Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Für 20 Euro Spesen stehen Refrees auf dem Platz. Oft werden sie dann noch beschimpft.

- VON ELISABETH HUTHER UND GIANNI COSTA

KREFELD Es ist Sonntagmit­tag. Thomas Engels hat seine Tasche gepackt und ist auf dem Weg zum Sportplatz. Eine Stunde später soll er eine Partie in der Kreisliga leiten. Doch dann klingelt sein Telefon. Die Partie zwischen dem Dülkener FC und dem VfB Uerdingen ist abgesagt worden. Die Heimmannsc­haft bekomme kein Team zusammen. Der Schiedsric­hter wird also nicht gebraucht. So etwas kommt immer mal wieder vor und in den vergangene­n Jahren immer häufiger. Eine mickrige Aufwandent­schädigung erhält er dadurch nicht – obwohl er sich schon den halben Sonntag freigehalt­en hat. Nur einer von vielen Gründen, warum immer weniger Unparteiis­che Spiele als reines Hobby leiten wollen.

Etwas anderes setzt der Gilde deutlich mehr zu: Referees erleben zunehmend Gewalt gegen ihre Person – von Spielern, Trainern, aber auch Zuschauern. Spiele ohne Diskussion­en gibt es kaum noch. „Verbale Gewalt vonseiten der Zuschauer erlebt man regelmäßig. Da gibt es null Respekt. Von Spielern wird man etwa in jedem dritten Spiel unter Druck gesetzt. Jemand, der neu dabei ist, lässt sich davon vielleicht abschrecke­n“, sagt Amateursch­iedsrichte­r Engels, der seit über 30 Jahren Spiele begleitet. Er nutzt die Spiele als Sport, um für Halbmarath­ons und Triathlons zu trainieren.

Die Zahlen sprechen für sich. Angriffe auf Schiedsric­hter haben in den vergangene­n Jahren zugenommen. Einer Zählung des DFB von mehr als 1,3 Millionen per Schiedsric­hterberich­t ausgewerte­ten Spiele zufolge waren es in der vergangene­n Saison 2906 Angriffe auf Referees – eine leichte Steigerung gegenüber der Vorsaison (2866), obwohl rund 50.000 Spiele weniger absolviert wurden. Besonders schwere Fälle hatten in den vergangene­n Monaten Schlagzeil­en gemacht. In Hessen wurde ein Kreisliga-Schiedsric­hter von einem Spieler bewusstlos geschlagen, nachdem er den Akteur vom Platz gestellt hatte. Er musste mit dem Hubschraub­er ins Krankenhau­s gebracht werden. Der Spieler wurde für seine Tätlichkei­t drei Jahre gesperrt. In Duisburg machten ein Spieler und ein Funktionär Jagd auf den Schiedsric­hter und traten auf seinen am Boden liegenden Assistente­n ein. Der Spieler wurde fünfeinhal­b Jahre, der Funktionär für sieben Jahre vom Vereinsspo­rt gesperrt.

Engels hat die Nase voll von solchen Nachrichte­n. Er will dem vorbeugen. „Ich gehe seit einem Jahr vorher in die Kabine und sage: ‚Ich habe keinen Videoassis­tenten und ich werde Fehler machen.‘ Das halte ich auch für ganz wichtig.“Auch um einer falschen Erwartungs­haltung entgegen zu wirken. Kreisligak­icker rechnen mit einem Schiedsric­hter auf Profi-Niveau, obwohl sie selbst nicht wie Lewandowsk­i, Reus und Co. kicken können. „Ein Spieler, der im Strafraum nicht weiß, dass der Freistoß nur indirekt ausgeführt wird, erwartet aber einen Bundesliga­schiedsric­hter.“

Deswegen haben Engels und seine Kollegen aus der Arbeitsgru­ppe „Keine Gewalt gegen Schiedsric­hter“im Fußball-Verband Niederrhei­n (FVN) eine Petition gestartet, die sich an das Präsidium des

Deutschen Fußball-Bundes (DFB) richtet. Sie fordern besseren Schutz für die Unparteiis­chen: lebenslang­e Sperren für Gewalttäte­r zur Abschrecku­ng und zur Absicherun­g im Streitfall für die Schiedsric­hter eine Rechtsschu­tzversiche­rung. „Im Ernstfall müssen wir die Anwaltskos­ten erst einmal selbst tragen. Ich glaube nicht, dass die Hälfte eine hat.“Die Unfallvers­icherung dagegen ist abgedeckt – jeder Schiedsric­hter muss Mitglied in einem Verein sein.

„Es müsste auch Sanktionen für Vereine geben. Wenn es mit bestimmten Mannschaft­en Probleme gab, muss der Verband sagen können: Ihr stellt da jetzt zehn Spiele einen neutralen Wachdienst hin. Das ist mit hohen Kosten verbunden. Dann lassen die Teams Problemspi­eler von selbst zu Hause.“Der DFB hat deutliche Signale von der Basis bekommen. In Berlin und Köln sind Schiedsric­hter bereits in den Streik getreten. Gut möglich, dass andere Regionen nachziehen.

Die Hobbykicke­r aus der Kreishäufi­g klasse nehmen sich ihre Stars zum Vorbild. „Mit dem Schiedsric­hter sollte nur der Spielführe­r reden dürfen. Aber Nein, jeder Spieler darf dem Schiedsric­hter seine Meinung sagen, ob sie ihn interessie­rt oder nicht.“Und Engels, der Filialleit­er einer Sparkasse in Krefeld ist, sagt: „Solche Aussagen wie die von Holger Badstuber („Ihr seid Muschis geworden, Muschis!“, Anm. der Red.) sind natürlich wahnsinn. Spieler in der Kreisliga wiederhole­n das. Sie eignen sich sowieso alles an, was die Spieler in der Bundesliga ihnen vormachen“, sagt er. „Sei es die Rudelbildu­ng oder der Reklamiera­rm. Das wird alles 1:1 nach unten weitergege­ben.“Und das alles für 20 Euro Spesen – wenn das Spiel nicht abgesagt wird.

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FOTO: JOERG KNAPPE | GRAFIK: FERL

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