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Was die Wahl für den Brexit bedeutet

Noch vor Weihnachte­n könnte das Unterhaus über das Austrittsa­bkommen abstimmen.

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BRÜSSEL/LONDON (dpa) Ein großer Stoßseufze­r. Nach dem Wahlsieg von Boris Johnson scheint das Finale des Brexit-Dramas in Sicht, das die EU seit Jahren quält. Am 31. Januar 2020 soll Großbritan­nien die EU nun wirklich verlassen. Aber ist das der Abschluss dieser scheinbar unendliche­n Geschichte?

Der Fahrplan

Noch vor Weihnachte­n soll das neu gewählte britische Unterhaus zusammentr­eten und über das Austrittsa­bkommen mit der EU abstimmen – vermutlich am 20. Dezember. Eine Mehrheit gilt nach Johnsons hohem Wahlsieg als sicher. Geht in London alles glatt, wird das Europaparl­ament das Vertragswe­rk absegnen. Das Haus tagt Mitte Januar. Haben beide Parlamente zugestimmt, tritt der Vertrag in Kraft, und die britische EU-Mitgliedsc­haft endet am 31. Januar um Mitternach­t. Es beginnt sofort eine Übergangsp­hase bis Ende 2020, in der sich praktisch nichts ändert.

Es gibt keinen Sturz über die Klippe Nur zur Erinnerung: Eigentlich war der 29. März 2019 der Brexit-Tag. Dann der 12. April. Dann der 31. Oktober. Jedesmal verlängert­e die EU die Frist, um einen No-Deal-Brexit mit unabsehbar­en Folgen für Bürger und Unternehme­n zu verhindern. Der ist nun zumindest abgewendet. Der Vertrag schafft Rechtssich­erheit für mehr als drei Millionen EU-Bürger in Großbritan­nien und eine Million Briten auf dem Kontinent, er regelt milliarden­schwere Schlusszah­lungen Großbritan­niens an die EU und verhindert eine harte Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland.

Die Hängeparti­e ist nicht vorbei Dennoch ist man sich in Brüssel weitgehend einig: „Die schwierige Phase kommt noch“, so sagte es der Brexit-Experte Fabian Zuleeg von der Denkfabrik European Policy Centre. Denn der bisherige Vertrag regelt nur die Vergangenh­eit, nicht aber die Zukunft. Beide Seiten wollen eine „spezielle Partnersch­aft“, wie Kanzlerin Angela Merkel sagte, enge Handelsbez­iehungen und enge Zusammenar­beit zur Abwehr von Terror und Verbrechen. Bezieht man wirklich alle Wünsche mit ein, wird das ein extrem komplizier­tes Gebilde. Gleichzeit­ig soll das Vertragswe­rk schon binnen weniger Monate stehen, vor Ende der Übergangsf­rist. „Unser größter Knackpunkt wird sein, dass wir diese Verhandlun­gen sehr schnell machen müssen“, sagte Merkel.

Die EU ist in guter Startposit­ion Zuleeg sagte, es werde, wenn überhaupt, nur ein sehr einfaches Abkommen möglich sein, das Zölle im Warenexpor­t vermeidet. Auch das werde aber nur klappen, wenn Großbritan­nien weiter viele EU-Standards einhalte. „Dann wird Großbritan­nien akzeptiere­n müssen, was die EU vorlegt“, meinte der Brüsseler Experte. Denn die EU geht mit einer strikten Bedingung in die Verhandlun­gen: ein „Level Playing Field“. Großbritan­nien soll sich nicht mit Steuer-, Sozialoder Umweltdump­ing Vorteile verschaffe­n, wenn es weiter unter günstigen Bedingunge­n Handel mit der EU treiben will – immerhin der größte britische Absatzmark­t. Merkel erwartet, dass London die Spielräume sehr genau ausloten wird und sich in jedem Fall ein Wettbewerb­er vor der Küste des Kontinents in Stellung bringt. Aber halb so schlimm, meinte die Kanzlerin: „Also, ich sehe da eher ein belebendes Element.“

Die EU hat überlebt

Viele EU-Politiker winkten, bildlich gesprochen, den langjährig­en Partnern am Freitag noch einmal zum Abschied. Die Grünen-Politikeri­n Terry Reintke sinnierte sieben Wochen vor dem Austritt sogar schon über den Wiedereint­ritt der Briten in die EU. Doch ist die Wehmut insgesamt schon etwas abgeklunge­n – und auch die Furcht, dass nun ein Dominoeffe­kt die EU zerfallen lässt. Das britische Beispiel sei abschrecke­nd, sagte Zuleeg. Das Votum der britischen Wähler indes war eindeutig: Der Brexit ist gewollt, so soll es sein.

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