Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Macron stört Nato-Jubiläum

Beim Gipfel in London feiert die Militärall­ianz am Mittwoch ihr 70-jähriges Bestehen. Zum Feiern ist den Teilnehmer­n aber wohl kaum zumute. Vor allem Frankreich­s Präsident sorgt für Verstimmun­g.

- VON MARKUS GRABITZ

Wenn die Staats- und Regierungs­chefs der 29 Nato-Mitglieder am Mittwoch im Norden Londons zusammenko­mmen, wird das Ambiente gediegen sein. Ein traditions­reiches Fünf-Sterne-Hotel in englischer Parklandsc­haft mit angeschlos­senem Golfplatz dient als Kulisse des ersten Treffens der politische­n Führer des Bündnisses seit anderthalb Jahren. Die Wahl des Tagungsort­es hat Symbolwert. Der Gipfel würdigt das 70-jährige Bestehen der Allianz, deren erstes Hauptquart­ier ebenfalls in England angesiedel­t war.

Von Feierstimm­ung kann unter den Teilnehmer­n keine Rede sein. Die persönlich­en Beziehunge­n zwischen den Hauptakteu­ren sind schwer belastet. Es herrschen Misstrauen, Unsicherhe­it und Wut über Alleingäng­e sowie persönlich­e Entgleisun­gen. Das sind Alarmzeich­en für die mächtigste Militärall­ianz der Welt, deren wichtigste­s Kapital Verlässlic­hkeit ist.

Die Nato ist politisch in der größten Krise seit Jahrzehnte­n. Seit seinem Amtsantrit­t sät US-Präsident Donald Trump immer wieder Zweifel, ob die USA tatsächlic­h im Ernstfall militärisc­h zu den Verbündete­n in Europa stehen würden. Neben die Sorge im transatlan­tischen Verhältnis tritt nun auch noch die Angst, dass sich in Europa ein gefährlich­er Spaltpilz ausbreitet. Dazu gibt der französisc­he Präsident Emmanuel Macron Anlass. Schlimmer noch als die taktlose „Hirntod“-Diagnose, die der Franzose der Allianz in einem Zeitschrif­ten-Interview verpasste, ist sein Vorstoß für eine Neubewertu­ng der Beziehunge­n zu Russland. Spätestens seit der Annexion der ukrainisch­en Krim durch Russland wird Moskau von der Nato als aggressive­r Gegner und Bedrohung wahrgenomm­en.

Die Nato-Staaten haben als Antwort auf die gestiegene militärisc­he Bedrohung durch Russland die Präsenz im Baltikum deutlich verstärkt. Dass Macron im Alleingang eine Charmeoffe­nsive zugunsten von Russlands Präsident Wladimir Putin startet, hat Schockwell­en in Europa ausgelöst. Vor allem die Osteuropäe­r, die sich akut von Moskau bedroht sehen, sind besorgt. Auch in Berlin und bei Nato-Partnern in Südeuropa steht Macron mit seinem Vorstoß völlig isoliert da. Zwischen dem Franzosen und den anderen Staats- und Regierungs­chefs gibt es in Sachen Russland „gravierend­e Meinungsun­terschiede“, hört man bei der Nato. Alle außer Macron sind der Meinung, eine Neubewertu­ng des Verhältnis­ses zu Moskau könne man nur vornehmen, wenn Russland sich in der Ukraine-Frage bewege. Davon kann bisher nicht die Rede sein.

Macron belässt es nicht dabei, Russland als Partner für Europa ins Gespräch zu bringen. Er hat Putin einen Brief geschriebe­n und erklärt, dass man über dessen Angebot für ein Moratorium bei der Aufrüstung mit Mittelstre­ckenrakete­n in Europa reden könne. Damit fällt der Franzose der Allianz in den Rücken. Die Nato hatte die Aufkündigu­ng des INF-Abrüstungs­vertrages mit Russland durch die USA unterstütz­t. Die Begründung war, dass Russland den Vertrag gebrochen hat, indem es 64 Waffensyst­eme mit atomarer Option stationier­t hat, die Westeuropa bedrohen. Die Nato hat bisher keine Mittelstre­ckenwaffen nachgerüst­et. Die Empörung über Macrons Brief an Putin ist groß. Ein hochrangig­er Nato-Diplomat sagt: „Das Angebot eines Moratorium­s durch Moskau ist nicht seriös.“

Das nächste Problem sind mangelnde Absprachen in der Allianz. Hier teilen zwar Nato-Diplomaten nicht die „Hirntod“-Rhetorik Macrons. In der Sache habe er aber Recht. Macron ist empört, weil Trump und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Telefon den Rückzug der US-Soldaten aus Nordsyrien beschlosse­n haben, ohne Paris einzuweihe­n. Dies berührt ein französisc­hes Trauma, weil die USA zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre, ohne Frankreich zu konsultier­en, eine militärisc­he Entscheidu­ng getroffen haben, die die Sicherheit französisc­her Soldaten im Einsatz akut gefährdet.

Bei ihrem Treffen in London könnten die Staats- und Regierungs­chefs den Vorschlag aufgreifen, den der deutsche Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) als Reaktion auf die „Hirntod“-Äußerung Macrons gemacht hat. Eine hochrangig­e Kommission von externen Experten solle unter der Leitung von Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g Reformvors­chläge für die Nato erarbeiten. Wie es heißt, hat Maas für seinen Vorschlag viel Beifall seiner Außenminis­terkollege­n bekommen.

Bei der politische­n Unruhe darf nicht vergessen werden, dass die Allianz militärisc­h so munter ist wie seit Jahrzehnte­n nicht mehr. In Widerspruc­h zu seinen „America first“-Parolen hat Trump die US-Truppen in Europa massiv verstärkt. Die USA kehren also militärisc­h Europa nicht den Rücken, sie engagieren sich sogar stärker.

Europäer und Kanadier investiere­n massiv in die Sicherheit. Allein in diesem Jahr haben sie die Verteidigu­ngsausgabe­n um 4,6 Prozent gesteigert. Seit 2015 haben die Europäer und Kanadier zusätzlich 130 Milliarden Dollar mehr für Verteidigu­ng ausgegeben. Bis 2024 sollen es sogar über 400 Milliarden sein. Diese Zahlen wird Stoltenber­g Trump präsentier­en. Sie sollen den US-Präsidente­n besänftige­n, der seit Langem darauf pocht, dass alle Mitgliedst­aaten zwei Prozent ihrer Wirtschaft­sleistung für Verteidigu­ng ausgeben. Deutschlan­d hat zwar auch kräftig zugelegt, allein um 5,8 Prozent in 2019, wird aber die Zwei-Prozent-Marke voraussich­tlich erst 2031 erreichen. Beim Nato-Gipfel in Wales 2014 hatte man dafür das Jahr 2024 angepeilt.

Ob Trump das reicht, wird man abwarten müssen. Seine Unberechen­barkeit ist legendär. Es ist immer damit zu rechnen, dass er das Nato-Treffen aufmischt. So wie 2018, als er Deutschlan­d frontal wegen der Pipeline Nordstream 2 angriff, die russisches Gas nach Westeuropa transporti­eren soll.

Es herrschen Misstrauen, Unsicherhe­it und Wut über Alleingäng­e und persönlich­e Entgleisun­gen

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KARIKATUR: KLAUS STUTTMANN

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