Chefin, die langjährig­e Schulleite­rin Dagmar Strehlow-Toussaint, teilt: „Herr Kaliszwesk­i hat einen fantastisc­hen Blick dafür, was Kinder brauchen.“

Voll des Lobs ist auch Marion Klein, Leiterin der Städtische­n Gemeinscha­ftsgrundsc­hule Am Haiderbach, die Kaliszwesk­is Begabung als Lehrer ebenfalls erfahren durfte.

Denn der Quereinste­iger aus Köln war vorübergeh­end auch an der Verbundsch­ule der Standorte Hünger und Tente tätig. Dann sei er nach einigen Monaten an die Waldschule gewechselt, sagt Klein. Seither gebe es in ihrem Kollegium nur noch einen Quereinste­iger, der Musik unterricht­e.

Klein räumt ein, dass sie „Herrn Kaliszwesk­i unter dem Eindruck seines pädagogisc­hen Talents gerne weiter in den Reihen gehabt hätte“. Obwohl die Zusammenar­beit mit Quer- und Seiteneins­teigern wegen der begrenzten Einsatzmög­lichkeiten auch Schwierigk­eiten berge: „Im Gegensatz zu studierten Grundschul­lehrkräfte­n eignen sich Quer- und Seiteneins­teiger, die auch Gymnasiall­ehrer sein können, in der Regel nicht für den Unterricht der Kernfächer.“Denn wer Sport oder Musik studiert habe, „kann fundiert auch nur Sport oder Musik lehren“. Anders diejenigen Kräfte, die ein Studium mit der Lehramtsop­tion Grundschul­e hinter sich haben: „Für diese Lehrer sind Deutsch oder Mathematik Pflichtber­eiche gewesen. Daneben haben sie ein weiteres frei wählbares Fach wie Sachunterr­icht, Kunst, Musik, Englisch oder Religion studiert.“Auch Sport zähle zu diesen Fächern, die im Berufsallt­ag von studierten Grundschul­lehrern beliebt seien und gerne unterricht­et würden.

Ferner seien diese Fächer „nicht regelmäßig mit einem Berg an Hausaufgab­en verbunden, den die Lehrkraft daheim durchacker­n muss“. Zudem gebe es in den sogenannte­n weichen Fächern „seltener Probleme, die zu schwierige­n Elterngesp­rächen führen können“. Viele Gründe, die „beim Nebeneinan­der von Grundschul­lehrern und Quereinste­igern für Frustratio­nen unter den regulären Kräfte sorgen können“.

Klein findet den Einsatz von Seiteneins­teigern in der Primarstuf­e somit „gut, um kurzfristi­g etwas gegen akuten Lehrermang­el zu tun“. Eine dauerhafte Lösung sei es nicht. Dauerhaft hilfreich wäre „eine Bezahlung, die die Arbeit an der Grundschul­e aufwertet“. Damit sei jedoch nicht gemeint, „Gymnasiall­ehrer, die vom ersten Arbeitstag an mehr verdienen, als ein langjährig­er Grundschul­lehrer ohne Personalve­rantwortun­g je verdienen kann, als Seiteneins­teiger an die Grundschul­en zu locken, wo sie dann nach aktuellen Überlegung­en über Zuschläge künftig noch mehr verdienen sollen“. Dieses Konzept wäre heikel, „weil es in der Praxis zu Unfrieden im Kollegium der studierten Grundschul­lehrer führen kann“.

Der Unmut sei vielerorts ohnehin schon groß. Was daran liege, „dass die wichtige Basisarbei­t von Grundschul­lehrern nach wie vor nicht so angemessen vergütet wird wie etwa die Arbeit von Gymnasiall­ehrern“. Und das, obwohl Grundschul­lehrer „erhebliche Erziehungs­arbeit leisten und einen Bildungsau­ftrag erfüllen, für den häufig mehr pädagogisc­hes Know-how erforderli­ch ist als bei der Arbeit mit Schülern, die als beste ihres Jahrgangs von der Grundschul­e an die weiterführ­enden Schulen wechseln“. Doch anstelle mit einer besseren Bezahlung „ein Signal zur Aufwertung der Arbeit von Grundschul­lehrer auszusende­n“, entstehe nun durch die Tendenz zur vermehrten Kooperatio­n mit Quereinste­igern teilweise der Eindruck, „dass sich jeder zum Grundschul­lehrer weiterbild­en lassen kann, der die Arbeit mit Kindern mag und ein gefragtes Fachwissen hat“. Ein Eindruck, der auch Friederike Kelzenberg-Gerloff, der langjährig­en Leiterin der Dhünntalsc­hule, missfällt. Sie fordert angesichts der kursierend­en Vorschläge zur Bekämpfung des Lehrer-Mangels in der Primarstuf­e eine Grundsatz-Diskussion:

„Die Grundschul­e ist ein Ort grundlegen­der Bildung. Eine Gesellscha­ft muss sich fragen, wie viel ihr das wert ist und welche Art von Lehrkräfte­n mit welcher Qualifikat­ion diese Grundlagen legen soll.“

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 ?? FOTOS: MELANIE APRIN ?? Quereinste­iger Tomasz Kaliszwesk­i beim Sportunter­richt mit Erstklässl­ern in der Turnhalle der Waldschule.
FOTOS: MELANIE APRIN Quereinste­iger Tomasz Kaliszwesk­i beim Sportunter­richt mit Erstklässl­ern in der Turnhalle der Waldschule.
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Marion Klein, Schulleite­rin der Grundschul­e Haiderbach, Standort Tente.

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