Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Beethoven menschlich gesehen

Die Geburtstag­sschau für den Komponiste­n in der Bundeskuns­thalle räumt mit Mythen auf. Und wird dann doch noch weihevoll.

- VON THOMAS KLIEMANN

BONN Nur wenige Quadratzen­timeter ist das wohl kleinste Exponat der Beethoven-Schau in der Bundeskuns­thalle groß: Da schrieb der inzwischen in Wien lebende 24-jährige Ludwig van Beethoven an seinen Bonner Freund Heinrich von Struve ein paar Zeilen: „Wann wird der Zeitpunkt kommen, wo es nur Menschen geben wird, wir werden wohl diesen glückliche­n Zeitpunkt nur an einigen Orten herannahen sehen, da werden wohl Jahrzehnte vorbeigehe­n...“Für die Kuratorinn­en von „Beethoven. Welt. Bürger. Musik“, Julia Ronge von Beethoven-Haus und Agnieszka Lulinska von der Bundeskuns­thalle, ist dieses erst 2012 entdeckte Dokument ein Beweisstüc­k in einer langen Indizienke­tte: Beethoven hat sich schon sehr früh mit dem Inhalt und dem humanistis­chen Geist von Schillers „Ode an die Freude“beschäftig­t, die schließlic­h in die triumphale, ans Herz gehende 9. Sinfonie mündete. Das ist einer der Stränge in der exzellente­n Beethoven-Ausstellun­g, mit der die Bundeskuns­thalle ins Jubeljahr 2020 einsteigt.

Es ist ein wunderbare­s Panorama auf vielen Ebenen, das dem Musikprofi mit einer großen Anzahl originaler Partituren Anregungen gibt, den Laien zum Beispiel erklärt, wie zu Beethovens Zeit ein Orchester zusammenge­setzt war – eine imposante Reihe historisch­er Instrument­e steht aufgereiht da –, Kindern sehr gut aufbereite­tes Wissensfut­ter gibt und unzählige inklusive Angebote präsentier­t. So macht man populäre Ausstellun­gen.

Den Kuratorinn­en gelingt es, Beethovens Biografie mit den politische­n Zeitläufte­n, mit der Werkentwic­klung zusammenzu­bringen, dabei etwa die unterschie­dlichen Mentalität­en in Bonn und Wien herauszuar­beiten und nicht zuletzt das rein Menschlich­e des ewig kränkelnde­n Titanen zu beleuchten. Und nebenher den einen oder anderen Mythos abzuräumen.

In fünf Kapiteln arbeitet sich die farblich ansprechen­d und mit einer tollen Ausstellun­gsarchitek­tur ausgestatt­ete Schau durch Beethovens Leben und Werk. Beleuchtet werden die Bonner Jahre von 1770 bis 1792, die ersten Schritte ins Musikerleb­en, eingebette­t in die aufgeräumt­e Residenzst­adt. Immerhin 50 Jugendwerk­e entstanden am Rhein. Zu jedem Kapitel gibt es exzellent ausgesucht­e Hörbeispie­le, die ausführlic­h erklärt werden.

Mit „Wien – Neue Horizonte“geht es 1793 bis 1801 weiter (in der Hörbar Details aus der 1. Sinfonie, dirigiert von Paavo Järvi, „Die Geschöpfe des Prometheus“und ein Satz aus dem c-Moll-Trio).

Das Kapitel „Wege zum Erfolg 1802-1812“wird durch ein großes Reiterbild Napoleons eröffnet, der dieses Epoche und auch Beethoven selbst prägte wie kein anderer. Die Zusammenhä­nge der „Eroica“mit

Bonaparte werden hier ebenso behandelt wie die Gräuel, die die napoleonis­chen Truppen anrichtete­n – Goyas Radierungs­zyklus „Los desastres de la guerra“dokumentie­rt mit erschrecke­nder Aktualität, was Kriege bis heute anrichten. Am 6. und 10. Oktober 1802 verfasst Beethoven sein „Heiligenst­ädter Testament“, diesen ergreifend­en Brief an seine Brüder Kaspar Karl und Johann, in dem er seine Verzweiflu­ng über die fortschrei­tende Ertaubung und den nahe geglaubten Tod ausdrückte. Darin die Zeilen: „O ihr Menschen, die ihr mich feindseeli­g, störrisch oder misanthrop­isch haltet oder erkläret, wie unrecht thut ihr mir.“Gegenüber sieht man Beethovens Hörrohre und an der Wand die bestürzend­e Krankenakt­e, die von Typhus und Kopfweh, bis zu Rheuma, Lungenbesc­hwerden, Magenweh, Gelbsucht, Gicht und Koliken reicht.

Wie konnte dieser Mann so ergreifend komponiere­n? Die Hörstation dieses Kapitels bietet das Quartett „Mir ist so wunderbar“aus dem Fidelio, „Marcia Funebre“aus der Eroica (von Leonard Bernstein dirigiert) und einen Teil der Egmont-Ouverture, eingespiel­t vom Bonner Beethoven-Orchester.

„Ruhm und sein Preis“ist das folgende, von 1813 bis 1818 reichende Kapitel überschrie­ben, in dem man Takte aus „Wellington­s Sieg“und den vierten Satz der Hammerklav­iersonate (gespielt von Andras Schiff ) hört. Der von Josef Maria Auchentall­er für das Wiener Musikzimme­r der Familie Scheid fast schon jugendstil­ig gemalte Zyklus feiert Beethovens Sechste, die „Pastorale“, in herrlichen Farben.

„Beethoven – grenzübers­chreitend“ist das letzte Kapitel überschrie­ben (1819 bis 1827): Die herannahen­de Apotheose des völlig ertaubten Meisters vollzieht sich im Einklang mit seinen gewaltigen, monumental­en Schöpfunge­n, die Neunte und die Missa Solemnis. Dann eine große Überraschu­ng: Die Kopie des berühmten Beethovenf­rieses, den Gustav Klimt 1902 für die Wiener Sezession schuf, füllt einen Raum mit dem Thema: Richard Wagners Interpreta­tion der Neunten Sinfonie Beethovens. Nur noch zu toppen durch die schneeweiß­e 3D-Reproduklt­ion von Max Klingers grübelndem Beethoven-Monument. Ein Werk des Österreich­ers Oliver Laric Ganz großes Kino, große Emotion.

Mit reichlich Pathos endet ein Parcours, der eigentlich den Titanen Beethoven auf einer allgemein menschlich­en Ebene ansiedeln wollte. Insgesamt aber ein guter Einstieg ins Beethovenj­ahr.

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FOTO: BEETHOVENH­AUS BONN Das berühmte Ölgemälde von Joseph Karl Stieler entstand 1819: Beethoven mit der Missa solemnis.
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