Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Klimaziel der EU für 2050 steht auf der Kippe
Fast alle EU-Staaten wollen, dass Europa zum klimaneutralen Kontinent wird. Doch mindestens drei haben Bedenken.
BRÜSSEL Wenn die Staats- und Regierungschefs der EU kurz vor Weihnachten in Brüssel zusammenkommen, ist es ein besonderer Gipfel. Das beginnt mit der Teilnehmerliste: Früher nahm der Belgier Charles Michel als Ministerpräsident seines Landes an den Runden teil, jetzt ist er Gastgeber, leitet die Gespräche und hat selbst kein Stimmrecht. Erstmals ist auch Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin dabei. Beim letzten Mal war dies noch der Luxemburger Jean-Claude Juncker. Auch Christine Lagarde an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) wird am Freitag ihre Premiere bei dem Gipfel haben. Nicht dabei ist der britische Premier Boris Johnson, der wegen der Wahl in London bleibt – die Verträge lassen es nicht zu, dass er einen Vertreter schickt. Johnson hat stattdessen den neuen ständigen EU-Ratspräsidenten Michel beauftragt, ihn zu vertreten.
Besonders ist das Treffen auch, weil es in der Schlussphase der Weltklimakonferenz in Madrid stattfindet. Und weil die Klimaschützer in der ganzen Welt einen genauen Blick auf Brüssel werfen. Es entscheidet sich, ob Europa eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz einnimmt. Michel, der sich als Brückenbauer zwischen unterschiedlichen Positionen bei den Chefs sieht, setzt sich dafür ein: „Das Klima hat oberste Priorität.“Er hoffe auf Beschlüsse. „Das Ziel von Klimaneutralität im Jahr 2050 wäre ein starkes Signal, es wären dann aber auch massive Investitionen in die Zukunft nötig.“Der Entwurf
für das Abschlussdokument des Gipfels, das einstimmig beschlossen werden muss, sieht Klimaneutralität vor. Wörtlich heißt es, dass die Mitgliedstaaten das Ziel der „EU-Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 in Verbindung mit dem Pariser Abkommen billigen“. Als der Gipfel am Donnerstag losgeht, ist klar, dass es schwierige Verhandlungen werden. Ein EU-Diplomat fasst die Lage so zusammen: „Alle Staaten können sich zwar vorstellen, das Ziel von Klimaneutralität zu vertreten. Einige Staaten wollen aber noch gewisse Nebenbedingungen erfüllt wissen.“Vor allem Tschechien, Ungarn und Polen wollen Zusagen, bevor sie zustimmen: Geld aus dem EU-Haushalt für die Umstellung sowie ein Entgegenkommen der EU-Kommission bei Vorschriften. Auch am späten Abend gab es noch keine Einigung.
Der Energiemix soll zwar weiter Sache der Nationalstaaten sein. Der tschechische Regierungschef Andrej Babis warb gleichwohl für die Kernenergie: „Das ist saubere Energie, ich verstehe nicht, warum so viele Länder damit ein Problem haben.“Auch für Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron ist klar, dass Ehrgeiz im Klimaschutz nur bei gleichzeitigem Festhalten am Atomstrom zu machen ist. Er sieht Frankreich als Vorreiter der Klimabewegung: „Im März waren nur Frankreich und ein anderes Land für Klimaneutralität 2050, im Mai beim Gipfel in Sibiu waren wir schon zu acht, und heute Abend werden hoffentlich die 27 komplett sein.“Deutschland muss sich stärker anstrengen, muss das Land doch neben dem Kohleausstieg auch das
Abschalten der Atomkraftwerke bewältigen. So hat sich Berlin später als Paris die Klimaneutralität auf die Fahnen geschrieben. Aber auch Merkel sagt zum Beginn des Gipfels: „Es wäre ein starkes Signal, wenn sich jedes Mitgliedsland der EU dem Ziel verschreiben könnte.“Die Verhandlungen dafür stehen auf der Kippe.
EU-Ratspräsident Michel hat signalisiert, dass ihm der Zeitplan des Treffens egal sei. Wenn er die Chance auf einen Durchbruch in den nächsten drei Stunden sehe, sei er bereit zu überziehen. Eigentlich ist das Abendessen auf 19 Uhr angesetzt. Viel deutet darauf hin, dass es später wird. Beim Abendessen soll es um die Finanzen der EU gehen. Noch so ein heikles Thema. Die Positionen zwischen Nettozahlern und -empfängern, zwischen Ost und West liegen beim Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) für die Jahre 2021 bis 2027 noch weit auseinander. Deutschland steht auf der Bremse. Angela Merkel wird in der Runde deutlich machen, dass sowohl der Vorschlag der Kommission als auch der Kompromissvorschlag der finnischen Ratspräsidentschaft weit von der Zahlungsbereitschaft der Bundesregierung entfernt ist. Niemand erwartet, dass es bei den Finanzen am Abend einen Durchbruch gibt.
Doch es ist Ursula von der Leyen, die die Staats- und Regierungschefs mahnt, nicht zu hart zu verhandeln: Ihr grüner Deal und der Fahrplan der Mitgliedstaaten setzten ehrgeizige Ziele. „Ich halte das für richtig, dann müssen wir aber auch die notwendigen Mittel dafür geben.“Die EU kann nur so grün werden wie ihr Haushalt.