Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Die wichtigsten SPD-Forderungen im Realitäts-Check
Investitionsprogramm, Aufgabe der schwarzen Null, höherer Mindestlohn, strengeres Klimapaket, Einführung eines Tempolimits – der Leitantrag des SPD-Parteitags entwirft an vielen Stellen explizit linke Politik. Sie trifft nun auf die Groko-Wirklichkeit.
BERLIN (mar) Im Leitantrag der neuen SPD-Führung für den Bundesparteitag werden weitgehende Forderungen gestellt. Wie realistisch ist ihre Umsetzung? Ein Faktencheck.
Investitionsprogramm Die SPD verweist im Leitantrag auf eine Schätzung des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung gemeinsam mit dem arbeitgebernahen Kölner Institut der deutschen Wirtschaft. Beide taxieren den Investitionsbedarf für Bildung, Verkehr, Kommunikationsnetze und Klimaschutz in den nächsten zehn Jahren auf 450 Milliarden Euro. Umsetzungschance: Wahrscheinlich ist, dass sich Union und SPD auf zusätzliche Investitionen des Bundes bis zum Ende der Legislaturperiode in Höhe von einigen Milliarden Euro sowie die Beschleunigung von Planungsverfahren einigen können.
Dass die Union einem Investitionsprogramm von 450 Milliarden Euro über zehn Jahre zustimmt, ist dagegen illusorisch.
Schwarze Null Zur Finanzierung des Investitionsprogramms fordert die SPD perspektivisch das Ende der Politik der schwarzen Null, also des Haushalts ohne Neuverschuldung, die für die Union aber ein Markenkern ist. Im Leitantrag hat die SPD für diese Forderung aber eine defensive Formulierung gewählt, sie soll nicht zur Sollbruchstelle der großen Koalition werden. Umsetzungschance: Die Union hat signalisiert, dass die schwarze Null für sie erst dann infrage stünde, wenn die Wirtschaft tatsächlich in eine Rezession abrutschen würde. Das ist derzeit nicht der Fall. Würde die Null aufgegeben, würde ohnehin die Schuldenbremse im Grundgesetz eine deutliche Ausweitung der
Neuverschuldung verbieten. Sie ließe nach Berechnungen des Finanzministeriums im kommenden Jahr allenfalls eine Neuverschuldung von etwa fünf Milliarden Euro zu.
Mindestlohn Im SPD-Leitantrag heißt es, Deutschland brauche einen höheren Mindestlohn, um den Niedriglohnsektor zurückzudrängen. „Dafür werden wir das Mindestlohngesetz wie vereinbart 2020 evaluieren und weiterentwickeln. Unser klares Ziel ist dabei perspektivisch die Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro.“Umsetzungschance: Union und Wirtschaft lehnen die deutliche Anhebung des Mindestlohns ab. Die Bundesregierung könnte der unabhängigen Mindestlohn-Kommission, die paritätisch mit Vertretern der Sozialpartner besetzt ist, auch keine Weisungen erteilen. Die Kommission ist gesetzlich verpflichtet, den Mindestlohn unter anderem an der durchschnittlichen Entwicklung der Tariflöhne der letzten zwei Jahre zu orientieren.Wollte man das ändern, müsste die Koalition das Mindestlohngesetz ändern. Das dürfte mit der Union nicht zu machen sein.
Klimapaket Die SPD will das gesamte Klimapaket wieder aufschnüren, nicht nur den Steuerteil. „Wir streben einen umfassenden, breit wirksamen sozialen Ausgleich an, der für jeden gleichmäßig wirkt, um einen höheren CO2-Preis zu ermöglichen“, heißt es im Leitantrag. Man wolle den Strompreis senken und den für 2030 angestrebten Anteil der erneuerbaren Energien von 65 Prozent am Strommix gesetzlich festschreiben. Umsetzungschance: Der CO2-Einstiegspreis von zehn Euro pro Tonne CO2 ab 2021 dürfte tatsächlich im Vermittlungsverfahren von Bundestag und Bundesrat ab kommender
Woche wieder auf den Tisch kommen. Denn auch viele Länder und Teile der Union halten ihn für zu niedrig, um eine nennenswerte Lenkungswirkung für mehr Klimaschutz im Verkehr zu erzielen. Eine deutliche Erhöhung auf 30 Euro oder mehr wird die Union jedoch nicht mitmachen. Auch die Finanzierung eines höheren Sozialausgleichs dürfte schwierig werden. Die gesetzliche Verankerung des 65-Prozent-Ziels könnte gelingen. Auch eine Senkung der Stromsteuer oder der Umlage für die erneuerbaren Energien (EEG-Umlage) ist realistisch.
Tempolimit „Wir wollen ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern auf Autobahnen einführen“, heißt es im Leitantrag. Umsetzungschance: Die Union lehnt ein Tempolimit kategorisch ab. Es bleibt daher in dieser Legislaturperiode unrealistisch.