Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Merkels letzte SPD-Chefs

Bisher konnte kein SPD-Vorsitzend­er der Bundeskanz­lerin wirklich gefährlich werden. Das neue Duo aber hat das Potenzial dazu.

- VON KRISTINA DUNZ UND EVA QUADBECK

BERLIN Es sind die SPD-Vorsitzend­en Nummer acht und neun, die Angela Merkel als Kanzlerin erlebt. Die fünf kommissari­schen Parteichef­s in den vergangene­n 14 Jahren nicht mitgezählt. Um kurz nach 9 Uhr am Donnerstag fährt eine schwarze Limousine mit Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans vor das Kanzleramt. Die Regierungs­chefin hat sie zum Frühstück eingeladen, bevor sie zum EU-Gipfel nach Brüssel aufbricht. Angeblich hatten die beiden Sozialdemo­kraten die Initiative zu einem schnellen Kennenlern­en ergriffen. Noch keine Woche im Amt, haben sie allein damit bereits Unruhe in der Koalition ausgelöst. Denn eigentlich waren viele Beteiligte davon ausgegange­n, dass sich die Neuen als erstes mit den Vorsitzend­en der Koalitions­partner CDU und CSU, Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Markus Söder, treffen würden. Sie zogen aber das Kanzleramt für den Erstkontak­t vor.

Merkel hatte Esken und Walter-Borjans gleich nach deren Wahl zur ersten Doppelspit­ze in der Geschichte der Sozialdemo­kraten per SMS gratuliert. Am vergangene­n Sonntag soll sie sich in einer Telefonsch­alte mit den Unionsspit­zen dann immer noch etwas überrascht gezeigt haben, dass der frühere nordrhein-westfälisc­he Finanzmini­ster und die bisher weitgehend unbekannte baden-württember­gische Bundestags­abgeordnet­e tatsächlic­h das Rennen gemacht haben und nicht Vizekanzle­r Olaf

Scholz und die Brandenbur­gerin Klara Geywitz. Diese beiden hatten sich kurz vor dem Mitglieder­entscheid der SPD noch recht siegesgewi­ss gezeigt.

Bislang ist kein SPD-Chef der Kanzlerin ernsthaft gefährlich geworden. Aber ausgerechn­et die beiden Überraschu­ngs-Gewinner könnten es werden. Denn sie sind von den SPD-Mitglieder­n vor allem deshalb gewählt worden, weil sie die große Koalition kritisch sehen. Zwar haben sie schon auf dem SPD-Parteitag am Nikolaus-Tag dafür gesorgt, dass ein schneller Crash-Kurs verhindert wird. Aber der Druck der Parteilink­en ist groß. Und das haben Esken und Walter-Borjans selbst angeheizt mit den hohen Erwartunge­n,

die sie während des parteiinte­rnen Wahlkampfs geweckt haben. Man wird ihnen die 100-Tage-Frist für die Einarbeitu­ng in das neue Amt geben. Aber spätestens Mitte März müssen sie nach Ansicht ihrer Unterstütz­er den Koalitions­vertrag entweder sagenhaft nachverhan­delt haben – oder das Aus für die Koalition beschließe­n.

Die Hürden sind hoch, das neue Spitzenduo der SPD verlangt zusätzlich­e Milliarden-Investitio­nen, die Abkehr von der Schwarzen Null, einen deutlich höheren Mindestloh­n und eine drastische Ausweitung des Klimaschut­zpaketes. Dieses hängt derweil noch im Vermittlun­gsausschus­s zwischen Bundestag und Bundesrat und soll möglichst vor

Weihnachte­n beschlosse­n werden, damit eine höhere Pendlerpau­schale, eine niedrigere Mehrwertst­euer auf Bahnticket­s im Fernverkeh­r, Entlastung­en bei der Gebäudesan­ierung und die Anhebung der Flugverkeh­rsabgabe auf Kurzstreck­en zum 1. Januar in Kraft treten können. NRW-SPD-Fraktionsc­hef Thomas Kutschaty drückt aufs Tempo: „Ich erwarte vom nächsten Koalitions­ausschuss einen Fahrplan, wann welches Arbeitspro­jekt wie in Angriff genommen werden soll.“

Allerdings soll der nächste Koalitions­ausschuss am 19. Dezember vor allem eins sein: ein krisenfrei­es Treffen vor Weihnachte­n. Alle Protagonis­ten kröchen ziemlich auf dem Zahnfleisc­h, heißt es in Parteikrei­sen.

Man sehne sich nach Normalität und Ruhe. Ein, zwei Stündchen solle das Gespräch höchstens dauern, und vorher würden Söder und Kramp-Karrenbaue­r mit Esken und Walter-Borjans zusammenko­mmen, um sich kennenzule­rnen.

Einen Vertrauens­test, den Kanzlerin Merkel gerne macht, haben die beiden Sozialdemo­kraten am Donnerstag bestanden: Sie schwiegen über den Inhalt der Zusammenku­nft. Walter-Borjans sagte nur unserer Redaktion: „Wir hatten ein einstündig­es gutes Gespräch. Sehr offen und angenehm.“Wie vertrauens­erweckend das auf die eigenen Leute wirkt, erscheint fraglich. Denn für sie ist es mit der Harmonie vorbei.

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FOTO: DPA Die neuen SPD-Vorsitzend­en Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans kommen am Bundeskanz­leramt an.

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