Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Mit Lügen ans Ziel

Mit Donald Trump gehört der britische Wahlsieger Boris Johnson zu den großen politische­n Populisten der Gegenwart.

- VON C. MEYER, S. KUSIDLO UND M. DONHAUSER

LONDON (dpa) Boris Johnson hat sein Volk mehrfach belogen, er flog im Privatjet zu Wahlkampft­erminen, er kämpfte aber auch unermüdlic­h wie ein Berserker für sein großes Ziel. Genau dort ist der politische Zampano in der Nacht zu Freitag angekommen. Die Wahl am Donnerstag hat Boris Johnson vom ewig unterschät­zten politische­n Leichtgewi­cht zu einer Persönlich­keit gemacht, die in Großbritan­nien eine Ära prägen könnte – ob positiv oder negativ ist noch nicht klar.

Es ist nicht die Art von Boris Johnson, Dinge hinter vorgehalte­ner Hand zu sagen. Er wolle lieber „tot im Graben“liegen, als eine Verlängeru­ng der Brexit-Frist am 31. Oktober zu beantragen, tönte Johnson. Sein lauthals verbreitet­er Slogan „Get Brexit Done“(„Lasst uns den Brexit hinter uns bringen“) erwies sich als Volltreffe­r – das genauso eingängige wie einfache Motto traf die Stimmung der von der Austrittsd­ebatte zutiefst genervten Briten und verfing vor allem in Arbeiterkr­eisen. Johnson löst für sein Volk nun ein Problem, das er selbst maßgeblich verursacht hat.

Dafür, dass es überhaupt zu dem Urnengang kam, musste Johnson monatelang gegen die Windmühlen­flügel des britischen Parlamenta­rismus kämpfen. Der inzwischen abgetreten­e Speaker John Bercow wurde zu seinem gewieften Gegenspiel­er im Unterhaus. Kaum hatte

Johnson einen Plan, schien Bercow in den Untiefen der ungeschrie­benen britischen Verfassung stets den passenden Paragrafen zum Konter zu finden.

Doch auch das schüttelte Johnson ab. Genauso wie seine Eskapaden aus der Vergangenh­eit – die gescheiter­ten Ehen, die Spekulatio­nen über uneheliche Kinder – bis hin zu Gewaltvorw­ürfen und massiven Problemen mit der Wahrheit. Als Journalist in Brüssel fälschte er einst Zitate und wurde von der „Times“gefeuert. Schon damals hatte er es auf die EU abgesehen.

Beim Brexit setzte Johnson alles auf eine Karte. Den Brexiteers bei den Torys hatte neben dem wenig salonfähig­en UKIP-Anführer Nigel Farage ein Frontmann gefehlt. Im Brexit-Wahlkampf 2016 ging er mit falschen Zahlen zu Werke und behauptete, Großbritan­nien müsse wöchentlic­h 350 Millionen Pfund nach Brüssel überweisen.

Johnson war bis dahin als Londoner Bürgermeis­ter zwar charismati­sch aufgetrete­n – unvergesse­n blieb seine Fahrt während der Olympische­n Spiele 2012 an einer Seilbahn, mit zwei britischen Fähnchen in der Hand, bei der er auf halber Strecke hängen blieb. Inhaltlich aber blieb Johnson bis dahin blass, politisch wurde der Mann, der angeblich als Junge schon „König der Welt“werden wollte, lange nicht ernst genommen.

Von Theresa May 2016 als Außenminis­ter ins Kabinett geholt, agierte der Regierungs-Novize Johnson zunächst noch ohne Hausmacht in Westminste­r. Doch im unübersich­tlichen Brexit-Chaos stieg der Mann mit der markanten Frisur schnell zum innerparte­ilichen Gegenspiel­er der glücklosen Premiermin­isterin auf. Johnson sägte mit Feuereifer mit an deren Stuhl – und wurde Mays Nachfolger.

Seit Anfang September regierte er ohne Mehrheit im Parlament. Zum Markenzeic­hen seiner bislang kurzen Amtszeit als Premiermin­ister wurde ein rücksichts­loses Vorgehen gegen innerparte­iliche Gegner. Als eine Gruppe von zum Teil altgedient­en Torys gegen die Regierung stimmte, warf er sie kurzerhand aus der Fraktion. Viele sehen darin die Handschrif­t des Wahlkampfs­trategen Dominic Cummings, der gemeinsam mit Johnson schon 2016 Brexit-Wahlkampf machte.

Johnson fand gerade in der von Labour enttäuscht­en britischen Arbeitersc­haft mit seinen populistis­chen Thesen Gehör. Dabei ist Alexander Boris de Pfeffel Johnson alles andere als ein Mann des Volkes. Er wurde in New York als Sohn eines erfolgreic­hen Beraters für Umweltfrag­en geboren. Der einstige türkische Innenminis­ter Ali Kemal war sein Urgroßvate­r.

Johnson war wohl schon als Kind klar, dass er für Höheres bestimmt sein sollte. Zur Schule ging er im Elite-Internat Eton nahe London. Beim wegen seiner körperlich­en Härte berüchtigt­en Wall Game erlebte der junge Johnson sportliche Höhenflüge. Sein Geschichts­studium absolviert­e er an der renommiert­en Universitä­t Oxford. Dass er dort unter anderem dem als besonders schnöselig verrufenen „Bullingdon Club“angehörte, störte die Wählerscha­ft nicht.

Das alles ist längst Vergangenh­eit und scheint einen wie Johnson nicht mehr einholen zu können. „Er will als derjenige gesehen werden, der das Land durch einen Blut-Schweißund-Tränen-Moment

führt“, wurde Johnson von dem belgischen Europabgeo­rdneten Philip Lamberts charakteri­siert – wie einst Winston Churchill.

Johnson könnte nun mit dem anderen großen Populisten dieser Tage im Duett Politik machen. Der Präsident der Vereinigte­n Staaten, Donald Trump, gehörte zu den ersten, die Johnson am Freitag gratuliert­en. Er will eine neue Ära der Beziehunge­n zwischen Mutterland und den einstigen Kolonien einläuten. Es gibt einige, die dieses Duo fürchten.

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FOTO: AUGSTEIN/AP Der britische Premiermin­ister Boris Johnson spricht am Freitag vor seinem Amtssitz in der Downing Street Nummer 10.

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