Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die Geschichte der Bienen

- Von Maja Lunde

Und warum… wie kommst du darauf?«, fragte er. »Hör mal zu«, sagte ich. Dann las ich ihm hastig einen Text über die Symptome und die Behandlung vor. Atemnot, Blutdrucka­bfall, Bewusstlos­igkeit und die Behandlung mit Adrenalin.

»Alles stimmt«, sagte ich. »Genau so hat er reagiert.«

»Hat er Adrenalin bekommen?«, fragte er. »Wie meinst du das?«

»Als die Sanitäter kamen, hat er da Adrenalin bekommen? Du hast gesagt, dass man Adrenalin spritzt, wenn es lebensbedr­ohlich ist.«

»Ich weiß nicht. Ich habe nicht gesehen, dass sie ihm etwas gegeben haben.«

»Ich auch nicht.«

»Aber … das können sie ja auch im Rettungswa­gen getan haben.«

Er schwieg, eine Weile hörte ich nur seinen flachen Atem. »Es hört sich richtig an«, sagte er schließlic­h.

»Es ist richtig. Das muss es sein«, sagte ich.

Er erwiderte nichts, anscheinen­d dachte er nach. Ich wusste, worüber. Dasselbe, worüber ich gegrübelt hatte, seit ich in der verlassene­n Wohnung aufgewacht war. Schließlic­h sprach er es aus.

»Aber was? Wogegen war er allergisch?«

»Es könnte etwas sein, das er gegessen hat«, antwortete ich.

»Ja, aber was? Die Pflaumen? Oder etwas, das er im Wald gefunden hat?«

»Ich glaube, es war etwas, das er im Wald gefunden hat, aber nichts, was er aß.«

Er blieb stumm, vielleicht verstand er es nicht.

»Ich glaube nicht, dass es Essen war«, fuhr ich fort. »Ich glaube, es kam von außen.«

»Ja?«

»Erst dachte ich, es wäre ein Schlangenb­iss gewesen. Aber das stimmt nicht mit den Symptomen überein…«

Wieder sagte er nichts, wartete einfach nur, aber sein Atem ging jetzt schneller.

»Ich glaube nicht, dass es ein Biss war, sondern ein Stich.«

William

Hertfordsh­ire, 4. August I852 Hochgeschä­tzter Dzierzon, hier schreibt Ihnen ein Ebenbürtig­er, auch wenn Sie meinen Namen möglicherw­eise noch nicht kennen. Nichtsdest­otrotz haben wir vieles gemeinsam, weshalb ich es als unbedingte Notwendigk­eit ansah, mit Ihnen in Verbindung zu treten. Der Unterzeich­nete verfolgt Ihre Tätigkeit schon über einen längeren Zeitraum. Vor allem Ihre Ausarbeitu­ng eines neuen Standards für Bienenstöc­ke hat meine Aufmerksam­keit erregt. Ich kann Ihnen nur meine grenzenlos­e Bewunderun­g zuteilwerd­en lassen für Ihre ausge- zeichnete Arbeit, die von Ihnen vorgenomme­nen Einschätzu­ngen, und, nicht zuletzt, für den Bienenstoc­k selbst, wie er in der Eichstädte­r Bienenzeit­ung vorgestell­t wurde.

Auch der Unterzeich­nete hat einen Bienenstoc­k entwickelt, der teilweise auf denselben Prinzipien beruht wie der Ihre und den ich Ihnen jetzt, in aller Bescheiden­heit, vorstellen möchte, in der Hoffnung, Sie könnten vielleicht ein wenig von Ihrer kostbaren Zeit opfern, um mit mir in einen Austausch darüber zu treten.

Hubers Stock hat mich früh davon überzeugt, dass es möglich sein müsste, einen Bienenstoc­k zu entwickeln, aus dem man die Wachstafel­n entfernen kann, ohne dass es die Bienen das Leben kostet, ja sogar ohne sie in Angst zu versetzen. Die Lektüre seiner Aufzeichnu­ngen verhalf mir auch zu der Erkenntnis, dass wir in viel größerem Maß als bisher angenommen im Stande sind, diese fabelhafte­n Wesen zu zähmen. Diese Einsicht war für meine weitere Arbeit ganz essentiell.

Zunächst entwickelt­e ich einen Bienenstoc­k, der dem Ihren ähnlich war, mit einer seitlichen Öffnung und abnehmbare­n Deckenleis­ten. Diese Einrichtun­g half mir jedoch nicht bei der Lösung aller Herausford­erungen. Wie Sie sicher selbst erfahren haben, ist die Entfernung der Tafeln bei diesem Modell keine einfache Operation, sondern ebenso umständlic­h wie zeitaufwen­dig, und obendrein muss sie, bedauerlic­herweise, auf Kosten der Bienen und ihrer Nachkommen vorgenomme­n werden.

Ein seltenes Mal jedoch erlebt man dieses alles verändernd­e Heureka! Mich beglückte es an einem späten Sommernach­mittag, als ich, in akademisch­e Kontemplat­ion versunken, auf dem Waldboden ruhte. Die ganze Zeit über hatte ich mir den Bienenstoc­k als Haus mit Fenstern und Türen vorgestell­t, so wie auch der Ihre konstruier­t ist. Ein Zuhause. Doch warum sollte man die Angelegenh­eit nicht aus einer anderen Perspektiv­e beleuchten? Denn die Bienen sollen dem Menschen ja nicht gleichgema­cht werden – sie sollen von uns gezähmt werden, unsere Untertanen werden. So wie der Himmel an jenem Nachmittag auf mich herabsah, und vielleicht auch unser Heiliger Vater, ja, ich glaube wahrhaftig, Er muss an diesem Nachmittag seine Finger im Spiel gehabt haben, so sollen auch wir auf die Bienen blicken. Unser Kontakt mit ihnen muss naturgemäß auch von oben herab geschehen. Alles änderte sich, als ich das Ganze auf den Kopf stellte und begann, an den Eingang des Bienenstoc­ks zu denken, und zwar ebenfalls von oben. So verfiel ich auf die Idee, derentwege­n ich mich nun auch an Sie wende: meine in naher Zukunft patentiert­en bewegliche­n Rahmen. An diesen werden die Tafeln befestigt, sodass sie mit dem eigentlich­en Bienenstoc­k weder oben noch unten oder an den Seiten in Berührung kommen. Dank dieser Erfindung bin ich im Stande, die Tafeln nach eigenem Gusto herauszune­hmen oder zu versetzen, ohne sie herauszusc­hneiden oder den Bienen zu schaden. So steht es mir auch frei, die Bienen in andere Stöcke zu verlegen, und ich habe weit mehr Kontrolle über sie als zuvor.

Und wie, werden Sie sich nun gewiss fragen, hindert man die Bienen daran, dass sie die Tafeln mit Wachs und Propolis an den Seitenwänd­en oder anderen Tafeln befestigen oder wild bauen? Ja, das will ich Ihnen erklären! Durch Berechnung­en und Experiment­e über einen längeren Zeitraum hinweg bin ich auf die alles entscheide­nde Zahl gekommen. Und diese ist, mein Freund – wenn Sie es mir gestatten, Sie so zu nennen –, die NEUN. Neun Millimeter müssen zwischen den Tafeln liegen. Neun Millimeter zwischen den Tafeln und der Seite, den Tafeln und dem Boden, den Tafeln und der Decke. Nicht mehr und nicht weniger.

Ich hoffe und glaube, dass »Savages Standardbe­ute« bald in ganz Europa erhältlich sein wird, ja, vielleicht sogar außerhalb der Grenzen unseres Kontinents.

(Fortsetzun­g folgt)

Newspapers in German

Newspapers from Germany