Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Die Insellösung
Die Briten haben gewählt, und das Ergebnis könnte eindeutiger kaum sein. Boris Johnson hat die Zweifler aus der konservativen Partei geworfen und sie zur größten Mehrheit seit 1987 geführt. Mit ihm haben sich die Wähler auch klar für den Brexit entschiede
LONDON Es waren überraschend bescheidene Worte, die Boris Johnson in der Stunde seines größten Triumphs fand. „Viele von euch“, rief der britische Premierminister in der Nacht zum Freitag auf der Siegesfeier, „haben mir ihre Stimmen nur geliehen. Ich bin demütig, dass ihr mir euer Vertrauen schenkt, und ich werde eure Unterstützung niemals als selbstverständlich voraussetzen.“
Dabei hat der britische Premierminister die Wahl zum Unterhaus überzeugend gewonnen. Die Partei der Konservativen kam auf 364 Mandate und hat jetzt eine absolute Mehrheit von fast 80 Stimmen. Seit mehr als 30 Jahren haben die Konservativen keinen solchen Sieg einfahren können. Man muss zurück zu Margaret Thatcher gehen, die 1987 eine Mehrheit von 102 Sitzen erzielen konnte, um Vergleichbares zu finden.
Für die größte Oppositionspartei Labour wurde die Nacht zu Freitag zum Albtraum. Eine Stunde nach Schließung der Wahllokale kam das Ergebnis für den Wahlkreis Blyth Valley, eine traditionelle Labour-Hochburg: Er ging mit einem Umschwung von mehr als zehn Prozent an die Konservativen. Das setzte den Ton für die Nacht. Sedgefield, der alte Sitz von Tony Blair, fiel. Selbst Darlington, Workington oder Bishop Auckland gingen verloren. Der „rote Wall“, eine Reihe von Wahlkreisen in den Midlands und Nordengland, wo bisher immer Labour dominiert hatte, wurde gnadenlos gelöchert. Zum Schluss kam die Arbeiterpartei nur noch auf 203 Sitze, 59 Mandate gingen verloren.
Der Wahlausgang spiegelte, was die Umfragen vorausgesagt hatten: Die Konservativen führen mit 43,6 Prozent vor Labour mit 32,2 Prozent. Das ist nichts weniger als eine Katastrophe und das schlechteste Ergebnis seit 1935. Labour-Chef Jeremy Corbyn kündigte seinen Rücktritt an, allerdings nicht seinen sofortigen. Für die nächsten Wahlen stünde er nicht mehr zur Verfügung, sagte Corbyn, er werde aber vorerst im Amt bleiben, „um der Partei Zeit zur Reflexion zu geben.“
Auch die Liberaldemokraten mussten enttäuscht sein. Sie hatmit ten gehofft, der klaren Botschaft zu punkten, den Brexit stoppen zu wollen. Doch sie wurden, auch aufbritischen grund des Mehrheitszwischen wahlrechts, den Volkszerrieben parteien und gewannen lediglich elf Mandate. Die ParteiJo vorsitzende Swinson, die mit der vollmundigen Erklärung, Premierministerin werden zu wollen, in den Wahlkampf gezogen war, verWahlkreis lor ihren im schottischen East Dunbartonshire an die SNP.
Die SNP, also die schottischen Nadagegen tionalisten, hatte eine gute Nacht. Die Parteivorsitzende Nicodurfte la Sturgeon sich über 13 SitZugewinn ze freuen. Mit insgesamt 48 Mandaten im Nordzipfel des Köhat nigreichs die SNP eine dominiePosition. rende Sturgeon erneuerte sogleich ihre Forderung nach einem zweiten UnabhängigkeitsreferenSchottland. dum für Ihr Land und der Rest des Königreichs, sagte sie, seien jetzt „auf auseinander gehenPfaden.“den
Die Brexit-Partei von Nigel Faraschließlich ge ging kläglich unter. Sie hatte noch im Sommer die Eurostärkste pawahl als Kraft gewinnen können. Doch die Entscheidung von Farage, nicht in denjenigen Wahlanzutreten, kreisen wo die Konserdominieren, vativen hat seine WähTorys ler zu den getrieben. Zum Schluss wählten nur noch 642.303 Menschen die Brexit-Partei, die daeinziges mit kein Mandat gewinkonnte. nen
Warum sollte man die Brexit-Partei wählen, wenn es Boris Johnson gibt, haben sich die Briten gedacht. Denn dessen Wahlkampf-Botschaft bestand aus drei Worten: „Den Brexit durchziehen“. In seiner Siegesrede wiederholte er es noch einmal. „Diese Wahl bedeutet“, rief Johnson, „dass es die unumstößliche, unwiderstehliche und unbestreitbare Entscheidung des britischen Volkes ist, den Brexit durchzuziehen.“
Und dafür hat er jetzt freie Hand. Schon in der kommenden Woche wird das Parlament zusammentreten, und dann will Johnson über das Austrittsgesetz abstimmen lassen. Es gibt keinen Zweifel mehr: Er wird sein Versprechen einlösen können, fristgerecht bis zum 31. Januar nächsten Jahres alle nötigen Gesetze ratifiziert und damit den Austritt Großbritanniens aus der EU vollzogen zu haben. Niemand kann ihn dabei mehr aufhalten.
Boris Johnson steht jetzt unangreifbar da. Als er im Juli zum Parteivorsitzenden gewählt wurde, hatte er seine Machtbasis sofort ausgebaut. Das halbe Kabinett wurde ausgetauscht und kritische Minister durch loyale Gefolgsleute ersetzt. Dann folgte eine brutale Säuberung der Partei. Torys, die nicht gewillt waren, Johnsons harten Brexit-Kurs mitzutragen, wurden aus der Fraktion ausgeschlossen, darunter sogar Nicholas Soames, der Enkel von Winston Churchill. Schließlich hat Johnson dafür gesorgt, dass im Wahlkampf nur konservative Kandidaten aufgestellt wurden, die ganz auf seiner Linie lagen. Damit hat er jetzt eine parlamentarische Macht im Rücken, die ihm bedingungslos folgen dürfte – ganz im Gegensatz zu dem zerstrittenen Tory-Haufen, mit dem sich seine Vorgängerin Theresa May herumschlagen musste.
Es bleibt abzuwarten, ob Johnson die Erwartungen seiner neuen Wähler aus den ehemaligen Labour-Hochburgen erfüllen wird. Die hoffen jetzt, dass der Premierminister seine Wahlversprechen wahrmacht und unter anderem 20.000 neue Polizisten und 50.000 mehr Krankenschwestern bereitstellt.
Die Leute vom „roten Wall“, denen Johnson seine satte Mehrheit verdankt, wollen mehr Staat. Johnsons Parteifreunde auf dem rechten Fraktionsflügel, allesamt Brexit-Hardliner, wollen allerdings das Gegenteil: weniger Staat und mehr globalisierten Markt. Genau das haben sie sich schon immer vom Brexit erhofft. Wie lange Johnsons Regierung die Spannung zwischen den beiden Erwartungshaltungen aushalten kann, wird eines der faszinierenden Dramen der Johnson-Ära werden.