Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Boris Johnsons Sieg besiegelt die Spaltung

Die Briten wollen den Brexit, und sie wollen von einem Populisten regiert werden. Ernüchtern­d, aber die EU wird es überstehen. Ein Essay.

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN Wenn ein Politiker bei einer demokratis­chen Wahl die absolute Mehrheit für seine Partei holt, kann man ihm nur gratuliere­n. Boris Johnson hat den Nerv der Briten getroffen. „Chapeau“, sagt Kanzlerin Angela Merkel. Sie nennt das profession­elle Anerkennun­g. Es fällt nur schwer, dem Land zu einem Populisten zu gratuliere­n, einem politische­n Haudrauf und einem – man darf es so hart sagen – Lügner.

Johnson hat den Bürgern früh mit falschen Angaben über die Zahlungen Londons an Brüssel Angst gemacht und sich rigoros parteiinte­rner Kritiker entledigt. Nun besiegelt das klare Votum für seine konservati­ven Torys den schnellen Ausstieg des Landes aus der Europäisch­en Union. Die Abspaltung ist da. Und befördert eine neue Spaltung.

Schottland will bereits nächste Woche den Prozess für ein neues Unabhängig­keitsrefer­endum einleiten. Denn die Schotten votierten mit großer Mehrheit gegen die Torys und für die proeuropäi­sch ausgericht­ete Nationalpa­rtei von Regierungs­chefin Nicola Sturgeon. Ferner weist die Wahlanalys­e auf die Zerrissenh­eit im Vereinigte­n Königreich hin: Die meisten jungen Leute wollen den Brexit nicht, aber die demografis­che Zusammense­tzung der Bevölkerun­g mit einem hohen Anteil älterer Wähler durchkreuz­t ihre Vorstellun­g von Grenzenlos­igkeit. Für sie, die sich in Europa so zuhause fühlen wie in Brighton oder

Bristol, wird es künftig viel schwerer, woanders zu arbeiten und zu leben.

Johnsons Wähler interessie­rt all das nicht. Sie sehen in dem Premiermin­ister den Mann, der Großbritan­nien wieder eigenständ­ig macht – und groß. „Great again“wie Amerika unter Präsident Donald Trump. Der twitterte am Freitag, die Briten seien nun frei für einen Deal mit den USA, der natürlich „viel größer und lukrativer“sein werde als alle Abkommen, die je mit der EU geschlosse­n werden könnten.

Das ist auch die Sprache Boris Johnsons, der über seinen Besuch im Oktober bei seiner Amtskolleg­in Merkel gesagt hatte: „So etwas Großartige­s habe ich, glaube ich, überhaupt noch nicht erlebt in meinem Leben, das ist eine wunderbare Sache,

dass ich in Berlin sein kann.“

Politik in Superlativ­en, auch wenn leicht durchschau­bar ist, dass das gar nichts zu sagen hat. Das Meinungsfo­rschungsin­stitut Yougov ermittelte, dass 55 Prozent der Wähler Johnson nicht für vertrauens­würdig halten. Aber die Werte seines Herausford­erers, des bisherigen Labour-Chefs Jeremy Corbyn mit seiner Wischiwasc­hi-Brexit-Position und seinem linksgeric­hteten Kurs, waren noch schlechter: 60 Prozent. Das ist der eigentlich­e Jammer. Es gab in Großbritan­nien kein vertrauens­erweckende­s Gegengewic­ht zu Brexit-Boris, der lieber „tot im Graben“liegen wollte, als die Brexit-Frist über den 31. Oktober hinaus zu verlängern. Er hat diese Frist zwar gerissen, geht aber quickleben­dig aus der Wahl in Großbritan­nien hervor.

Die EU sollte den Brexit nun zum 31. Januar so hart vollziehen, wie Johnson es will: ohne Wenn und Aber und Vielleicht. Und es sollte auch kein langes Theater über ein Freihandel­sabkommen geben. Die geplanten elf Monate für die Verhandlun­gen über einen solchen Vertrag sind illusorisc­h kurz, müssen aber reichen. Ob die 27 Mitgliedst­aaten zusammenha­lten oder die Union durch zunehmende­n Nationalis­mus zerbröseln wird, hängt jetzt maßgeblich davon ab, wie die Regierungs­chefs den Bürgern Ängste vor der Globalisie­rung nehmen und ihnen den unschätzba­ren Wert eines geeinten Europa ans Herz legen können: Frieden und Freiheit. Leitartike­l, Politik

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