Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
SPD gegen schnelles Groko-Aus
Beim Parteitag der Sozialdemokraten soll nicht das Ende der Koalition beschlossen werden. Auch Juso-Chef Kühnert will den Koalitionsvertrag nicht neu verhandeln. Er will Parteivize werden.
BERLIN Die große Koalition soll auch mit den Groko-Skeptikern Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken an der SPD-Spitze vorerst halten. Zumindest wollen die Sozialdemokraten bei ihrem mit Spannung erwarteten Parteitag am Freitag in Berlin zwar deutliche Nachbesserungen des Koalitionsvertrags fordern, aber nicht den Ausstieg aus dem Bündnis mit der Union beschließen. Das geht aus einem ersten Entwurf des Leitantrags hervor, über den die designierten Vorsitzenden Walter-Borjans und Esken am Dienstag in Berlin mit den Parteispitzen aus Fraktion und Kabinett berieten. Walter-Borjans sagte der SPD-Zeitung „Vorwärts“, ein Ausstieg aus der großen Koalition sei kein Selbstzweck. „Klar ist: Wir wollen nicht Hals über Kopf aus der großen Koalition raus.“
Auch der Groko-Gegner und Juso-Chef Kevin Kühnert betonte: „Wir wollen den Koalitionsvertrag nicht neu verhandeln, niemand hat das je gefordert. Aber in der Revisionsklausel
steht, neue Vorhaben zu vereinbaren, wenn sich die Rahmenbedingungen geändert haben. Auf diese Klausel berufen wir uns.“Esken und Walter-Borjans stünden für Positionen, „die der Parteilinken seit jeher am Herzen liegen“. Kühnert kündigte im Interview mit unserer Redaktion an, bei dem SPD-Kongress für den Posten als stellvertretender Parteichef zu kandidieren. Er könnte der erste SPD-Vize in der Geschichte der Bundesrepublik werden, der zugleich Juso-Vorsitzender ist. Laut Kühnert wird der bisherige Parteivize Ralf Stegner künftig „an führender Stelle“zusätzliches Präsidiumsmitglied.
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer drohte der SPD mit dem Aus des mühselig ausgehandelten Grundrenten-Kompromisses, wenn sie sich nicht zum Fortbestand der Koalition bekenne. „Bei der Grundrente haben wir gesagt: Wir werden in das parlamentarische Verfahren erst dann einsteigen, wenn klar ist, dass diese Koalition auch fortgesetzt wird“, sagte sie dem Sender RTL/n-tv während einer Afghanistan-Reise. Nur in Ausnahmefällen äußern sich Bundespolitiker im Ausland zur Innenpolitik.
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bekräftigte, er arbeite mit voller Kraft dafür, dass die Grundrente wie vereinbart zum 1. Januar 2021 komme.
Der endgültige Entwurf für den SPD-Leitantrag wird möglicherweise erst am Donnerstag vorgelegt. Stegner sagte der Deutschen Presse-Agentur, er sei zuversichtlich, dass sich die SPD auf einen vernünftigen Antrag einigen und damit eine „gute inhaltliche Grundlage für Gespräche mit der Union“legen werde. NRW-SPD-Chef Sebastian Hartmann sagte, es werde noch „richtig gearbeitet“und über alles geredet, was relevant für das Land sei – von staatlichen Investitionen bis zum Klimaschutz.
Nobert Walter-Borjans und Saskia Esken hatten angesichts der schwächeren Konjunktur deutlich mehr Investitionen des Staates gefordert. Kramp-Karrenbauer sagte, bei der Union werde es weiterhin wenig Erfolg haben, über die Aufhebung der gesetzlich verankerten Schuldenbremse zu reden. Und das beschlossene Klimaschutzpaket gehe jetzt ins Vermittlungsverfahren zwischen Bundestag und Bundesrat, das Prozedere solle zügig abgeschlossen werden. Sie erklärte, eine „Linksverschiebung der SPD“sei klar erkennbar. „Und eine Linksverschiebung der SPD kann auf keinen Fall eine Linksverschiebung dieser Koalition bedeuten.“