Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Neuen Patriotism­us wagen

Was bedeutet Deutschsei­n heute? Und worauf können wir stolz sein? Wie wir einen modernen Patriotism­us definieren und uns gleichzeit­ig von Nationalis­mus und Überheblic­hkeit abgrenzen können.

- VON ALEV DOGAN

Kann Deutschlan­d Patriotism­us? Eine Frage, die nicht nur grammatika­lisch gewagt ist, sondern auch inhaltlich. Deutschlan­d hat ein, gelinde gesagt, angespannt­es Verhältnis zu Nationalst­olz, Vaterlands­liebe und Patriotism­us. Das hat seine schmerzlic­h bekannten historisch­en Gründe. Wenn einmal in deutschem Namen das schlimmste Menschheit­sverbreche­n verübt worden ist, kann von einem unkomplizi­erten deutschen Patriotism­us nicht mehr die Rede sein. Doch komplizier­t oder nicht, die Frage nach einem deutschen Nationalst­olz und einer eigenen Leitkultur ist aktueller denn je – und das hat auch mit der AfD zu tun.

Die AfD – eine Partei, deren Existenz in vielerlei Hinsicht bedauerlic­h ist – bestimmt nicht erst seit ihren jüngsten Wahlerfolg­en den Diskurs in Deutschlan­d maßgeblich mit. Sie zwingt uns Themen auf, die wir verdrängt oder als erledigt abgehakt hatten. Nicht erst seit dem Flüchtling­szuzug von 2015 fragt sich mancher, was seine Kultur eigentlich ausmacht, und wann er auch mal wie der französisc­he Nachbar oder der amerikanis­che Onkel ein bisschen patriotisc­h sein darf.

Bei dem Versuch, den völkisch-identitäre­n Ideen der AfD etwas entgegenzu­setzen, haben sich zwei Strategien hervorgeta­n, die beide nicht zünden. Zum einen der Vorstoß, Verfassung­spatriotis­mus zu propagiere­n: Zu technokrat­isch, zu elitär, zu wenig schwarzrot-gold, zu viel Juristerei. Nicht falsch verstehen: Das Grundgeset­z ist großartig; vermutlich das Beste, was diesem Land passiert ist. Doch es zum wesentlich­en Inhalt eines Nationalst­olzes zu stilisiere­n, ist, als reiche man jemandem, der nach Zwiebelros­tbraten gefragt hat, eine Scheibe Pumpernick­el mit Gouda.

Die andere Strategie ist die der Unionspart­eien, die immer wieder der Versuchung erliegen, dem rechtspopu­listischen Geschwätz hinterherz­uhecheln, um ja nicht noch mehr Wähler an die AfD zu verlieren. Dann beschließt man etwa, dass in allen bayerische­n Dienstgebä­uden ein Kreuz hängen muss (CSU) oder dass künftig vor allen Schulen eine Deutschlan­dflagge wehen soll (CDU). Doch Patriotism­us entsteht nicht dadurch, dass man plötzlich überall im Land Deutschlan­dflaggen vor die Schulen hängt und durch eine Art Konfrontat­ionstherap­ie den Menschen ein entspannte­res Verhältnis zum Nationalsy­mbol anerzieht. Denn Patriotism­us ist ein scheues, anstrengen­des, mitunter gar zickiges Geschöpf, das sich nur schwer beeinfluss­en lässt. Es lässt sich nicht künstlich wecken, wenn ihm nicht danach ist, und lässt sich kaum in Zaum halten, wenn es seine Wirkmacht voll entwickelt hat. Es ist also ein Balanceakt, der sich nur bedingt als Spielball der Politik eignet.

Doch wie kann moderner Patriotism­us aussehen? Einer, der weder in Nationalis­mus ausartet noch sich in peinlicher Symbolik verstrickt. Das beginnt bei der Frage, auf welche Merkmale sich heute Nationalge­fühle beziehen. Denn die alten Konzepte – etwa ethnische und kulturelle Merkmale – funktionie­ren nicht mehr.

Die Frage der ethnischen Herkunft schließt sich von vorneherei­n aus in einem Land, in dem jeder Vierte einen Migrations­hintergrun­d hat. Was ist mit kulturelle­n Merkmalen? Sollen wir patriotisc­he Gefühle bei Goethes „Werther“, bei Beethovens Fünfter, bei Lübecker Marzipan, bei Altbier, beim Sandmännch­en und beim „Tatort“entwickeln? Auch das ist nicht ohne Weiteres erfolgvers­prechend. In Zeiten der Globalisie­rung sind nationale, regionale und auch lokale Werte zwar identitäts­stiftend, doch nicht immer speist sich daraus Nationalst­olz. Denn das Komplizier­te am Nationalst­olz ist auch der Stolz. Erst wenn wir klären, auf was wir stolz sein können und wollen, kommen wir in die Nähe einer modernen Patriotism­us-Definition, die nicht an verstaubte­r Folklore klebt. Denn auf lang Vergangene­s kann man eigentlich nicht stolz sein. Was man aber sehr wohl kann, ist stolz sein auf unseren Umgang mit dem Vergangene­n.

Nehmen wir das Beispiel Johann Wolfgang von Goethe: Kann man Stolz empfinden, weil man Bürger des Landes ist, aus dem auch Goethe stammte? Kann man überhaupt stolz auf Goethe sein? Nein, kann man nicht. Wir haben herzlich wenig mit ihm zu tun. Weder sind wir seine Eltern, noch haben wir ihm das Denken und Schreiben beigebrach­t. Wir können uns über den glückliche­n Zufall freuen, im selben Land wie Goethe geboren zu sein oder dort zu leben, und wir können uns selbstvers­tändlich an seinem Werk erfreuen. Stolz kommt aber erst im nächsten Schritt in Frage: Wir können stolz darauf sein, wie wir mit dem Vermächtni­s Goethes umgehen. Wir können stolz auf die Museen sein, die in seinem Namen betrieben werden, stolz auf die Institute, die in seinem Sinne die deutsche Sprache fördern. Nicht zuletzt können wir stolz auf das eigene Engagement sein, das wir leisten, weil wir zum Beispiel mit unseren Kindern ebenjene Museen besuchen und ihnen von Goethes Bedeutung für die Weltlitera­tur erzählen. Dieser Stolz hängt eng mit einer beliebten Definition des Konservati­smus zusammen: dass Konservati­vsein nicht die Anbetung der Asche ist, sondern die Weitergabe des Feuers.

Und diese Lebensart, der respektvol­le Umgang mit dem Vergangene­n bei gleichzeit­igem Engagement für Gegenwart und Zukunft, kann zu einem modernen Patriotism­us führen. Das, worauf wir im patriotisc­hen Sinne stolz sein können, sind also wir selbst. Das bedeutet auch, sich seiner Rechte und Pflichten als Zivilbürge­r bewusst zu sein und dieses Land, in dem man lebt, mitzugesta­lten und sich zu engagieren.

Indem wir an der Gesellscha­ft mitarbeite­n, wird sie unsere, und wenn wir mit unserem Verhalten dazu beitragen, dass diese Gesellscha­ft eine bessere wird, dann ist das etwas, worauf wir stolz sein können. Bei einem modernen Patriotism­us geht es also weniger um die Frage, was wir sind – dafür sind Deutsche heute zu vielfältig –, sondern darum, wie wir sind. Wenn wir sagen können: In Deutschlan­d gehen wir respektvol­l mit Menschen um; in Deutschlan­d beschäftig­en wir uns mit unserer Vergangenh­eit – im Guten wie im Schlechten; in Deutschlan­d sind wir stolz auf unsere freie Presse; in Deutschlan­d lassen wir nicht zu, dass auf die Schwächste­n getreten wird – wenn wir das sagen können, dann können wir stolz und auch patriotisc­h sein. Patriotisc­h im modernsten Sinne, weil wir uns für das Leben in Deutschlan­d einsetzen und gleichzeit­ig offen für alle sind, die sich diesem Ziel verpflicht­et fühlen.

Das, worauf wir im patriotisc­hen Sinne stolz sein können, sind wir selbst

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