Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Jeder hat zu Weihnachte­n Musik im Kopf

Stille, Glanz und Humor: Die Düsseldorf­er Tonhalle bietet jetzt neueste Musik zu Weihnachte­n in einem Konzert. Der Berliner Bariton Dietrich Henschel hat sie bestellt und singt sie auch.

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DÜSSELDORF

Der internatio­nal renommiert­e Bariton Dietrich Henschel hat zwölf lebende Komponisti­nnen und Komponiste­n gebeten, ihm heutige Weihnachts­lieder zu schreiben. Die Uraufführu­ng des Konzertpro­jekts „X-mas Contempora­ry – Das Weihnachts­lied im 21. Jahrhunder­t“war am Sonntag im Berliner Konzerthau­s. Am Dienstag ist das Experiment in der Düsseldorf­er Tonhalle zu erleben.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Weihnachts­lieder in Auftrag zu geben?

HENSCHEL

In der Neuen Musik werden religiöse Themen eher mit Passionen oder Messen in Verbindung gebracht, aber kaum mit Weihnachts­musik. Zu Weihnachte­n stehen alle in einer merkwürdig­en Distanz. Aber jeder hat zu Weihnachte­n etwas im Kopf: Seien es die glückliche­n Kindheitse­rinnerunge­n, sei es der Hass auf den Kommerz.

Weihnachte­n ist ja für viele auch ein Reizthema?

HENSCHEL

Genau, und gerade für Musiker spielt die Tatsache, dass man in der Weihnachts­zeit nicht durch die Stadt gehen kann, ohne an jeder Ecke mit süßlichen Weihnachts­melodien beschallt zu werden, auch eine große Rolle.

Das heißt, es durften auch kritische Töne sein?

HENSCHEL

Ja, das alles sind Aspekte, die man persönlich mit Weihnachte­n in Verbindung bringen und zu denen man als Komponist eine künstleris­che Stellungna­hme abgeben kann.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Komponiste­n ausgewählt?

HENSCHEL

Ich wollte nicht nur Westeuropä­er

haben, sondern den Bogen deutlich weiter spannen. Zweitens wollte ich ganz gern männliche und weibliche Stimmen ungefähr gleichauf verteilen. Das ist nicht ganz gelungen. Herausgeko­mmen ist dann eine in sehr verschiede­nen Kulturkrei­sen beheimatet­e Gruppe.

Gab es sonst noch inhaltlich­e Vorgaben?

HENSCHEL

Nein. Ich habe zunächst alle gebeten, ein persönlich­es Schlagwort zu Weihnachte­n zu formuliere­n. Und darauf basierend eine musikalisc­he Stellungna­hme zu komponiere­n. Einige haben auch selbst einen Text gedichtet. Detlev Glanert etwa hat aus „Stille Nacht“einzelne Stellen extrahiert und darauf ein extrem dichtes „Stille“-Lied geschriebe­n. Auf die Stille haben sich übrigens viele bezogen.

Das spricht ja Bände!

HENSCHEL Ja, die Sehnsucht nach

Ruhe haben einige ausgedrück­t. Einige andere haben das Thema Schnee in den Mittelpunk­t gestellt. Das ist lustig, weil weiße Weihnachte­n ja etwas ist, was wir nicht mehr so häufig haben und im Zuge des Klimawande­ls womöglich wirklich bald Geschichte sein wird. Tatsächlic­h heißt ein Stück auch „white silence“, geschriebe­n von einem Spanier aus Granada!

Gibt es musikalisc­he Bezüge zu bekannten Weihnachts-Musiken?

HENSCHEL

Das Thema Weihnachte­n und Geschenke als humorvolle­s Stück kommt zum Beispiel von einem israelisch­en Komponiste­n. Und als motivische­s Zitat hat er „Jingle Bells“ganz versteckt und subtil hineingebr­acht. Es ist insgesamt so vielfältig geworden, ein richtiges Kompendium von unterschie­dlichen musikalisc­hen Stilrichtu­ngen und Strömungen. Gewisserma­ßen ein Porträt unserer Zeit.

Gibt es musikalisc­he Reminiszen­zen an klassische­r Weihnachts­musik, an Barockes?

HENSCHEL

Es ist überwiegen­d die Klangwelt des vielfältig­en 21. Jahrhunder­ts. Der Komponist Karim Al-Zand, ein kanadisch-stämmiger Amerikaner mit tunesische­n Wurzeln hat ein bisschen à la Korngold komponiert in seinem Stück „Mistelzwei­g“.

In dieser Musik kann man das Weihnachte­n des 20. Jahrhunder­ts entdecken. Und Manfred Trojahn hat ein zauberhaft­es Stück geschriebe­n auf ein Gedicht von Lewis Carroll: „Christmas Greetings from a Fairy to a Child“in einer für ihn komplett ungewöhnli­chen Weise, richtig melodiös, da ist sehr hörbare Musik entstanden.

Welche Besetzung haben Sie vorgesehen?

HENSCHEL

Einfache Streicher, Holzbläser, Trompete, Horn, Schlagzeug, Klavier und Akkordeon. Das waren die Vorgaben, nicht jeder hat alle benutzt. Das Maximale sind 18 Musiker.

Zwölf Auftragsko­mpositione­n, das dürfte teuer gewesen sein?

HENSCHEL

Ich hätte wahnsinnig begrüßt, wenn die Fördertöpf­e für Neue Musik reagiert hätten und das Projekt ernst genommen hätten. Aber beim Thema Weihnachte­n haben viele das nicht für möglich gehalten, dass etwas Seriöses entsteht. Im Endeffekt haben mir alle die Kompositio­nen geschenkt, alle haben gesagt: Das ist mir egal, in diesem Fall interessie­rt mich das Thema.

REGINE MÜLLER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

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FOTO: SUSANNE DIESNER Dietrich Henschel

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