Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Haft für Vater von totem Baby
Ein sechs Monate alter Junge starb in Alsdorf, weil sein Vater keine Hilfe holte.
AACHEN (dpa) Der kleine Ben war ein Wunschkind – ein wohlbehüteter Säugling von sechs Monaten, wie die Aachener Richterin Judith Sander feststellte. Das Gericht habe keine Zweifel daran, dass der Vater sein Kind liebte. Trotzdem unternahm der 37-Jährige laut Gericht nichts, als sich der Zustand des Kleinen wahrscheinlich nach einem Sturz über Stunden zusehends verschlechterte. Das Kind starb im März in der elterlichen Wohnung in Alsdorf bei Aachen an den Folgen eines Schädelbruchs.
Die Richter des Landgerichts Aachen sprachen den Vater am Montag der fahrlässigen Tötung in Tateinheit mit versuchtem Mord durch Unterlassen schuldig. Sie verurteilten den bis dahin unbescholtenen und als verantwortungsvoll beschrieben Mann mit einem „vollkommen unauffälligen Lebenslauf“zu sieben Jahren Haft. Als er sich am Ende zu seinen Verwandten im Zuschauerraum drehte, schien seine ganze persönliche Qual an seinen Gesichtszügen ablesbar. Gegen das Urteil ist Revision möglich.
Trotz einer zunehmenden Verschlechterung des Zustands habe der Vater keine ärztliche Hilfe für das Kind gerufen. „Er war nicht bereit, Verantwortung für das Geschehene zu übernehmen“, sagte die Vorsitzende Richterin Judith Sander. Ob das Kind bei direkter medizinischer Hilfe hätte gerettet werden können, konnte das Gericht nicht feststellen. Darum wurde der Vater wegen versuchten Mordes durch Unterlassen in Verdeckungsabsicht verurteilt.
Der Mann hatte immer wieder seine Unschuld beteuert: „Offensichtlich mit Erfolg. Die Familie glaubt noch immer an seine Unschuld“, sagte die Richterin.
Der Version der Staatsanwaltschaft, der Vater habe massive Gewalt ausgeübt, folgte das Gericht nicht. Ein Sturz sei naheliegend und ein lebensnahes Szenario, stellten die Richter fest. Die Anklage hatte wegen Totschlags zwölf Jahre Haft gefordert, die Verteidigung Freispruch. Von jenem Abend im März an hielt der deutsche Vater laut Gericht
die Mutter per Kurznachricht, Bild und Video auf dem Laufenden: am Abend ein Foto von dem Kleinen, den eine Erkältung plagte, im Schlafanzug im Stubenwagen, zwei Stunden später die Nachricht, das Kind habe erbrochen.
Um kurz nach ein Uhr morgens schickte er der Mutter ein Video. Die Richterin zitierte dazu einen Gutachter: „Man sieht da ein sterbendes Kind.“Dem Vater sei bewusst gewesen, dass das Kind ohne medizinische Hilfe sterben könnte. Trotzdem habe er nicht reagiert, sondern sich mit dem Video Absolution holen wollen für seine Untätigkeit. Die Mutter habe aber nicht mal auf die Idee kommen können, dass etwas passiert sein könnte.
Am nächsten Morgen wieder eine Nachricht an die Mutter: „Der ist eisekalt und atmet ganz komisch.“Die Ankündigung der Mutter, sie komme gleich nach Hause, habe den Vater unter Handlungsdruck gesetzt, so das Gericht. Als der Notarzt um 10.25 Uhr eintraf, hatte der kleine Ben eine Körpertemperatur von 34,5 Grad. Der Arzt kämpfte 40 Minuten um das Leben des Jungen. Vergeblich.
„Der ist eisekalt und atmet ganz komisch“
Whatsapp-Nachricht des Vaters an die Mutter