Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Ist das Satire oder kann das weg?
Jan Böhmermann kann nicht von der SPD lassen. Täglich kommentiert der Satiriker die Lage der Partei aus dem Off – meist ziemlich unironisch. Wie ernst meint er sein politisches Engagement? Vorbilder, die es von der Comedy-Bühne in die erste Reihe der Poli
Wer braucht die SPD im 21. Jahrhundert noch? Die Antwort: „Niemand. Niemand. Niemand.“Da steht er, Jan Böhmermann, mit erhobener Faust und ohne die stets ironisch zusammengezogenen Augenbrauen. Auf seiner roten Kappe prangt der Schriftzug „N19“– die Abkürzung für den Slogan, unter dem er seine SPD-Kampagne führt: Neustart19. In diese Kampagne reihen sich auch seine Montagsreden ein – und die haben es in sich.
Ja, Jan Böhmermann beschäftigt sich immer noch mit der SPD. Seine wie ernst auch immer gemeinte Kandidatur für den SPD-Vorsitz hatte bundesweit Schlagzeilen, Amüsement und auch Befremden hervorgerufen, doch recht schnell war die Aufmerksamkeit auch wieder abgeebbt. Und während die Genossen sich auf Regionalkonferenzen trafen, Kandidatenduos gegeneinander antreten ließen und sich schließlich für Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans entschieden haben, macht Jan Böhmermann einfach weiter.
Der Satiriker kommentiert die Lage der SPD permanent. Ein stechender Tweet hier, ein mahnendes Video dort, eine dröhnende Rede zur Krönung. Er ist die unbequeme Stimme aus dem Off. Wenn sein Name fällt, rollt man im Willy-Brandt-Haus die Augen. Das SPD-Engagement Böhmermanns möchte aus der Parteispitze niemand offiziell kommentieren. Man hat zur Zeit andere Baustellen – und Böhmermanns Zwischenrufe helfen eher nicht bei den Aufräumarbeiten. Immerhin: Für den Bundesparteitag an diesem Wochenende hat er sich nicht angemeldet.
Zwar changiert der 38-Jährige routiniert zwischen Satire und Ernsthaftigkeit, doch seine SPD-Beiträge gleichen kaum noch den Pointen eines Satirikers. Es fehlt an Polemik, Ironie, überhaupt an Humoristischem, geschweige denn Übertreibung. Wenn man sich an seine Wortwahl im berühmt gewordenen Schmähgedicht gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan erinnert, sind seine aktuellen politischen Ausführungen geradezu vernünftig.
In seinen neusten Montagsreden auf Youtube hält Böhmermann Grundsatzreden zur Lage der Sozialdemokratie, die man so pointiert, so klar, so geradeheraus von keinem Genossen in jüngerer Zeit gehört hat. Er trifft den Ton punktgenau, streut Salz in klaffende Wunden, spricht aus, was sich andere nicht zu denken wagen. Die SPD müsse wieder eine Partei sein für „die Niemande, die nichts zu spenden und nichts zu vererben haben“, die „Kinder versorgen oder sich um pflegebedürftige Menschen kümmern ohne dafür gerecht entlohnt zu werden“. Weiter: „Es war die Hoffnung auf ein besseres Leben der Niemande, die die Gründung unserer Partei bewirkt hat. Und an diesem Auftrag hat sich nichts geändert.“– Balsam für die geschundene sozialdemokratische Seele.
Mit der Kritik an einem System, „das einigen Wenigen zu Reichtum und sorgenfreiem Leben verhilft“, richtet sich Böhmermann auch gegen SPD-Politiker wie Gerhard Schröder und gegen die „Herrschaft des Kapitals innerhalb der SPD“, gegen jene, „die die Partei nur als Mittel zum eigenen Zweck sehen“und „für die die SPD nur eine Zwischenstation ist zum Öl-, Waffenoder Atomlobbyist“. Er quält seine Genossen mit den Verfehlungen aus der „sozialdemokratischen Sündenkartei“: Hartz IV-Reform, die Schere zwischen Arm und Reich, die Alters- und Kinderarmut, der „Ausverkauf
staatlicher Infrastruktur“– „All das, was auch und vor allem in der Schröder-Ära passierte.“
Böhmermanns Montagsreden könnten Anschauungsmaterial in Rhetorik-Seminaren sein. Er kritisiert, mahnt, konstatiert, solidarisiert, spricht verständlich, schenkt Hoffnung und sagt Gegnern innerhalb und außerhalb der Partei den Kampf an. Fernab von Groko, Regierungsbeteiligungen, Umfragetiefs und Wahlniederlagen, kann sich in seinen Reden die SPD wieder selbst spüren. Natürlich ist er auch populistisch. Er zielt ab auf Stimmungen und Gefühle. Er zeichnet einen Gegensatz zwischen oben und unten, zwischen der Elite – zu der Böhmermann auch Teile der SPD zählt – und den Wählern. So sorgt er bei seinen Genossen für ein Wechselbad der Gefühle: Auf der einen Seite ist er das enfant terrible, das über die SPD herzieht, auf der anderen Seite hält er ihre besten Reden und sorgt für ein junges Publikum.
Interessant sind die Kommentare derer, die sich die Reden angeschaut haben: „In diesen sieben Minuten steckt alles drin, was uns 99 Prozent zu schaffen macht“, schreibt einer. „Bin jetzt bei Minute 4:00, und die einzige Satire, die ich in der Rede finde, ist, dass ein SPDler im Jahre 2019 niemals so eine Rede halten würde“, kommentiert ein anderer. In diesem Ton sind auch die übrigen Kommentare – etwa: „Ich finde es einerseits traurig, dass ein Satiriker der letzte Lichtblick in der deutschen Politik ist, jedoch bin ich froh, dass wir diesen einen Lichtblick noch haben. Bitte weiter so, Jan. Solltest du irgendwann Mal als Kanzler kandidieren: Meine Stimme hast du!“
Doch was soll man von Böhmermanns Engagement halten? Will er einen ernsthaften Beitrag zur Selbstfindung der SPD leisten?
Das Problem: Für Satire ist es zu unsatirisch, für Ernsthaftigkeit zu unernst – zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Böhmermann will sich partout nicht festlegen und fegt jeden Anfangsverdacht der Ernsthaftigkeit mit mindestens zweideutigen Aussagen wieder vom Tisch. Unter den Reden findet sich die Notiz: „Die Montagsreden zur Rettung der deutschen Sozialdemokratie stammen aus der Feder einer profilierten Sozialdemokratin oder eines profilierten Sozialdemokraten – von innerhalb oder außerhalb der SPD.“– Mehr Unklarheit geht kaum.
Was wäre also wenn? Die Politik hat sich schon immer recht durchlässig für Personen anderer Branchen, insbesondere der Unterhaltungsindustrie, gezeigt. Das aktuellste Beispiel ist der sechste Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj. Der 41-jährige Komiker, Schauspieler und Drehbuchautor ist vor allem als Darsteller der Comedy-Serie „Diener des Volkes“bekannt, in der er einen erdachten Präsidenten spielte.
15 Jahre lang war Jimmy Morales der bekannteste Comedian Guatemalas, auch er hatte Erfahrung damit, einen Staatspräsidenten zu spielen, bevor er im April 2016 seine Kandidatur verkündete und ein halbes Jahr später ins Amt gewählt wurde. Ein gewisser Beppe Grillo stieg Ende der Achtzigerjahre zu einem der populärsten TV-Komiker Italiens auf. Der heute 71-Jährige gründete eine Bewegung, aus der 2009 die Partei „Movimento 5 Stelle“entstand, die Fünf-Sterne-Bewegung.
Bei den Parlamentswahlen 2018 wurden die Fünf Sterne stärkste Einzelpartei. Grillo selbst darf kein Regierungsamt bekleiden – er ist vorbestraft.
Doch was sagt es eigentlich über ein Land aus, wenn seinen Schauspielern und Satirikern ernsthafte Chancen in der Politik eingeräumt werden? Wenn ein Komiker, der sich über die Politik lustig macht, mehr Vertrauen genießt als Minister, Abgeordnete und Bürgermeister? Wenn die Humoristen einer NaPolitik tion zu Hoffnungsträgern der werden können, zeigt das, welcher Graben sich zwischen der politischen Führung und der Bevölkerung aufgetan hat. So entsteht eine Lücke, in die dann viele springen können: Satiriker, Blender, Populisten. Gerade das Beispiel Beppe Grillo zeigt, welch fragwürdige Personen sich dieses Moments ermächtigen können – dagegen erscheint ein Jan Böhmermann an der SPD-Spitze geradezu konventionell.
Ganz der politischen Seriosität möchte der sich aber (noch) nicht verschreiben. In seinen Briefen an die SPD-Mitglieder etwa schreibt er Politikernamen konsequent falsch. Zu lesen ist da von „Olaf Schulz und Katja Gleiwitz“, gemeint sind Olaf Scholz und Klara Geywitz. Eine Spielerei, die man vor allem von Martin Sonneborn kennt – ein anderer deutscher Satiriker, der mal mehr, mal weniger ernsthaft im Politischen stocherte, bis er bei der Europawahl 2014 als Spitzenkandidat der „Partei“zum Mitglied des Europäischen Parlaments gewählt wurde. Und ungeachtet dessen, wie viel Satirisches er nun aus Brüssel und Straßburg funkt, ein Großteil seiner Wähler gab ihm seine Stimme nicht nur, weil er ihn besonders witzig findet, sondern weil er sich von ihm am ehesten vertreten fühlt – auch politisch.
Einer der Kommentare unter Jan Böhmermanns Montagsrede lautet übrigens: „Wieso kriegt denn keiner der Politiker so echte Reden hin?! Erst musste ich Sonneborn vor über fünf Jahren ins EU-Parlament wählen und als nächstes Böhmi in den Bundestag? Nur damit da mal was Vernunftorientiertes bei ’rum kommt, das Öffentlichkeit für so wichtige Themen schafft. Aber wenn‘s sein muss, dann machen wir das!“
„Böhmi“im Bundestag also? Auszuschließen ist das nicht. Doch ernsthaft in die Politik gehen hieße, sich aus seiner Komfortzone bewegen und sich angreifbar machen. In der Satire hingegen kann Böhmermann andere zum Narren halten und ihnen den Spiegel vorhalten. Eine weitaus bequemere Position.