Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Für 20 Euro Spesen stehen Refrees auf dem Platz. Oft werden sie dann noch beschimpft.
KREFELD Es ist Sonntagmittag. Thomas Engels hat seine Tasche gepackt und ist auf dem Weg zum Sportplatz. Eine Stunde später soll er eine Partie in der Kreisliga leiten. Doch dann klingelt sein Telefon. Die Partie zwischen dem Dülkener FC und dem VfB Uerdingen ist abgesagt worden. Die Heimmannschaft bekomme kein Team zusammen. Der Schiedsrichter wird also nicht gebraucht. So etwas kommt immer mal wieder vor und in den vergangenen Jahren immer häufiger. Eine mickrige Aufwandentschädigung erhält er dadurch nicht – obwohl er sich schon den halben Sonntag freigehalten hat. Nur einer von vielen Gründen, warum immer weniger Unparteiische Spiele als reines Hobby leiten wollen.
Etwas anderes setzt der Gilde deutlich mehr zu: Referees erleben zunehmend Gewalt gegen ihre Person – von Spielern, Trainern, aber auch Zuschauern. Spiele ohne Diskussionen gibt es kaum noch. „Verbale Gewalt vonseiten der Zuschauer erlebt man regelmäßig. Da gibt es null Respekt. Von Spielern wird man etwa in jedem dritten Spiel unter Druck gesetzt. Jemand, der neu dabei ist, lässt sich davon vielleicht abschrecken“, sagt Amateurschiedsrichter Engels, der seit über 30 Jahren Spiele begleitet. Er nutzt die Spiele als Sport, um für Halbmarathons und Triathlons zu trainieren.
Die Zahlen sprechen für sich. Angriffe auf Schiedsrichter haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Einer Zählung des DFB von mehr als 1,3 Millionen per Schiedsrichterbericht ausgewerteten Spiele zufolge waren es in der vergangenen Saison 2906 Angriffe auf Referees – eine leichte Steigerung gegenüber der Vorsaison (2866), obwohl rund 50.000 Spiele weniger absolviert wurden. Besonders schwere Fälle hatten in den vergangenen Monaten Schlagzeilen gemacht. In Hessen wurde ein Kreisliga-Schiedsrichter von einem Spieler bewusstlos geschlagen, nachdem er den Akteur vom Platz gestellt hatte. Er musste mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht werden. Der Spieler wurde für seine Tätlichkeit drei Jahre gesperrt. In Duisburg machten ein Spieler und ein Funktionär Jagd auf den Schiedsrichter und traten auf seinen am Boden liegenden Assistenten ein. Der Spieler wurde fünfeinhalb Jahre, der Funktionär für sieben Jahre vom Vereinssport gesperrt.
Engels hat die Nase voll von solchen Nachrichten. Er will dem vorbeugen. „Ich gehe seit einem Jahr vorher in die Kabine und sage: ‚Ich habe keinen Videoassistenten und ich werde Fehler machen.‘ Das halte ich auch für ganz wichtig.“Auch um einer falschen Erwartungshaltung entgegen zu wirken. Kreisligakicker rechnen mit einem Schiedsrichter auf Profi-Niveau, obwohl sie selbst nicht wie Lewandowski, Reus und Co. kicken können. „Ein Spieler, der im Strafraum nicht weiß, dass der Freistoß nur indirekt ausgeführt wird, erwartet aber einen Bundesligaschiedsrichter.“
Deswegen haben Engels und seine Kollegen aus der Arbeitsgruppe „Keine Gewalt gegen Schiedsrichter“im Fußball-Verband Niederrhein (FVN) eine Petition gestartet, die sich an das Präsidium des
Deutschen Fußball-Bundes (DFB) richtet. Sie fordern besseren Schutz für die Unparteiischen: lebenslange Sperren für Gewalttäter zur Abschreckung und zur Absicherung im Streitfall für die Schiedsrichter eine Rechtsschutzversicherung. „Im Ernstfall müssen wir die Anwaltskosten erst einmal selbst tragen. Ich glaube nicht, dass die Hälfte eine hat.“Die Unfallversicherung dagegen ist abgedeckt – jeder Schiedsrichter muss Mitglied in einem Verein sein.
„Es müsste auch Sanktionen für Vereine geben. Wenn es mit bestimmten Mannschaften Probleme gab, muss der Verband sagen können: Ihr stellt da jetzt zehn Spiele einen neutralen Wachdienst hin. Das ist mit hohen Kosten verbunden. Dann lassen die Teams Problemspieler von selbst zu Hause.“Der DFB hat deutliche Signale von der Basis bekommen. In Berlin und Köln sind Schiedsrichter bereits in den Streik getreten. Gut möglich, dass andere Regionen nachziehen.
Die Hobbykicker aus der Kreishäufig klasse nehmen sich ihre Stars zum Vorbild. „Mit dem Schiedsrichter sollte nur der Spielführer reden dürfen. Aber Nein, jeder Spieler darf dem Schiedsrichter seine Meinung sagen, ob sie ihn interessiert oder nicht.“Und Engels, der Filialleiter einer Sparkasse in Krefeld ist, sagt: „Solche Aussagen wie die von Holger Badstuber („Ihr seid Muschis geworden, Muschis!“, Anm. der Red.) sind natürlich wahnsinn. Spieler in der Kreisliga wiederholen das. Sie eignen sich sowieso alles an, was die Spieler in der Bundesliga ihnen vormachen“, sagt er. „Sei es die Rudelbildung oder der Reklamierarm. Das wird alles 1:1 nach unten weitergegeben.“Und das alles für 20 Euro Spesen – wenn das Spiel nicht abgesagt wird.