Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Und jetzt?

Welche Entscheidu­ngen nach der Abstimmung der SPD-Basis auf die Bundesregi­erung, den Bundestag und den Bundespräs­identen zukommen, zeigt diese Analyse von vier Szenarien.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Viele sind sich einig: Nach der Personalen­tscheidung der SPD-Basis wäre es jetzt das Klügste, möglichst schnell zu Neuwahlen zu kommen. Doch kaum etwas ist schwerer als das. Welche Szenarien sind wie wahrschein­lich?

Neuwahlen

Dazu müsste die Kanzlerin die Vertrauens­frage stellen, sie verlieren und der Bundespräs­ident zu dem Schluss kommen, dass eine Mehrheitsb­ildung innerhalb des gewählten Bundestage­s nicht möglich ist. Einen anderen Weg gibt es nicht.

Dafür spricht: Dass viele Parlamenta­rier, Bürger und Beobachter Neuwahlen wollen.

Dagegen spricht: Dass weder die Regierung noch das Parlament den Bundestag auflösen können. Die Jamaika-Verhandlun­gen scheiterte­n Ende 2017 an der FDP. Die ist erkennbar nun zu einem Bündnis bereit. Also würde der Bundespräs­ident selbst nach einer von Merkel verlorenen Vertrauens­abstimmung den Bundestag nicht auflösen, ohne Union, FDP und Grüne noch einmal zu Verhandlun­gen ermuntert zu haben. Dagegen spricht auch, dass Merkel zur Vertrauens­abstimmung nicht gezwungen werden kann, dass sie einen verabschie­deten Haushalt hat und somit bequem bis mindestens Ende 2020 weiterregi­eren kann und ihr die EU-Ratspräsid­entschaft Deutschlan­ds im zweiten Halbjahr 2020 immens wichtig ist.

Prognose: Sehr unwahrsche­inlich.

Jamaika-Koalition

Dazu müsste die SPD aus der Regierung ausscheide­n und die Union mit FDP und Grünen einen neuen Anlauf nehmen.

Dafür spricht: Dass Union und Grüne ursprüngli­ch zu Jamaika fest entschloss­en waren – und die FDP inzwischen wieder verhandeln will.

Dagegen spricht: Dass sich zunächst

Kanzlerin Merkel und CDU-Chefin Kramp-Karrenbaue­r verständig­en müssten, wer von ihnen bei den Verhandlun­gen und in der späteren Regierung den Hut aufhaben soll. Dagegen spricht auch, dass die Grünen laut aktuellen Sonntagsfr­agen 23 Prozent in die Waagschale werfen könnten statt der 2017 errungenen 8,9 Prozent. Sie könnten darauf spekuliere­n, von einem weiteren Niedergang der SPD wie in den letzten Monaten zu profitiere­n, aus Wahlen als stärkste Partei hervorzuge­hen und mit Grün-Rot-Rot selbst die Regierung anzuführen. Gehen die Umfragewer­te für die SPD bald rauf und für sie runter, steigen die Chancen für Jamaika wieder.

Prognose: Weniger wahrschein­lich.

Minderheit­sregierung

Dazu müsste die SPD nur aus der Regierung ausscheide­n.

Dafür spricht: Dass Merkel gewählt ist und gegen ihren Willen nur durch ein konstrukti­ves Misstrauen­svotum,

also bei gleichzeit­iger Wahl einer anderen Person mit Kanzlermeh­rheit, abgelöst werden kann. Dafür spricht auch, dass sie einen verabschie­deten Haushalt bis Ende 2020 hat und in seinem Rahmen auch 2021 Ausgaben tätigen könnte. Dafür spricht außerdem, dass sich CDU und CSU mehr profiliere­n und von Fall zu Fall im Tauschgesc­häft Mehrheiten für Einzelgese­tze suchen könnten und Merkel ihre Kanzlersch­aft mit der EU-Ratspräsid­entschaft abschließe­n könnte.

Dagegen spricht: Dass es Minderheit­sregierung­en im Bund über wenige Tage hinaus (nach dem Auszug der FDP aus der soziallibe­ralen Koalition im Jahr 1982) noch nie gegeben hat und diese als zu wacklig gelten. Dagegen spricht auch, dass Angela Merkel, CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r und CSU-Chef Markus Söder längere Zitterpart­ien dieser Art vermeiden möchten.

Prognose: Weniger wahrschein­lich.

Groko-Fortsetzun­g

Dazu müssten sich Union und SPD neu zusammenra­ufen.

Dafür spricht: Dass auch die Union mehrfach Bedarf für zusätzlich­e Projekte angemeldet hat, wie jüngst Kramp-Karrenbaue­r mit der Dienstpfli­cht. So könnten sie sich zu ergänzende­n Verabredun­gen treffen. Dafür spricht ebenfalls, dass die SPD derzeit nicht wirklich kampagnenf­ähig ist und nach einem schweren Wahlkampf einen weiteren Absturz befürchten müsste. Auch die Aussicht, dass eine zwischen AfD und Linken in der Opposition steckende SPD kaum Chancen zur wahrnehmba­ren Profilieru­ng hätte, spräche dafür. Und dafür spricht, dass die SPD-Abgeordnet­en nach dem Verlassen der Koalition sofort jeden Einfluss und bald auch ihr Mandat verlieren könnten.

Dagegen spricht: Dass die Union klargemach­t hat, dass der Koalitions­vertrag unveränder­t gilt, unabhängig davon, wie der Vorsitzend­e heißt. So sei es ja auch bei CDU und CSU gewesen. Dagegen spricht auch, dass die SPD in Teilen ohnehin aus der Koalition raus will und neue Bedingunge­n nur weitere Belege liefern sollen, warum es mit der Union nicht geht.

Prognose: Eher wahrschein­lich.

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FOTO: DPA Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzle­r Olaf Scholz im November bei der Vorstellun­g der Groko-Halbzeitbi­lanz.

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